Als die Hamas-Terroristen in den Morgenstunden des 7. Oktober über die Grenze nach Israel kamen, gab es kein Entrinnen. Nicht für die Zivilist:innen in den nahen Kibbuzim, nicht für die israelischen Armeeangehörigen, die überrumpelt wurden. Rund 300 israelische Militärs fanden bei dem Überfall den Tod, darunter auch Soldatinnen, die, obwohl bereits durch Granaten verletzt, regelrecht hingerichtet wurden. Auf Videoaufnahmen, die die Terroristen mit ihren Bodycams machten, ist zu sehen, wie Frauen in Uniform schreiend unter einem Tisch Schutz suchen. Sie werden umzingelt und aus nächster Nähe erschossen. Andere Armeeangehörige ließen die Terroristen am Leben und verschleppten sie als Geiseln in den Gazastreifen.

Die israelische Antwort war aus Sicht der Hamas fatal ─ und sie hatte ein weibliches Gesicht. Unter den verfügbaren israelischen Militäreinheiten, die in panischer Eile an die Grenze zu Gaza geschickt wurden, befand sich ein Trupp der Eliteeinheit „Karakal“, deren Aufgabe es ist, die Südgrenze am Sinai zu überwachen. Das Besondere: Die Einheit besteht zu einem großen Teil aus Soldatinnen. Am 7. Oktober rückten „Karakal“-Frauen an, stellten die Hamas-Kämpfer und töteten laut israelischen Angaben in stundenlangen Feuergefechten mindestens 100 Männer.

Starke Frauen, die in der Stunde höchster Not zur Stelle waren. Und die so „funktionierten“, wie es von Elitesoldatinnen in Israel erwartet wird. Es sind Nachrichten wie diese, die einer ins Mark getroffenen Nation wieder Mut machen. Karakal-Kommandantin Ben Yehuda betonte nach dem Einsatz, dass sich die Soldatinnen „heldenhaft“ bewährt hätten. Dass alle Zweifel, was die Kampfkraft von Frauen betrifft, jetzt ein für alle Mal beseitigt wären.

Die Auszeichnung „Heldin“ ist wichtig. 2014, als die israelische Armee zuletzt eine Bodenoffensive im Gazastreifen durchführte, war der Begriff „Held“ allein männlichen Soldaten vorbehalten gewesen. Sie wurden für besonderen Mut und Tapferkeit, die sie im Kampf gegen den Feind an den Tag gelegt hätten, ausgezeichnet. Frauen hingegen wurden dekoriert, „weil sie nicht in Panik verfallen“ sind.

Es sind Diskriminierungen wie diese auf der einen und die Hamas auf der anderen Seite, die Israels Soldatinnen zu schaffen machen. Zwei Jahre müssen sie in der Armee dienen, daran führt kein Weg vorbei. Die Konflikte, die es in der israelischen Gesellschaft gibt, findet man bei den Streitkräften in komprimierter Form: Strengreligiöse, konservative Offiziere treffen auf radikalfeministische Soldatinnen, Orthodoxe auf Transgender-Personen, sogar Araber stellen sich in den Dienst der Verteidigung Israels. „Man versucht, das hinzubekommen“, so ein Militärexperte, der nicht genannt werden will, gegenüber der WZ. So gebe es eigene Einheiten etwa für Strengreligiöse und eigene Einheiten, in denen Frauen dienen. „Das wird auseinandergehalten.“ Oberstes Ziel ist es, zusätzliche Spannungen auf dem Gefechtsfeld zu vermeiden. Denn die Armee ist die Klammer Israels, sie hält den Staat aufrecht.

