München - Wissen Sie, wie der Schriftsteller Ödön von Horváth ums Leben gekommen ist? Er wurde 1939 bei einem Gewitter auf der Champs-Élysées in Paris von einem herabfallenden Ast erschlagen. Oder hatten Sie folgende Nachrichtenmeldungen mitbekommen? Im Mai 2014 starb in der Nähe von Potsdam ein Radfahrer, nachdem er von einem herabstürzenden Ast getroffen worden war.

Und erst im Mai 2022 starb ein 68 Jahre alter Radfahrer in Moos am Bodensee noch am Unfallort, nachdem ihn auf dem Radweg ein herabfallender Ast einer Pappel am Kopf traf. Er hatte sogar einen Helm getragen.

Jürgen Schilling (75) aus Sendling wäre es vor gut sechs Wochen, also noch deutlich vor dem Jahrhundertschnee der letzten Wochen, um ein Haar ähnlich ergangen. Der Münchner ist passionierter Radler. "Schon vor 35 Jahren bin ich von meinem Auto für immer aufs Radl umgestiegen und erledige seitdem in München alles mit meinem Rad", erzählt er der AZ. Das soll auch weiterhin so bleiben. Doch der Schock vom 2. November sitzt tief.

An jenem Donnerstag, so berichtet er, machte er sich mittags von Sendling aus auf den Weg in die Pettenkoferstraße, um einen Arzttermin wahrzunehmen. Auf seiner Route stadteinwärts sei er "regelkonform – wie es sich gehört – auf der rechten Seite der Lindwurmstraße geradelt", als es kurz vor der Einmündung der Implerstraße passierte: "Ein etwa drei Meter langer, dicker Ast ist mit einem Riesenknall direkt vor mein Radl gekracht", erzählt Jürgen Schilling. Dabei sei es an dem Tag überhaupt nicht windig gewesen. "Der Ast", so erzählt Schilling, und die Aufregung ist ihm auch jetzt noch anzuhören, "kam von ganz oben und ist mit einem solchen Knall aufgeschlagen, dass er entzweigebrochen" ist.

Dennoch gelingt es ihm, schnell genug zu reagieren: "In letzter Sekunde konnte ich mein Radl noch herumreißen" und so dem Ast gerade noch ausweichen", schildert Jürgen Schilling weiter. Weil der Radweg aber nass und voller Laub war, "hat es mich voll hingehauen". Seine dicke Jacke habe den Sturz etwas abgefedert, die Schulter schmerze aber auch jetzt Wochen später immer noch sehr.

Und vor allem der Schreck sitzt tief: "Wenn ich nur einen Augenaufschlag, ein bis zwei Sekunden eher an der Stelle gewesen wäre, hätte mich der Ast am Kopf schwer oder gar tödlich verletzen können", so Schilling. "Ich danke dem Himmel, dass es mich nicht erwischt hat. Ich hatte ein Riesen-Schwein!"

Seinen Arzttermin nahm Schilling dennoch wahr, auf dem Rückweg aber begutachtete er noch einmal die Unfallstelle. Der lange Ast war inzwischen auf den Gehweg gelegt worden. Er machte Fotos und nahm das "corpus delicti" mit nach Hause – "zur Erinnerung, was ich für einen Riesen-Schutzengel gehabt habe". Und noch heute schaue er jedes Mal nach oben, so erzählt er, wenn er an der Stelle vorbeifahre. "Das ist jetzt schon wie ein Reflex." An der Stelle, so berichtet er, sei der Radweg sehr schmal, der Gehweg deutlich breiter. "Das hätte also auch einen Fußgänger voll erwischen können."

Das Beinahe-Unglück, die "Causa herabstürzender Ast", wie er es nennt, geht Jürgen Schilling nicht aus dem Kopf. "Jedem, dem man das erzählt, der sagt, das ist Wahnsinn", sagt er. "Da läuft es jedem eiskalt über den Rücken. Und alle sind ratlos, wie man sich davor schützen kann", erzählt Schilling. Er fragt sich zudem, ob und wie oft die Stadt wohl die Bäume in der Stadt kontrolliert? Dies, so scheint es Schilling, sei "eine Grauzone". "Keiner weiß da Bescheid, keiner ist zuständig."

Die AZ reicht diese Fragen an das Baureferat weiter. Dessen Gartenbauabteilung kümmert sich um die Bäume in den Straßen und öffentlichen Parks der Stadt. Das Referat erklärt, der städtische Baumbestand werde zwei Mal im Jahr kontrolliert, um die Verkehrssicherheit zu erhalten – einmal im belaubten, einmal im unbelaubten Zustand. Darüber hinaus erfolgten kontinuierlich baumpflegerische Maßnahmen. Nach jedem Unwetter und Starkwindereignis prüfen die Mitarbeiter die Bäume zusätzlich, um Unwetterschäden wie herabgefallene Äste oder umgestürzte Bäume zu erkennen und zu beseitigen, heißt es weiter.

Jürgen Schilling zieht auf jeden Fall eine Konsequenz aus seinem Ast-Erlebnis: "Ich werde mich nach diesem Horrorerlebnis nach einem Schutzhelm umsehen." "Und vielleicht", so meint er, "kann man so wenigstens mehr Menschen motivieren, einen Helm zu tragen."

QOSHE - "Hätte tödlich sein können": Radler in München fast von Ast erschlagen ... - Myriam Siegert
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"Hätte tödlich sein können": Radler in München fast von Ast erschlagen ...

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16.12.2023

München - Wissen Sie, wie der Schriftsteller Ödön von Horváth ums Leben gekommen ist? Er wurde 1939 bei einem Gewitter auf der Champs-Élysées in Paris von einem herabfallenden Ast erschlagen. Oder hatten Sie folgende Nachrichtenmeldungen mitbekommen? Im Mai 2014 starb in der Nähe von Potsdam ein Radfahrer, nachdem er von einem herabstürzenden Ast getroffen worden war.

Und erst im Mai 2022 starb ein 68 Jahre alter Radfahrer in Moos am Bodensee noch am Unfallort, nachdem ihn auf dem Radweg ein herabfallender Ast einer Pappel am Kopf traf. Er hatte sogar einen Helm getragen.

Jürgen Schilling (75) aus Sendling wäre es vor gut sechs Wochen, also noch deutlich vor dem Jahrhundertschnee der letzten Wochen, um ein Haar ähnlich ergangen. Der Münchner ist passionierter Radler. "Schon vor 35 Jahren bin ich von meinem Auto für immer aufs Radl umgestiegen und erledige seitdem in München alles mit meinem Rad", erzählt er der AZ. Das soll auch weiterhin so bleiben. Doch der Schock vom 2. November sitzt tief.

An jenem Donnerstag, so berichtet er, machte er sich mittags........

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