Wochenkommentar

Das Jahr der Mitte: Ist die Partei bereit, den Worten nun Taten folgen zu lassen?

Nach dem Erfolg bei den nationalen Wahlen steht die Mitte-Partei im neuen Jahr in der Pflicht: Sie ist in beiden Räten Mehrheitsmacherin, und mit Viola Amherd stellt sie die Bundespräsidentin. Grundlegende Entscheide stehen bevor, zur Altersvorsorge, zur Finanz- und Europapolitik. Will sie ihrer Rolle gerecht werden, muss die Mitte vorangehen.

Anna Wanner 01.01.2024, 05.00 Uhr

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Stehen 2024 in der Pflicht: Die neue Bundespräsidentin Viola Amherd und Mitte-Chef Gerhard Pfister.

Peter Schneider / KEYSTONE

Wir können zunächst einmal zurückblicken - und froh sein. Die Schweiz bewältigt Krisen erstaunlich gut. Eine traditionsreiche Grossbank verschwindet von einem Tag auf den nächsten. Doch Land und Leute tragen kaum Schaden davon. Im Osten Europas herrscht seit zwei Jahren Krieg, das Schweizer Asylwesen registriert aktuell rund 68'000 ukrainische Flüchtlinge. Ohne grosses Aufheben sind sie in der Gesellschaft integriert. Und auch bei der erneuerbaren Energie hat die Sorge um die Stromknappheit für Umdenken gesorgt: Obwohl die Fördermittel noch nicht gross fliessen, bauen Hausbesitzer Solaranlagen auf eigene Kosten aufs Dach. Das ist gelebte Eigenverantwortung.

Wenn die neue Bundespräsidentin Viola Amherd optimistisch ins neue Jahr startet, dann tut sie das also mit gutem Recht.

Gefahr der Überheblichkeit

Doch der Stolz über das Geleistete darf nicht zu Überheblichkeit führen. Denn bei näherer Betrachtung zeigen sich Risse in der schönen Fassade: Die Schweiz trägt nun die Hypothek einer Monsterbank. Im Kampf um westliche Werte, namentlich in der Ukraine, ist ihr Beitrag beschämend bescheiden. Und was das Klima betrifft, ist der CO2-Ausstoss hierzulande nach wie vor gross.

Das ist die Ausgangslage Anfang 2024. Ein Jahr, in dem Bundespräsidentin Amherd eine Führungsrolle zufällt, auf die sie vorbereitet scheint. Zumindest erklärte sie gegenüber der «Sonntagszeitung» die Verhandlungen mit der EU zur Priorität: Bis im November will sie diese abschliessen. Das Dossier erachte sie als «entscheidend» für die Schweiz. Sie habe Aussenminister Ignazio Cassis ihre Unterstützung angeboten, «wo immer es mich als Bundespräsidentin braucht».

Entscheidend für den Erfolg dieses Unternehmens wird sein, ob es dem Bundesrat gelingt, die Bevölkerung von der Notwendigkeit neuer Abkommen zu überzeugen. Die abwehrenden Kräfte links und rechts sind stark, die Überzeugungsarbeit muss darum auch aus der Mitte kommen. Doch Parteichef Gerhard Pfister reagierte zynisch auf den ersten wichtigen Erfolg, den Entwurf für ein Verhandlungsmandat. «Wünsche Glück», waren die Worte, die er der Regierung für die Verhandlungen mit der EU auf den Weg gab. Als hätte er nichts damit zu tun.

Die Pflicht der stärksten Kraft

Aus der Verantwortung stehlen, funktioniert jetzt aber nicht mehr. Die Mitte, die einen zweiten Bundesratssitz anstrebt, die stärkste Kraft im Ständerat ist und den Anspruch erhebt, «die Schweiz zusammenzuhalten», steht in der Pflicht, Lösungen nicht nur mitzutragen, sondern auch den Weg dafür zu weisen.

Nur brechen just in den drängendsten Themen Grabenkämpfe auf, beispielsweise bei den Finanzen. Bundespräsidentin Amherd will den Armeehaushalt von fünf auf neun Milliarden aufstocken. Die Partei strebt derweil höhere AHV-Renten und tiefere Steuern für Eheleute an. Dazu liebäugelte sie mit höheren Sozialausgaben etwa mit zusätzlichen Prämienverbilligungen. Woher das Geld kommen soll, das sagt sie nicht.