Vor dem 7. Oktober war das Land zerrissen, Befürworter und Gegner der von Benjamin Netanjahus Rechtsregierung forcierten Justizreform standen einander unversöhnlich gegenüber. Hunderttausende protestierten über Monate auf den Straßen. „In dem Moment, wo es eine existenzielle Bedrohung gibt, wird die Gesellschaft durch den Einsatz in der Armee wieder zusammengeschweißt“, so der Experte. Die ideologischen Gegensätze sind in dem Moment nicht mehr wichtig. Frauen sitzen dann als Pilotinnen in Flugzeugen, steuern Drohnen, leisten Sanitätsdienste. „Wenn es um den militärischen Effekt geht, ist es unerheblich, wer auf den roten Knopf drückt. Männlich, weiblich, religiös, nicht religiös. Israels Armee ist eine Volksarmee, daran wird sich so schnell nichts ändern“, so der Experte.

Dabei gibt es Frauen, die unmittelbar an der Front kämpfen. Israels Eliteeinheiten bestehen zu sieben Prozent aus Soldatinnen. Aber befinden diese sich jetzt im Gazastreifen direkt im Kampf mit der Hamas? Werden Soldatinnen in das gefürchtete Tunnelsystem vorgeschickt, um „Frau gegen Mann“ den islamistischen Terror der Hamas zu bekämpfen? „Nein“, sagt der Militärexperte, von der WZ dazu befragt. Wenn es bewusst und geplant in den Kampf gegen Terroristen geht, würden Frauen „nicht als Speerspitze“ vorgeschickt. „Sie müssten Kampfmittel, Verpflegung, Wasser im Umfang von bis zu 50 Kilo mitschleppen. Der Kampf im urbanen Umfeld stellt körperlich und psychisch eine Maximalanforderung dar. Da geht es wirklich an die Substanz, da wird es dann schwierig, wenn man diesen körperlichen Anforderungen nicht ganz gerecht wird“, verweist der Experte auf physische Unterschiede. Deshalb gibt es etwa bei den israelischen Golani-Brigaden, den im Norden Israels stationierten „Terrorjägern“, keine Frauen. So wie in anderen Top-Elitetrupps auch.

Bei Kampfeinheiten, die mit leichterem Material ausgestattet sind, im Generalstab, bei der Militärpolizei, im Bereich der Versorgung, bei der Auffindung von abgeschossenen Pilot:innen sind Israels Frauen sehr wohl dabei. „Fraueneinheiten operieren unmittelbar hinter den Angriffsspitzen“, sagt der Experte. Und viele sind in bei der Luftabwehr, „weil Frauen nachgesagt wird, dass sie eher als Männer multitaskingfähig sind. Es gibt Bereiche, wo Frauen mindestens so gut geeignet sind wie ihre männlichen Kameraden. Wenn nicht besser.“

Diese Beteuerungen befriedigen radikale Feministinnen nicht: Für sie ist es wichtig, dass Frauen ausnahmslos in allen Einheiten der Armee dienen. Ein Ausschluss, auch aus Gründen der physischen Leistungsfähigkeit, würde automatisch eine gleichberechtigte Stellung von Frauen in den anderen Armeeeinheiten untergraben, heißt es hier. Demnach sei es wichtig, Frauen auch in den Häuserkampf mit Terroristen zu schicken. In den USA sind deshalb seit 2016 alle Eliteeinheiten für Frauen offen, wenn diese die mentalen und physischen Voraussetzungen erfüllen. Militärs in Israel argumentieren, dass ein Herabsetzen der körperlichen Anforderungen, die nötig wären, um Frauen die Teilnahme zu ermöglichen, die nationale Sicherheit in Frage stellen würde. Die Rede ist von „gefährlichen Sozialexperimenten“. Feministinnen halten dem entgegen, dass Frauen ─ etwa als Pilotinnen ─ sehr wohl fähig seien, großen physischen Stress auszuhalten.

Neuere Ansätze versuchen, eine Balance herzustellen zwischen dem, was Frauen physisch aushalten können und der Zielvorgabe, ihnen möglichst alle Elite- und Kampfeinheiten zugänglich zu machen.

