Zwei Jahre nach Kriegsbeginn in der Ukraine macht sich Müdigkeit breit. Das ist gefährlich. Spätestens der brutale Umgang mit dem Kreml-Kritiker muss aufrütteln.

Die Argumente wurden alle bis zur Ermüdung vorgetragen. Die Ukraine dürfe nicht verlieren – der Satz ist zum politischen Mantra der vergangenen beiden Jahre geworden. Der Westen müsse mehr tun – ein Allgemeinplatz mit der Schlagkraft einer Platzpatrone. Der zweite Jahrestag dieses Krieges drohte die Ermattung des Westens noch einmal in all seiner Tragik offenzulegen. Floskeln hier, Worthülsen dort. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Wladimir Putin dafür sorgen würde, dass sich die Muskeln der müden Krieger wieder anspannen. Mit dem Tod seines Kritikers Alexej Nawalny hat der russische Präsident abermals eindrucksvoll vor Augen geführt, wie eine Welt aussieht, in der er das Sagen hat.

Putin allein bestimmt, wer das Recht auf Leben hat, er allein bestimmt, dass sich ein jeder seinem Großmachtstreben unterzuordnen hat. Noch nicht einmal der Trauer von Nawalnys Mutter kann er mit einem Mindestmaß an Respekt begegnen. Sollte Russland diesen Krieg gewinnen, muss sich der Westen den bitteren Vorwurf gefallen lassen, den Kampf um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und ja, auch politischen Anstand feige verraten zu haben. Wie hoch die Kosten dafür sein werden, lässt sich heute noch kaum ermessen. Doch so viel muss jedem klar sein: Sie werden gewaltig sein. Finanziell und gesellschaftlich.

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Putins Aggression ist nichts, was uns egal sein kann, weil „nur“ die Ukrainerinnen und Ukrainer dafür bezahlen. Er führt keinen Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen den Westen und all unsere Werte. Der Präsident lässt nicht einmal den Hauch eines Zweifels daran, dass er nicht eher zufrieden sein wird, ehe der imperialistische Hunger gestillt ist. Nicht Bürger, sondern Untertanen sollen ihn bejubeln. Putin macht nicht einfach nur Politik, er sieht sich als Erfüller eines größeren, eines historischen Auftrags. Völkerrechtliche Prinzipien, die den Frieden in Europa so lange bewahrt haben, sind für ihn nichts weiter als unnötiger Ballast.

Neu ist diese Erkenntnis nicht, aber vielleicht hat Nawalnys Tod zumindest noch einmal für Klarheit gesorgt. „Ohne Frieden ist alles nichts“, hat Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt. Allen voran er selbst sollte sich diesen Satz zu Herzen nehmen und prüfen, ob er ihn wirklich ernst meint. Dass er der Ukraine noch immer die Lieferung von Taurus-Raketen verweigert, zeugt nicht davon. Natürlich ist es Aufgabe eines Bundeskanzlers, Entscheidungen von einer solchen Reichweite genau abzuwägen. Scholz weiß, dass er mit seiner zögerlichen Haltung große Teile der deutschen Gesellschaft hinter sich hat. Doch politische Verantwortung bedeutet eben, zu erklären, warum es manchmal großen Mutes bedarf, um auch künftigen Generationen noch ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit zu garantieren, ein Leben, in dem es einem Größenwahnsinnigen nicht ermöglicht wird, mit Drohungen und Einschüchterungen zum Ziel zu kommen.

Die Ukraine mag kein perfektes Land sein. Die Korruption reicht in viele Winkel des Staates. Wolodymyr Selenskyj verwechselt manchmal Führungsstärke mit Alleinherrschaft. Und manche Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, wären besser beraten, ihr Land zu unterstützen. Doch im Gegensatz zu Putins Russland ist es in der Ukraine möglich, die Dinge beim Namen zu nennen. Selbst Soldaten trauen sich, öffentlich Kritik zu üben. Die Ukraine ist ein Land, das sich auf den Weg gemacht hat in Richtung Demokratie – angekommen ist es längst nicht. Die Menschen haben es verdient, dass wir sie dabei unterstützen.

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QOSHE - Nawalnys Tod muss für den Westen ein Warnschuss sein - Margit Hufnagel
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Nawalnys Tod muss für den Westen ein Warnschuss sein

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23.02.2024

Zwei Jahre nach Kriegsbeginn in der Ukraine macht sich Müdigkeit breit. Das ist gefährlich. Spätestens der brutale Umgang mit dem Kreml-Kritiker muss aufrütteln.

Die Argumente wurden alle bis zur Ermüdung vorgetragen. Die Ukraine dürfe nicht verlieren – der Satz ist zum politischen Mantra der vergangenen beiden Jahre geworden. Der Westen müsse mehr tun – ein Allgemeinplatz mit der Schlagkraft einer Platzpatrone. Der zweite Jahrestag dieses Krieges drohte die Ermattung des Westens noch einmal in all seiner Tragik offenzulegen. Floskeln hier, Worthülsen dort. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Wladimir Putin dafür sorgen würde, dass sich die Muskeln der müden Krieger wieder anspannen. Mit dem Tod seines Kritikers Alexej Nawalny hat der russische Präsident abermals eindrucksvoll vor Augen geführt, wie eine Welt aussieht, in der er das Sagen hat.

Putin allein bestimmt, wer das Recht auf Leben hat, er allein bestimmt, dass sich ein jeder seinem Großmachtstreben unterzuordnen hat. Noch nicht einmal der Trauer von Nawalnys Mutter kann er mit einem Mindestmaß an Respekt begegnen. Sollte........

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