Farbe bekennen muss die Mitte auch in der Rentenfrage. Wie kann die AHV für die Zukunft gesichert werden, ohne das Rentenalter anzutasten? Soll die Mehrwertsteuer oder sollen die Lohnbeiträge erhöht werden? Gleichzeitig häufen sich die Probleme im Gesundheitswesen. Auch hier fehlen zählbare Lösungsvorschläge. Zwar trommelt die Mitte lautstark für ihre Kostenbremse-Initiative. Diese sagt aber nur, wann ein Bremsmechanismus einsetzen soll - aber nicht, wie er funktioniert. Das ist politische Taschenspielerei.

Natürlich ist es unfair, das Gelingen wichtiger Reformen alleine der Mitte aufzubürden, wenn SP und SVP sich in die Opposition verabschieden, sobald ihnen ein Detail eines Kompromisses nicht passt. Doch will die Mitte die Rolle des Brückenbauers für sich beanspruchen, mit der Gerhard Pfister im Wahlkampf gepunktet hat, muss sie sich aus der Deckung wagen und klare Positionen verteidigen. Bundespräsidentin Viola Amherd hat die Hand in einem ersten Dossier ausgestreckt. Es ist wird sich sehr bald zeigen, ob die Partei ihr folgt.

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Wir können zunächst einmal zurückblicken - und froh sein. Die Schweiz bewältigt Krisen erstaunlich gut. Eine traditionsreiche Grossbank verschwindet von einem Tag auf den nächsten. Doch Land und Leute tragen kaum Schaden davon. Im Osten Europas herrscht seit zwei Jahren Krieg, das Schweizer Asylwesen registriert aktuell rund 68'000 ukrainische Flüchtlinge. Ohne grosses Aufheben sind sie in der Gesellschaft integriert. Und auch bei der erneuerbaren Energie hat die Sorge um die Stromknappheit für Umdenken gesorgt: Obwohl die Fördermittel noch nicht gross fliessen, bauen Hausbesitzer Solaranlagen auf eigene Kosten aufs Dach. Das ist gelebte Eigenverantwortung.

Wenn die neue Bundespräsidentin Viola Amherd optimistisch ins neue Jahr startet, dann tut sie das also mit gutem Recht.

Doch der Stolz über das Geleistete darf nicht zu Überheblichkeit führen. Denn bei näherer Betrachtung zeigen sich Risse in der schönen Fassade: Die Schweiz trägt nun die Hypothek einer Monsterbank. Im Kampf um westliche Werte, namentlich in der Ukraine, ist ihr Beitrag beschämend bescheiden. Und was das Klima betrifft, ist der CO2-Ausstoss hierzulande nach wie vor gross.

Das ist die Ausgangslage Anfang 2024. Ein Jahr, in dem Bundespräsidentin Amherd eine Führungsrolle zufällt, auf die sie vorbereitet scheint. Zumindest erklärte sie gegenüber der «Sonntagszeitung» die Verhandlungen mit der EU zur Priorität: Bis im November will sie diese abschliessen. Das Dossier erachte sie als «entscheidend» für die Schweiz. Sie habe Aussenminister Ignazio Cassis ihre Unterstützung angeboten, «wo immer es mich als Bundespräsidentin braucht».

Entscheidend für den Erfolg dieses Unternehmens wird sein, ob es dem Bundesrat gelingt, die Bevölkerung von der Notwendigkeit neuer Abkommen zu überzeugen. Die abwehrenden Kräfte links und rechts sind stark, die Überzeugungsarbeit muss darum auch aus der Mitte kommen. Doch Parteichef Gerhard Pfister reagierte zynisch auf den ersten wichtigen Erfolg, den Entwurf für ein Verhandlungsmandat. «Wünsche Glück», waren die Worte, die er der Regierung für die Verhandlungen mit der EU auf den Weg gab. Als hätte er nichts damit zu tun.

Aus der Verantwortung stehlen, funktioniert jetzt aber nicht mehr. Die Mitte, die einen zweiten Bundesratssitz anstrebt, die stärkste Kraft im Ständerat ist und den Anspruch erhebt, «die Schweiz zusammenzuhalten», steht in der Pflicht, Lösungen nicht nur mitzutragen, sondern auch den Weg dafür zu weisen.