Das ist besonders wichtig in Israel, wo es generell von Bedeutung ist, dass man in einer Einheit mit „combat status“ gedient, Führungsverantwortung übernommen hat. Wer darauf verweisen kann, hat es im Zivilleben leichter, einen Top-Job zu ergattern. Die israelische Politologin Orna Sasson-Levy sagt, dass die Erfahrungen in der „hypermaskulinen“ israelischen Armee ganz generell einer Initiation gleichkämen, die Frauen ihre untergeordnete Rolle in der Gesellschaft vor Augen führen würde. Dazu kommt, dass der Einfluss religiöser Kräfte in Israel und somit auch in der Armee zunimmt. Kräfte, die Soldatinnen maximal als Sekretärinnen in der Verwaltung oder in der Feldküche akzeptieren. Zahllose israelische Frauen lassen sich das gerade jetzt nicht gefallen. Viele, die im Ausland studieren oder arbeiten, haben sich freiwillig zu den Waffen gemeldet, um ihre Heimat gegen die Hamas zu beschützen. Einen ruhigen Platz hinter dem Schreibtisch wollen sie nicht.

Die Soldatinnen der Karakal-Einheit sind unterdessen an der Grenze zum Gazastreifen in Stellung gegangen. Der Kampf in vorderster Reihe in den zerbombten Ruinen von Gaza bleibt ihnen vorerst erspart. Sollte es aber zu einem weiteren Überraschungsangriff der Hamas auf israelischem Territorium kommen, stehen sie Gewehr bei Fuß.

QOSHE - Israels starke Frauen im Kampfeinsatz  - Michael Schmölzer
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Israels starke Frauen im Kampfeinsatz 

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04.11.2023

Als die Hamas-Terroristen in den Morgenstunden des 7. Oktober über die Grenze nach Israel kamen, gab es kein Entrinnen. Nicht für die Zivilist:innen in den nahen Kibbuzim, nicht für die israelischen Armeeangehörigen, die überrumpelt wurden. Rund 300 israelische Militärs fanden bei dem Überfall den Tod, darunter auch Soldatinnen, die, obwohl bereits durch Granaten verletzt, regelrecht hingerichtet wurden. Auf Videoaufnahmen, die die Terroristen mit ihren Bodycams machten, ist zu sehen, wie Frauen in Uniform schreiend unter einem Tisch Schutz suchen. Sie werden umzingelt und aus nächster Nähe erschossen. Andere Armeeangehörige ließen die Terroristen am Leben und verschleppten sie als Geiseln in den Gazastreifen.

Die israelische Antwort war aus Sicht der Hamas fatal ─ und sie hatte ein weibliches Gesicht. Unter den verfügbaren israelischen Militäreinheiten, die in panischer Eile an die Grenze zu Gaza geschickt wurden, befand sich ein Trupp der Eliteeinheit „Karakal“, deren Aufgabe es ist, die Südgrenze am Sinai zu überwachen. Das Besondere: Die Einheit besteht zu einem großen Teil aus Soldatinnen. Am 7. Oktober rückten „Karakal“-Frauen an, stellten die Hamas-Kämpfer und töteten laut israelischen Angaben in stundenlangen Feuergefechten mindestens 100 Männer.

Starke Frauen, die in der Stunde höchster Not zur Stelle waren. Und die so „funktionierten“, wie es von Elitesoldatinnen in Israel erwartet wird. Es sind Nachrichten wie diese, die einer ins Mark getroffenen Nation wieder Mut machen. Karakal-Kommandantin Ben Yehuda betonte nach dem Einsatz, dass sich die Soldatinnen „heldenhaft“ bewährt hätten. Dass alle Zweifel, was die Kampfkraft von Frauen betrifft, jetzt ein für alle Mal beseitigt wären.

Die Auszeichnung „Heldin“ ist wichtig. 2014, als die israelische Armee zuletzt eine Bodenoffensive im Gazastreifen durchführte, war der Begriff „Held“ allein männlichen Soldaten vorbehalten gewesen. Sie wurden für........

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