Sankt Petersburg - Eine kleine Gruppe Somalier steht frierend auf einem verschneiten Platz in Sankt Petersburg. Erfolglos haben sie bereits versucht, die EU-Außengrenze zu Polen und Estland zu überqueren. Nun ist Finnland ihre Hoffnung. Einige einheimische Taxifahrer kommen auf sie zu.

Die Verhandlungen gestalten sich schwierig, da die Flüchtlinge kein Russisch und schlecht Englisch sprechen. Einig wird man sich nicht. Ein Taxifahrer würde vier Flüchtlinge für 1.000 Euro zur Grenze bringen, die Flüchtlinge wollen für 600 US-Dollar mit zwei Autos fahren.

Die Szene wurde miterlebt von einem Reporter der Sankt Petersburger Stadtzeitung "Fontanka". Der Journalist weiß auch, wie die Reise der Flüchtlinge weitergeht. Kurz vor der Grenze verlassen sie das Auto, bekommen gegen weitere Bezahlung ein klappriges Fahrrad und versuchen, damit über die Grenze zu kommen.

Die Fahrt ist auch deshalb so teuer, weil die Strecke zum nächsten offenen Grenzübergang von Sankt Petersburg aus inzwischen 700 Kilometer beträgt. Finnland hat die vier Übergänge geschlossen, die direkt zwischen Sankt Petersburg und Helsinki liegen und zu denen der Weg nur 200 Kilometer lang wäre. Am letzten Tag vor der Grenzschließung meldete der finnische Grenzschutz 220 ankommende Flüchtlinge, am ersten danach 71.

Nun wurde der Grenzübertritt mit Fahrrädern von finnischer Seite gesperrt. Daraufhin sind die Geflüchteten teilweise auf Tretroller umgestiegen, wie Fotos finnischer Medien zeigen. Abgeschaut hatten sie sich den Radverkehr von vielen Russen.

Durch einen Beschluss der EU-Kommission sind Autos mit russischer Zulassung bei einem Grenzübertritt von einer Beschlagnahme bedroht. Nach dem Erlass stiegen russische Pendler auf das Fahrrad um, das neben zwei Buslinien die einzige Möglichkeit des Landverkehrs zu den Finnen war. Die Buslinien wurden nun eingestellt, da sie über die geschlossenen Grenzübergänge führten.

Der Grenzverkehr ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine zusammengeschrumpft. Finnland erteilt Visa an Russen nur noch sehr restriktiv. Russischstämmige Doppelstaatler und Auslandsrussen sind jedoch die größte Gruppe von Nichteinheimischen in Finnland, knapp 50.000 leben dort. Sie stellen den größten Teil der Reisenden.

Gegen die Grenzschließungen organisierten sie am Samstag vor dem Parlament in Helsinki eine Demonstration. Neben ihnen sind auch Finnen aus der Grenzregion sauer, die bisher die günstigeren Benzinpreise in Russland zum Tanken nutzten.

EU-Politiker und einige Experten werfen Russland vor, dass der Kreml Migranten als Instrument zur Destabilisierung des Westens einsetzt, also aktiv in die EU schleust.

Auch viele Finnen glauben daran. Das russische Außenministerium weist das von sich. Belegt ist, dass Migranten aktuell einfach Visa für Russland bekommen und dass der russische Grenzschutz Migranten in die EU ungehindert passieren lässt, wenn sie für die Weiterreise keine nötigen Papiere besitzen.

Aufgrund der angespannten Situation rechnet die Moskauer Zeitung "Kommersant" mit weiteren Schließungen von Übergängen, vielleicht sogar einer kompletten Einstellung des Reiseverkehrs zwischen Russland, dem Baltikum, Finnland und Norwegen. Dazu passt die Aussage der finnischen Innenministerin Mari Rantanen: "Die Regierung ist bereit, bei Bedarf noch drastischere Maßnahmen zu ergreifen."

Die Grenzschließungen wirken sich auch massiv auf ukrainische Kriegsflüchtlinge aus. Wer aus russisch besetzten Gebieten der Ukraine weg will, hat keine andere Wahl, als den Weg über Russland in die EU zu nehmen. Denn die Front zwischen den ukrainischen und russischen Truppen ist für Zivilisten unpassierbar.

Durch Russland kommen die Ukrainer über ein privat organisiertes Netzwerk von Russen, die mit dem Krieg nicht einverstanden sind. Die Hilfe ist gefährlich, wird von den Behörden nicht gerne gesehen. Jekaterina Jewtschenko vom Flüchtlingshilfezentrum in Sankt Petersburg schlägt wegen der Schließung der finnischen Grenzübergänge in der liberalen Onlinezeitung "Bumaga" Alarm.

Nun sei nur noch ein Grenzübergang zu Estland ein Nadelöhr, über das die Ukrainer Russland verlassen könnten. Dort sei die Einreise nur zu Fuß möglich, auch für Alte, Kranke und kleine Kinder. Sie kündigte Gespräche mit den finnischen Behörden an, um Ausnahmegenehmigungen für kranke Kriegsflüchtlinge und Krankenwagentransporte zu erreichen. Tragisch ist auch, dass die Abriegelung der EU-Ostgrenze vor allem die Russen trifft, die weiter zum nach Ansicht des Kreml "unfreundlichen Ausland" Kontakt halten wollen. Sie werden in Russland eingesperrt.

QOSHE - Russland macht die Grenzen dicht: Auch die EU ist massiv betroffen - Roland Bathon
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Russland macht die Grenzen dicht: Auch die EU ist massiv betroffen

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16.12.2023

Sankt Petersburg - Eine kleine Gruppe Somalier steht frierend auf einem verschneiten Platz in Sankt Petersburg. Erfolglos haben sie bereits versucht, die EU-Außengrenze zu Polen und Estland zu überqueren. Nun ist Finnland ihre Hoffnung. Einige einheimische Taxifahrer kommen auf sie zu.

Die Verhandlungen gestalten sich schwierig, da die Flüchtlinge kein Russisch und schlecht Englisch sprechen. Einig wird man sich nicht. Ein Taxifahrer würde vier Flüchtlinge für 1.000 Euro zur Grenze bringen, die Flüchtlinge wollen für 600 US-Dollar mit zwei Autos fahren.

Die Szene wurde miterlebt von einem Reporter der Sankt Petersburger Stadtzeitung "Fontanka". Der Journalist weiß auch, wie die Reise der Flüchtlinge weitergeht. Kurz vor der Grenze verlassen sie das Auto, bekommen gegen weitere Bezahlung ein klappriges Fahrrad und versuchen, damit über die Grenze zu kommen.

Die Fahrt ist auch deshalb so teuer, weil die Strecke zum nächsten offenen Grenzübergang von Sankt Petersburg aus inzwischen 700 Kilometer beträgt. Finnland hat die vier Übergänge geschlossen, die direkt zwischen Sankt Petersburg und Helsinki liegen und zu denen der Weg nur 200........

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