Nur brechen just in den drängendsten Themen Grabenkämpfe auf, beispielsweise bei den Finanzen. Bundespräsidentin Amherd will den Armeehaushalt von fünf auf neun Milliarden aufstocken. Die Partei strebt derweil höhere AHV-Renten und tiefere Steuern für Eheleute an. Dazu liebäugelte sie mit höheren Sozialausgaben etwa mit zusätzlichen Prämienverbilligungen. Woher das Geld kommen soll, das sagt sie nicht.

Farbe bekennen muss die Mitte auch in der Rentenfrage. Wie kann die AHV für die Zukunft gesichert werden, ohne das Rentenalter anzutasten? Soll die Mehrwertsteuer oder sollen die Lohnbeiträge erhöht werden? Gleichzeitig häufen sich die Probleme im Gesundheitswesen. Auch hier fehlen zählbare Lösungsvorschläge. Zwar trommelt die Mitte lautstark für ihre Kostenbremse-Initiative. Diese sagt aber nur, wann ein Bremsmechanismus einsetzen soll - aber nicht, wie er funktioniert. Das ist politische Taschenspielerei.

Natürlich ist es unfair, das Gelingen wichtiger Reformen alleine der Mitte aufzubürden, wenn SP und SVP sich in die Opposition verabschieden, sobald ihnen ein Detail eines Kompromisses nicht passt. Doch will die Mitte die Rolle des Brückenbauers für sich beanspruchen, mit der Gerhard Pfister im Wahlkampf gepunktet hat, muss sie sich aus der Deckung wagen und klare Positionen verteidigen. Bundespräsidentin Viola Amherd hat die Hand in einem ersten Dossier ausgestreckt. Es ist wird sich sehr bald zeigen, ob die Partei ihr folgt.

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01.01.2024

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Das Jahr der Mitte: Ist die Partei bereit, den Worten nun Taten folgen zu lassen?

Nach dem Erfolg bei den nationalen Wahlen steht die Mitte-Partei im neuen Jahr in der Pflicht: Sie ist in beiden Räten Mehrheitsmacherin, und mit Viola Amherd stellt sie die Bundespräsidentin. Grundlegende Entscheide stehen bevor, zur Altersvorsorge, zur Finanz- und Europapolitik. Will sie ihrer Rolle gerecht werden, muss die Mitte vorangehen.

Anna Wanner 01.01.2024, 05.00 Uhr

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Stehen 2024 in der Pflicht: Die neue Bundespräsidentin Viola Amherd und Mitte-Chef Gerhard Pfister.

Peter Schneider / KEYSTONE

Wir können zunächst einmal zurückblicken - und froh sein. Die Schweiz bewältigt Krisen erstaunlich gut. Eine traditionsreiche Grossbank verschwindet von einem Tag auf den nächsten. Doch Land und Leute tragen kaum Schaden davon. Im Osten Europas herrscht seit zwei Jahren Krieg, das Schweizer Asylwesen registriert aktuell rund 68'000 ukrainische Flüchtlinge. Ohne grosses Aufheben sind sie in der Gesellschaft integriert. Und auch bei der erneuerbaren Energie hat die Sorge um die Stromknappheit für Umdenken gesorgt: Obwohl die Fördermittel noch nicht gross fliessen, bauen Hausbesitzer Solaranlagen auf eigene Kosten aufs Dach. Das ist gelebte Eigenverantwortung.

Wenn die neue Bundespräsidentin Viola Amherd optimistisch ins neue Jahr startet, dann tut sie das also mit gutem Recht.

Gefahr der Überheblichkeit

Doch der Stolz über das Geleistete darf nicht zu Überheblichkeit führen. Denn bei näherer Betrachtung zeigen sich Risse in der schönen Fassade: Die Schweiz trägt nun die Hypothek einer Monsterbank. Im Kampf um westliche Werte, namentlich in der Ukraine, ist ihr Beitrag beschämend bescheiden. Und was das Klima betrifft, ist der CO2-Ausstoss hierzulande nach wie vor gross.

Das ist die Ausgangslage Anfang 2024. Ein Jahr, in dem Bundespräsidentin Amherd eine Führungsrolle zufällt, auf die sie vorbereitet scheint. Zumindest erklärte sie gegenüber der «Sonntagszeitung» die Verhandlungen mit der EU zur Priorität: Bis im November will sie diese abschliessen. Das Dossier erachte sie als «entscheidend» für die Schweiz. Sie habe Aussenminister Ignazio Cassis ihre Unterstützung angeboten, «wo immer es mich als Bundespräsidentin braucht».

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