München - Schon als Kind wollte Thomas Tuchel immer zur Ispo – hat nie geklappt. Die 140 Kilometer von Krumbach nach München waren irgendwie nie drin. Aber jetzt, mit 50, hat er’s endlich geschafft, als einer der sogenannten Highlight-Gäste auf der großen Bühne in Halle B1.

Und international wie die größte Sportmesse der Welt nun mal ist, wurde dort englisch gesprochen – no problem für den weit gereisten Bayern-Coach. Das Oberthema der Veranstaltung war grob gesagt die Zukunft des Sports, und auch dazu hat Tuchel natürlich eine Antwort parat: "Sport ist das beste, was wir haben, und das wird sich auch nicht ändern."

Gut eine Stunde und damit doppelt so lang wie all seine Vorredner wird Tuchel von der Moderatorin ins Gebet genommen. Wie das denn so war mit den Superstars in Paris und bei Chelsea, will sie wissen. "Sie haben mich zu einem besseren Coach gemacht", sagt er, "an jedem einzelnen Tag. Und jeder dieser Tage war ein Vergnügen." Ob er da ein bissl was verklärt? Nicht doch! "All diese Erfahrungen lassen mich nun meine Spieler besser verstehen, haben meinen Horizont geöffnet, so dass ich nun besser weiß, warum sich mancher Spieler so verhält."

Die Arbeit an klangvollen Trainerstationen hat für Tuchel immer auch private Herausforderungen mit sich gebracht. "Wir mussten immer ein neues Zuhause bauen und haben das jedes Mal gemacht. Wir waren immer mit der ganzen Familie unterwegs", sagte der Bayern-Trainer. "Jetzt hat sich meine persönliche familiäre Situation leider ein bisschen geändert durch meine Scheidung. Bis dahin war es normal für uns und sehr schön, dass wir immer als Familie unterwegs waren."

Für seine Frau und die Töchter (12 und 14) sei das nicht immer einfach gewesen, sagte Tuchel. "Sie mussten ihre Freunde, ihre Schulen verlassen und wieder von vorne anfangen. Es gibt immer zwei Seiten. Aber wir hatten immer ein Zuhause, wo ich mich sicher und ruhig fühlen konnte und völlig privat", berichtete Tuchel. "Ich habe mehr und mehr gemerkt, dass ich bestimmte Plätze brauche in einer Wohnung oder einem Haus. Wo ich ein Buch lesen, eine Tasse Kaffee trinken kann."

Diese Auszeit findet Tuchel jetzt auch wieder öfters in seinem Heimatort Krumbach, "wo meine Eltern leben, wo meine Großmutter immer noch lebt. Wo ich in letzter Zeit wieder viel öfter bin, was ganz lustig ist. Wenn ich die Tür zum Haus öffne, wo meine Eltern immer noch leben, bin ich einfach nur der Sohn, der nach Hause kommt, und das ist sehr schön. Ich entdecke das alles jetzt mit meiner neuen privaten Situation. Ich kann dort sehr gut abschalten, ich selbst sein, wenn ich die Tür schließe. Da muss ich mich nicht um andere Meinungen kümmern."

Nächstes Thema: Data. Schön und gut alle möglichen Daten über Spieler zu haben, findet Tuchel, aber: "Man sollte nicht vergessen, sich auf seine Erfahrung zu verlassen. Man muss die Daten finden, die zum eigenen Stil passen, sich nicht irritieren lassen. Spieler sollten nicht mittels Daten gecoacht werden."

Schon wichtiger: die mentale Seite des Sports. In Dortmund habe er mal mit dem Team eine Meditation gemacht – für einige sei das Neuland gewesen. In Chelsea habe es einen Inder gegeben, der eine Mischung aus Yoga, Pilates und Tiefenentspannung angeboten habe, die ihm sehr geholfen habe, Stress zu reduzieren und Kräfte zu sammeln. "Mir ist es wichtig, ein nach innen hin freundliches und nach außen ein aggressives Team zu haben."

Und weiter: Spielintelligenz. Definiert Tuchel so: Antizipation, Führungsstärke und die Fähigkeit auf dem Platz unter Druck Lösungen zu finden. Intuition gehöre auch dazu, und da hat er das Beispiel des Feuerwehrmanns, der seine Leute aus dem brennenden Haus schickt, was kurz darauf explodiert: "Der Mann hat das gefühlt – ohne es zu wissen." Dass er die Gabe besitzt, in Sachen Fußball manche Dinge früher zu erkennen als andere, streitet er nicht ab: "Ich kann komplexe Situationen auf dem Platz schnell analysieren, bin in Gedanken oft einen Schritt voraus – manchmal auch mir selbst."

In der Schule sei das nicht so gewesen, da habe er sich mit dem Lernen quälen müssen. Erst beim Coaching habe er gemerkt: ‚Hier bin ich am richtigen Platz!’ Ergo: "Hör auf dein Bauchgefühl!" Fußball erklären mache er nicht gern: "Erklärt ein Maler sein Bild in sechs Pressekonferenzen? Wir reden zu viel im Fußball. Gestern hatte ich eine PK, morgen die nächste – es gibt keine News dazwischen!"

Dann noch ein paar Anekdoten: Als er in Chelsea mal ein paar Wochen in Abramovics Cottage auf der Klubanlage wohnen konnte, wie er Peter Czech öfter beim Gassigehen traf, dass ihn seine Töchter in Sachen Nachhaltigkeit aufklären und er auf Netflix außer Fußball und Fußball-Dokus auch mal eine Serie wie "Succession" schaut – wenn er nicht in dem immer gern zitierten guten Buch liest. Vom Selbstbild her also einer wie Jürgen Klopp: "Wir versuchen, ziemlich normale Kerle zu sein." Frohes Gelingen!

QOSHE - "Mussten immer neues Zuhause bauen": Tuchel spricht über seine Scheidung - Thomas Becker
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"Mussten immer neues Zuhause bauen": Tuchel spricht über seine Scheidung

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01.12.2023

München - Schon als Kind wollte Thomas Tuchel immer zur Ispo – hat nie geklappt. Die 140 Kilometer von Krumbach nach München waren irgendwie nie drin. Aber jetzt, mit 50, hat er’s endlich geschafft, als einer der sogenannten Highlight-Gäste auf der großen Bühne in Halle B1.

Und international wie die größte Sportmesse der Welt nun mal ist, wurde dort englisch gesprochen – no problem für den weit gereisten Bayern-Coach. Das Oberthema der Veranstaltung war grob gesagt die Zukunft des Sports, und auch dazu hat Tuchel natürlich eine Antwort parat: "Sport ist das beste, was wir haben, und das wird sich auch nicht ändern."

Gut eine Stunde und damit doppelt so lang wie all seine Vorredner wird Tuchel von der Moderatorin ins Gebet genommen. Wie das denn so war mit den Superstars in Paris und bei Chelsea, will sie wissen. "Sie haben mich zu einem besseren Coach gemacht", sagt er, "an jedem einzelnen Tag. Und jeder dieser Tage war ein Vergnügen." Ob er da ein bissl was verklärt? Nicht doch! "All diese Erfahrungen lassen mich nun meine Spieler besser verstehen, haben meinen Horizont geöffnet, so dass ich nun besser weiß, warum sich mancher Spieler so verhält."

Die Arbeit an klangvollen Trainerstationen........

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