Die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette zeigte mit Fotos auf sozialen Medien, wie sehr sie sich bis zu ihrer Festnahme unter falschen Namen in Kreuzberg zu Hause gefühlt hat. Daniela Klette trainierte Capoeira und engagierte sich in Vereinen gegen die Diskriminierung von Migranten. Die Behörden nahmen sie Ende Februar in ihrer Wohnung an der Sebastianstraße fest. Die Polizei konzentriert sich nun bei der Fahndung nach Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg ebenfalls auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. 130 Polizisten durchsuchten ein Gewerbegelände am Markgrafendamm, ohne die mutmaßlichen Mitglieder der aufgelösten Terrororganisation dort anzutreffen. Die Festnahme Klettes in Kreuzberg überrascht den RAF-Experten Butz Peters nicht. Er hält aber eine kollektive Komplizenschaft durch ein Netzwerk für unwahrscheinlich.

Herr Peters, Daniela Klette ist in Karlsruhe geboren und hat bis zu ihrem Verschwinden 1990 in Westdeutschland gelebt. Untergetaucht ist sie aber in Kreuzberg. Sehen Sie darin einen Zufall?

Nein, das war gewiss kein Zufall. Kreuzberg ist ein einmaliges soziales Biotop in dieser Republik. Dicht besiedelt, in Teilen schnieke, in weiten Teilen traditionell alternativ. Hier zählen für viele Gesetze und Staat nicht viel. Wenn ich abtauchen müsste, wäre Kreuzberg für mich erste Wahl. Aber auch Neukölln wäre eine Option.

Das Bild von Kreuzberg als Gebiet, in dem der Rechtsstaat infrage steht, klingt etwas überspitzt. Könnte es nicht sein, dass eine radikale Minderheit Untergetauchten in Kreuzberg Deckung bietet?

Unterstützung von einigen wenigen mag es vielleicht gegeben haben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein größeres Unterstützernetzwerk am Werke war. Denn eine der Lehren, die die dritte RAF-Generation aus den Erfahrungen der beiden Vorgängerformationen gezogen hat, ist, den Kreis an Mitwissern so weit wie möglich zu begrenzen.

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Warum?

Bei den ersten zwei RAF-Generationen hatte sich herausgestellt, dass sie mehrere ihrer jeweils insgesamt knapp 40 Mitglieder zu schnell rekrutiert hatten. Die entpuppten sich als latentes Risiko für den Rest der Truppe. Sie hatten schnell die Nase voll vom Untergrund, träumten von Weihnachten mit ihren Eltern und Geschwistern und entwickelten Ausstiegsfantasien. Und einige von ihnen haben dann ja auch als Kronzeugen ausgepackt. Dadurch konnten andere verurteilt werden. Hinzu kommt im Fall Klette die extrem hohe Belohnung von insgesamt 150.000 Euro. Die Chance, dass ein Mitwisser in Versuchung gerät, der Polizei einen Tipp zu geben, war erheblich.

Sie glauben also nicht, dass Klette beim Untertauchen von der Szene in Kreuzberg umfänglich unterstützt wurde? Den Vereinen, in denen sich die mutmaßliche ehemalige Terroristin engagiert hat, fällt nun zumindest eine Distanzierung schwer. Wie weit verbreitet ist Toleranz für linke Gewalt in Kreuzberg?

In Kreuzberg ist viel linke Militanz daheim. So manchem, der jetzt dort lebt, gefällt oder gefiel das, was die RAF machte, der militante Kampf gegen Repräsentanten des Staates. Sie stellen die Systemfrage, und es geht ihnen darum, dass das von ihnen gehasste System größtmöglichen Schaden erleidet.

Klette also als heimliche Heldin. Dabei ist die RAF doch auch nach eigenen Maßstäben gescheitert und hat dies bei ihrer Auflösung 1998 öffentlich eingeräumt.

Auf der einen Seite kenne ich selbst unter den extremen Linken niemanden, der ernstlich bedauert, dass die RAF nicht mehr aktiv ist. Bestimmend für das Verständnis in diesen Kreisen ist tatsächlich, dass die RAF anders als beispielsweise die Action Directe in Frankreich und die Roten Brigaden in Italien nicht von der Polizei zerschlagen wurde, sondern sich aufgrund eigener Erkenntnis aufgelöst hat. Sie hatte eingesehen, dass ihr Revolutionsmodell nicht funktionierte. Deshalb hätte sie sich ‚in einer Sackgasse‘ befunden, schrieb sie in ihrer Auflösungserklärung 1998. Auf der anderen Seite ist aber auch immer wieder zu hören, dass – auch wenn jetzt das Ergebnis eindeutig sei – der Versuch es allemal wert gewesen wäre. Denn nur durch den Praxistest hätte man zu dieser Erkenntnis gelangen können.

Das heißt, manche in der linken Szene rechtfertigen noch heute die Morde der RAF als Versuch herauszufinden, ob ein bestimmtes Modell der Revolution funktioniert?

Ja, diese Sichtweise ist heute noch immer so manchen Vertretern aus unterschiedlichen linken Spektren zu eigen. Für mich ist diese Betrachtung genauso menschenverachtend wie das Denken der Neonazis vom NSU.

Warum hat sich Kreuzberg überhaupt zur Hochburg linker Militanz entwickelt?

