München - Dass Thomas Tuchel ob der angespannten Personallage beim FC Bayern unaufhörlich Trübsal bläst oder wortreich über die Misere klagt, das kann wahrlich keiner behaupten. Wer den Trainer des Rekordmeisters zuletzt an der Seitenlinie beobachtete, der sah vielmehr eine kämpferische Ausgabe des gebürtigen Schwaben, der sah einen Tuchel, der sich ins Zeug legt und auch mal mit dem Gegner anlegt. Sinnbildlich dafür war das von den TV-Mikros eingefangene Wortgefecht des 50-Jährigen mit dem Augsburger Sportdirektor Marinko Jurendic.

Auch wenn man Tuchel in dieser Saison schon anders – nämlich mäkelnd – erlebte, es wäre angesichts dieser Bilder tollkühn zu behaupten, der Bayern-Coach identifiziere sich nicht mit seiner Münchner Mission und sei mit den Gedanken ganz woanders – zum Beispiel in Spanien. Lauschte man am Wochenende allerdings den Ausführungen von Sky-Chefkritiker Dietmar "Didi" Hamann, dann rückten dessen Kommentare Tuchel eher in die Richtung eines Trainers, der sich mit Abwanderungsszenarien beschäftigt. Hamann trug ziemlich dick auf.

"Tuchel und der Bayern München ist das größte Missverständnis seit Jürgen Klinsmann. Es passt nicht zusammen – und er weiß das mittlerweile auch. Er hat sich mit vielen Spielern angelegt, die Stimmung in der Mannschaft ist nicht gut", sagte Hamann in der Talkshow "Sky 90". Vorausgegangen war der Fanklubbesuch Tuchels bei den "Red Stars Heidenheim" auf der schwäbischen Ostalb. Bei all der Folklore, die diesen traditionellen Ausflügen beiwohnt, Tuchel zum Beispiel musste Maßkrug-Stemmen und schlug sich beachtlich, sie sind gerne auch ein Quell neuer Debattenanstöße.

Tuchel hat ganze Arbeit geleistet, als er darüber sinnierte, dass ihn perspektivisch auch nochmal ein Engagement im Ausland, im Speziellen in Spanien, reizen würde. Ob man diese Gedanken frank und frei äußern sollte in einer Umgebung, wo jeder ein Hohelied auf den FC Bayern erwartet? Ansichtssache. Er wurde gefragt und hat offenkundig ehrlich geantwortet.

Kurz nachdem Xavi seinen Abschied als Trainer des FC Barcelona angekündigt hatte, stießen die Tuchelschen Überlegungen aber beim ein oder anderen auf Unverständnis – vor allem bei Hamann. "Dann setzt sich der hin und redet über Xavi, über die Nachfolge und dass er gerne mal in Barcelona oder Spanien trainieren würde. Das ist eine Frechheit", sagte der Ex-Nationalspieler: "Er ist ein sehr intelligenter Mann, so etwas rutscht ihm nicht einfach so raus. Nur er muss eins wissen: Wenn du Angestellter vom FC Bayern bist, sich mit der Führung anzulegen – das war selten eine gute Idee."

Zwar ist bekannt, dass Tuchel (Vertrag bis 2025) nicht immer aus diplomatischen Abwägungen heraus spricht, er ist keiner, der sich Dinge übermäßig verkneift. Das Stichwort "Holding six" vom Ende der letzten Sommer-Transferperiode sollte als Erklärung genügen. Aber die angesprochene Führung empfand seine Äußerungen nicht als Affront, im Gegenteil.

Vorstandschef Jan-Christian Dreesen und Sportdirektor Christoph Freund verteidigten Tuchel per gemeinsamer offizieller Klub-Stellungnahme (!). Thomas Tuchel "sprach niemals über Xavi Hernández und dessen Nachfolge, wie danach fälschlich behauptet wurde", stellte das Duo klar, und attackierte Hamann, ohne ihn direkt beim Namen zu nennen: "Wir werden solche unsachlichen, gegen unseren Trainer gerichteten Aussagen, die immer aus derselben Ecke kommen, nicht mehr akzeptieren." Was das exakt bedeutet – offen.

Tuchel und der FC Bayern haben wegweisende Wochen vor sich. Der Bundesliga-Gipfel bei Tabellenführer Bayer 04 Leverkusen (10. Februar), das anschließende Champions-League-Achtelfinale gegen Lazio Rom: Im Februar wird es ernst. Im Moment erlebt die Öffentlichkeit eine demonstrative rote Geschlossenheit, die auch Thomas Müller artikuliert, obwohl der Ur-Bayer eher mit einer Nebenrolle bedacht wird. Beim 3:2 in Augsburg kam Müller erst in der 89. Minute. "Wir sind eh eine kleine Gruppe, deshalb müssen wir zusammenhalten", sagte der 34-Jährige. Störgeräusche jeder Art – wie jene von Hamann – sollen offensichtlich im Keim erstickt werden.

QOSHE - Tuchel wird zum Antreiber gegen den Strom – und zieht die Bosse mit - Ruben Stark
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Tuchel wird zum Antreiber gegen den Strom – und zieht die Bosse mit

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29.01.2024

München - Dass Thomas Tuchel ob der angespannten Personallage beim FC Bayern unaufhörlich Trübsal bläst oder wortreich über die Misere klagt, das kann wahrlich keiner behaupten. Wer den Trainer des Rekordmeisters zuletzt an der Seitenlinie beobachtete, der sah vielmehr eine kämpferische Ausgabe des gebürtigen Schwaben, der sah einen Tuchel, der sich ins Zeug legt und auch mal mit dem Gegner anlegt. Sinnbildlich dafür war das von den TV-Mikros eingefangene Wortgefecht des 50-Jährigen mit dem Augsburger Sportdirektor Marinko Jurendic.

Auch wenn man Tuchel in dieser Saison schon anders – nämlich mäkelnd – erlebte, es wäre angesichts dieser Bilder tollkühn zu behaupten, der Bayern-Coach identifiziere sich nicht mit seiner Münchner Mission und sei mit den Gedanken ganz woanders – zum Beispiel in Spanien. Lauschte man am Wochenende allerdings den Ausführungen von Sky-Chefkritiker Dietmar "Didi" Hamann, dann rückten dessen Kommentare Tuchel eher in die Richtung eines Trainers, der sich mit........

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