Seit fast zwei Jahren tobt der vollumfängliche russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – doch die Zukunft des Landes sieht immer ungewisser aus. Ob in der Medienberichterstattung oder im Hinblick auf die aus dem Ausland kommenden Hilfspakete – die einst für unerschütterlich gehaltene Unterstützung für die Ukraine scheint nun infrage gestellt. Doch es gibt sie noch – die Menschen, die wegen des Krieges geflohen sind und sich in Städten wie Berlin ein neues Leben aufbauen mussten, und die Menschen, die sich nach wie vor mit ihnen solidarisch zeigen.

Darum geht es am Mittwochabend bei dem Konzert „Sound of Ukraine – an die freie Welt“ in der Berliner Philharmonie. Das Lviv National Philharmonic Symphony Orchestra wird Werke des ukrainischen Komponisten Jewhen Stankowytsch spielen, sowie Jean Sibelius’ Konzert für Violine und Orchester mit der ukrainischen Geigerin Bohdana Pivnenko als Solistin und Antonín Dvořáks Symphonie Nr.9 „Aus der neuen Welt“. Dabei sei es das Ziel, sagt Iryna Frenkel, Produzentin des Konzertes und Leiterin der Konzertagentur Open Music Project, „die Menschen über die universelle Sprache der Musik zusammenzubringen“. Der Erlös aus dem Kartenverkauf geht zugunsten der UA-Renaissance Foundation und des Wiederaufbaus der Philharmonie in Cherson.

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Aber es geht nicht nur um die Musik. Im Rahmen des Konzerts wird die deutsche Schauspielerin Mala Emde aus dem Buch „Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis: Briefe von Frauen aus der Ukraine an die freie Welt“ lesen. Das Buch besteht aus Briefen von 38 ukrainischen Frauen, die ihr Leben seit der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 beschreiben. Viele der Autorinnen haben ihre Briefe aus der Ukraine geschrieben – einige sogar von der Front, wo sie gerade kämpfen. Doch die Briefe stammen auch aus vielen anderen Orten, in die die Autorinnen geflüchtet sind – und Berlin kommt dabei häufig vor.

Eine der Briefautorinnen ist die 29-jährige Marija Tscherpak. Sie wurde in Charkiw geboren, wohnte aber am 24. Februar 2022 in Kiew. Anfang März 2022 flüchtete sie nach Breslau in Polen, nun lebt sie in Berlin mit ihrer Mutter. In ihrem Brief beschreibt sie ihr Leben in der Stadt und die Herausforderungen, die den Beginn eines neuen Lebens begleiten, nachdem das alte auf den Kopf gestellt wurde. Sie wollte durch ihre Teilnahme an dem Projekt einen Beitrag zur Dokumentation des Krieges leisten.

„Es ist für die Geschichte wichtig, dass die großen und kleinen Geschichten aus diesem Krieg in Erinnerung bleiben“, sagt sie. Dazu gehören auch die Erfahrungen von einzelnen Geflüchteten wie sie selbst. „Die Welt muss wissen, was wir Ukrainer in diesem Krieg durchmachen.“ Sie findet es auch wichtig, sieht es sogar als eine Art Pflicht, dass geflüchtete Ukrainer im Ausland dort ihre Kultur und Traditionen feiern und bekannt machen, so wie bei diesem Konzert; das sei das Mindeste, was sie tun könne, während ihre Landsleute an der Front ihr Leben riskieren, sagt sie.

Auf absehbare Zeit sieht Marija Tscherpak ihre Zukunft in Berlin. „Aber eines Tages will ich unbedingt in die Ukraine zurückkehren, um dort die Gesellschaft wiederaufzubauen“, sagt sie.

Das Buch kam zustande durch die Arbeit der französischen Herausgeberin Aurélie Bros. Bros lernte einige der Briefautorinnen kennen, als sie im März 2022 die Leitung eines Programmes des Handelsblatts zur Unterstützung ukrainischer Journalistinnen und Journalisten übernahm. Sie wurde beeindruckt von den persönlichen Geschichten von Leid und Flucht, die die Teilnehmer ihr dort mitteilten, und fing ab Juni 2022 an, die Erfahrungen der Frauen und ihrer Bekannten in der Ukraine als Briefe zu sammeln.

Im September dieses Jahres erschien die Sammlung der 38 Erfahrungsberichte. „Da wir im Westen ständig mit Bildern von traumatischen Ereignissen konfrontiert werden, ist die Kriegsmüdigkeit bei einigen bereits sehr spürbar“, sagt Bros. Vor diesem Hintergrund sei es ihr wichtig, dass die Erzählungen in ihrem Buch den Lesern und Leserinnen einen „ungefilterten Einblick“ in das Leben der Frauen bieten, das sich bis zum russischen Einmarsch in die Ukraine in vielerlei Hinsicht nicht so sehr von dem der Frauen in anderen Teilen Europas unterschied.

Das Buch erfasst umfangreiche Themen – vom Alltag an der Front oder in einer neuen Stadt bis hin zu Trauer und Todesangst. Dass nur weibliche Stimmen in dem Buch vorkommen, war eine bewusste Entscheidung, sagt Aurélie Bros. Sie wollte die oft qualvollen Entscheidungen zwischen Flucht und Bleiben hervorheben, die ukrainische Frauen seit dem russischen Einmarsch treffen mussten – anders als ihre zum Bleiben verpflichteten Männer, Brüder und Väter –, und wie diese Entscheidungen die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und im Ausland geprägt haben.

Aurélie Bros hat die Verfilmungsrechte für eine Serie, die auf den im Buch erzählten Geschichten basiert, an eine renommierte deutsche Produktionsfirma vergeben – und hofft, so eine breitere Plattform für die Geschichten der Frauen zu schaffen. Sie macht sich aber Sorgen, dass der Krieg nun in eine Phase gelangt sei, in der die Geschehnisse in der Ukraine für viele außerhalb des Landes normal geworden sind. „Das darf nicht zu Gleichgültigkeit oder zu einer Banalisierung des Horrors führen“, sagt sie. „Dies wäre ein Todesurteil für die Ukraine.“ Mit ihrem Buch will sie eine Botschaft für die weitere wirtschaftliche wie militärische Hilfe für die Ukraine senden.

Marija Tscherpak hofft, das Berliner Publikum werde sich durch die Lesungen mit den Menschen in der Ukraine identifizieren können. „Ich will, dass die Menschen verstehen, dass es in diesem Krieg um ganz normale Menschen wie dich und mich geht“, sagt sie. „Bitte verliert nicht die Empathie für uns – wir sind auch Menschen, die einfach in Frieden leben, arbeiten und studieren wollen, genauso wie ihr“. An ein baldiges Ende des Krieges kann sie noch nicht glauben – aber sie bleibt noch davon überzeugt, dass die Ukraine alles erreichen kann, wenn internationale Partner wie Deutschland sie weiterhin tatkräftig unterstützen.

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