Das begann in den 60er-Jahren. Für viele war SO 36, benannt nach dem alten Postzustellbezirk, Südost 36, eine Idylle. Mitten in der Stadt war es herrlich ruhig. Die Gegend war von drei Seiten von der Berliner Mauer umgeben. Wohnungen dort waren spottbillig. Kreative, Studenten, Künstler, Trebegänger und Aussteiger zogen dorthin. Junge Menschen aus Westdeutschland kamen zu Besuch und entschieden sich, zu bleiben. Es entstanden Wohngemeinschaften. Häuser wurden besetzt, und es folgten Straßenschlachten mit der Polizei. Diskutiert wurde über die aus Sicht von vielen unmittelbar bevorstehende Weltrevolution. Joints kreisten zur Musik von Ton Steine Scherben. Die Kreuzberger Nächte waren lang.

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Das klingt jetzt eher nach Revolutionsromantik statt nach revolutionärer Gewalt. Träume von einer anderen Gesellschaft sind eine Sache, Mord eine andere. Welche Rolle spielte denn die RAF in dem von Ihnen geschilderten Biotop?

In Kreuzberg wohnten die meisten RAF-Fans. Aber keiner der vier Gründungsköpfe der ersten Generation lebte dort. Der Rechtsanwalt Horst Mahler, die bekannte Journalistin Ulrike Meinhof, die Germanistikstudentin Gudrun Ensslin und der abgebrochene Oberschüler Andreas Baader diskutierten die Vorgeschichte zur RAF, nämlich die Frage, wie man Sozialrevolutionär wird, nächtelang in Meinhofs Wohnung in Schöneberg an der Kufsteiner Straße. Und die Geburt der RAF, die gewaltsame Befreiung des verhafteten Andreas Baader durch Ulrike Meinhof und andere aus dem Zentralinstitut für Soziale Fragen im Mai 1970, geschah im feinen Dahlem an der Bernadottestraße.

In Kreuzberg lebten also eher die Sympathisanten der ersten RAF-Generation. Heute gilt der Stadtteil als weitgehend gentrifiziert. Wie passt eigentlich der Trend zur Verbürgerlichung zu linker Militanz?

Gar nicht. Da wird es noch lange handfeste Konflikte geben.

Nun haben Sie selbst einen Bezug hergestellt zwischen der Sympathie für die Verbrechen der RAF und der Menschenverachtung von Neonazis. Von der RAF geht allerdings seit 1998 keine Gefahr mehr aus, anders als von rechtsextremen Gewalttätern. Ist die Rechtfertigung des gescheiterten Terrorismus am Ende nur geschichtsvergessene Milieu-Folklore, unappetitlich, aber nicht ernst zu nehmen?

Ich halte sie für geschichtsvergessen und gefährlich. Die zahlreichen blähend langatmigen Erklärungen der RAF können nicht über ihren wahren Charakter hinwegtäuschen. Sie war nichts anderes als eine üble Mördertruppe, die viele in diesem Staat in Angst und Schrecken versetzte. Sie hat ihre Opfer stets aus dem Hinterhalt umgebracht. Und das 34-mal.

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RAF-Experte: „Gewiss kein Zufall“, dass Daniela Klette in Kreuzberg untertauchte

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05.03.2024

Die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette zeigte mit Fotos auf sozialen Medien, wie sehr sie sich bis zu ihrer Festnahme unter falschen Namen in Kreuzberg zu Hause gefühlt hat. Daniela Klette trainierte Capoeira und engagierte sich in Vereinen gegen die Diskriminierung von Migranten. Die Behörden nahmen sie Ende Februar in ihrer Wohnung an der Sebastianstraße fest. Die Polizei konzentriert sich nun bei der Fahndung nach Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg ebenfalls auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. 130 Polizisten durchsuchten ein Gewerbegelände am Markgrafendamm, ohne die mutmaßlichen Mitglieder der aufgelösten Terrororganisation dort anzutreffen. Die Festnahme Klettes in Kreuzberg überrascht den RAF-Experten Butz Peters nicht. Er hält aber eine kollektive Komplizenschaft durch ein Netzwerk für unwahrscheinlich.

Herr Peters, Daniela Klette ist in Karlsruhe geboren und hat bis zu ihrem Verschwinden 1990 in Westdeutschland gelebt. Untergetaucht ist sie aber in Kreuzberg. Sehen Sie darin einen Zufall?

Nein, das war gewiss kein Zufall. Kreuzberg ist ein einmaliges soziales Biotop in dieser Republik. Dicht besiedelt, in Teilen schnieke, in weiten Teilen traditionell alternativ. Hier zählen für viele Gesetze und Staat nicht viel. Wenn ich abtauchen müsste, wäre Kreuzberg für mich erste Wahl. Aber auch Neukölln wäre eine Option.

Das Bild von Kreuzberg als Gebiet, in dem der Rechtsstaat infrage steht, klingt etwas überspitzt. Könnte es nicht sein, dass eine radikale Minderheit Untergetauchten in Kreuzberg Deckung bietet?

Unterstützung von einigen wenigen mag es vielleicht gegeben haben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein größeres Unterstützernetzwerk am Werke war. Denn eine der Lehren, die die dritte RAF-Generation aus den Erfahrungen der beiden Vorgängerformationen gezogen hat, ist, den Kreis an Mitwissern so weit wie möglich zu........

© Berliner Zeitung


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