Berlin/München - Zum letzten Mal Kontakt zu Alexej Nawalny hatten die Anwälte des russischen Oppositionellen am 5. Dezember. Am 11. Dezember wurden sie von der Haftanstalt in der russischen Region Wladimir, wo er einsaß informiert, dass er nicht mehr dort sei - ohne jegliche weitere Information über sein Schicksal. Bereits zuvor war der sonst regelmäßige Videokontakt mit ihm abgerissen. Seither herrscht Rätselraten, was mit dem 47-Jährigen geschehen ist.

Einen Tag nach der Mitteilung der Haftanstalt berichtete der russische Telegramkanal Baza ohne Angabe von Quellen, Nawalny sei im Zuge weiterer Ermittlungen gegen ihn nach Moskau verlegt worden. Verbindungsleute von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK konnten ihn in den in Frage kommenden Gefängnissen jedoch nicht aufspüren. Auch Gerüchte über eine Erkrankung Nawalnys und den Transport in eine Klinik haben sich laut seiner Pressesprecherin Kira Jarmysch nicht bestätigt.

Sicher ist, dass dem russischen Politestablishment daran gelegen ist, Nawalnys Aufenthaltsort nicht zu einem noch größeren Thema werden zu lassen. Bei Putins dreieinhalbstündigem "Bürgerdialog" am Donnerstag wurden Fragen nach der Symbolfigur des Widerstandes gegen den Kremlchef ausgefiltert, die es unter 2,5 Millionen Gesuchen sicher gegeben hatte. Bei früheren Gelegenheiten hatte der greise Präsident noch kein Problem damit, kritische Nachfragen zum Schicksal seines Gegners zu beantworten.

Auch Kremlsprecher Dmitri Peskow teilte vor wenigen Tagen auf Nachfrage mit, der Kreml verfolge angeblich nicht, wo Nawalny sei. Zuvor hatte sich US-Außenminister Antony Blinken öffentlich Sorgen über dessen Schicksal gemacht, was Peskow als inakzeptable Intervention bezeichnete. Iwan Schdanow von FBK glaubt daran, dass Nawalny nicht zufällig im zeitlichen Umfeld von Putins erster Ankündigung verschwunden ist, bei der Präsidentschaftswahl 2024 wieder anzutreten.

Im Gespräch mit der Deutschen Welle gibt er als Motiv der Kreml-Verwaltung an, dass man dort versuche, Nawalny vollständig zu isolieren. Dessen Organisation hatte erst wenige Tage zuvor verdeckt in russischen Städten Plakate mit Neujahrswünschen an Russland lanciert. Scannte man mit dem Handy den auf dem Plakat angebrachten QR-Code, wurde man zur Homepage "Russland ohne Putin" weitergeleitet. Solche Störungen kann der durchgeplante Wahlkampf für den seit 2000 herrschenden Präsidenten nicht brauchen.

Doch wo ist Nawalny? Hierzu befragte der in Tschechien beheimatete exilrussische TV-Sender Nastojaschtscheje Wremja die Menschenrechtsaktivistin Olga Romanowa. Sie ist Gründerin der Gefangenenhilfsorganisation "Russland hinter Gittern" und gilt als eine der wichtigsten kritischen Experten der russischen Gefängniswelt. Sie glaubt nicht, dass sich Nawalny in Moskau befindet. Neue Ermittlungen würden eine neue Anklage erfordern, die öffentliche Aufmerksamkeit erwecken würde. Das sei nicht im Sinne der Herrschenden, ihnen sei eher daran gelegen, "Alexej Nawalny den Kontakt zur Außenwelt so schwer wie möglich zu machen".

Vielmehr hält sie es für wahrscheinlich, dass Nawalny in ein Lager in einer entlegenen Region des riesigen Reiches gebracht wurde. Es sei im russischen Strafvollzug nicht außergewöhnlich, dass es solche Verlegungen gäbe, die vor Anwälten und Verwandten verborgen werden. Wenn es sich um eine Verlegung handele, würde sie ihn in Strafkolonien suchen, die sich "an den ungünstigsten Orten befinden: Sibirien oder die Arktis". Je länger Nawalny verschwunden bleibe, umso mehr spräche dafür.

Zwei andere Möglichkeiten wollte Romanowa im Interview nicht ausschließen. Es sei tatsächlich möglich, dass Nawalny krank geworden sei und man ihn so nicht in der Öffentlichkeit zeigen wolle. Auch halte sie es für denkbar, dass er zu einem Gefangenenaustausch vorbereitet wird, etwa gegen den in Berlin verhafteten Wadim Krassikow. Der sitzt aktuell in lebenslanger Haft für den sogenannten Tiergartenmord in der deutschen Hauptstadt. 2022 sagte das Mitglied des US-Sicherheitsrates John Kirby, die russische Regierung wolle Krassikow, der für den russischen Geheimdienst gearbeitet haben soll, auf diese Weise frei bekommen. Dafür müsste sie allerdings einen prominenten eigenen Gefangenen anbieten.

Alexej Nawalny verbüßt in Russland aktuell eine Haftstrafe von 19 Jahren, offiziell wegen der Veruntreuung von Stiftungsgeldern, der Beleidigung einer Richterin sowie der Gründung und Finanzierung einer angeblich extremistischen Organisation. Vor seiner Verhaftung war er aus Deutschland eingereist, wo er sich von einem Giftanschlag erholt hatte. Er gilt als einer der schärfsten und einflussreichsten Gegner des Regierungssystems von Putin. Experten halten es für denkbar, dass Putins schärfster Gegner nach Sibirien verlegt wurde. Auch ein bevorstehender Austausch wäre möglich

QOSHE - Inhaftierter Putin-Gegner: Aufenthaltsort von Alexej Nawalny weiter ... - Roland Bathon
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Inhaftierter Putin-Gegner: Aufenthaltsort von Alexej Nawalny weiter ...

8 0
20.12.2023

Berlin/München - Zum letzten Mal Kontakt zu Alexej Nawalny hatten die Anwälte des russischen Oppositionellen am 5. Dezember. Am 11. Dezember wurden sie von der Haftanstalt in der russischen Region Wladimir, wo er einsaß informiert, dass er nicht mehr dort sei - ohne jegliche weitere Information über sein Schicksal. Bereits zuvor war der sonst regelmäßige Videokontakt mit ihm abgerissen. Seither herrscht Rätselraten, was mit dem 47-Jährigen geschehen ist.

Einen Tag nach der Mitteilung der Haftanstalt berichtete der russische Telegramkanal Baza ohne Angabe von Quellen, Nawalny sei im Zuge weiterer Ermittlungen gegen ihn nach Moskau verlegt worden. Verbindungsleute von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK konnten ihn in den in Frage kommenden Gefängnissen jedoch nicht aufspüren. Auch Gerüchte über eine Erkrankung Nawalnys und den Transport in eine Klinik haben sich laut seiner Pressesprecherin Kira Jarmysch nicht bestätigt.

Sicher ist, dass dem russischen Politestablishment daran gelegen ist, Nawalnys Aufenthaltsort nicht zu einem noch größeren Thema werden zu lassen. Bei Putins dreieinhalbstündigem "Bürgerdialog" am Donnerstag wurden Fragen nach der Symbolfigur des........

© Abendzeitung München


Get it on Google Play