Bei der Weltklimakonferenz in Dubai haben sich 22 Staaten zu einem Club zusammengetan, der die Atomkraft weltweit voranbringen will. Deutschland beteiligt sich nicht daran.

Ausschalten, einschalten – geht wieder? Der alte Trick, der noch immer die Lieblingsreparaturmethode der IT-Ingenieure ist, hat bei Atomkraftwerken seine Tücken. Einmal ausgeschaltet, sind die Meiler in Deutschland nicht ohne Hürden wieder hochzufahren.

Dennoch hat die Diskussion darum jetzt weiter Fahrt aufgenommen. Der Grund dafür liegt in den nach wie vor hohen Energiepreisen in Deutschland, die nahelegen, dass es besser ist, jede nur erdenkliche Quelle für Energie- und insbesondere saubere Stromherstellungs-Methoden auch zu nutzen. Andere sehen das jedenfalls so, weswegen sich jetzt auf der Weltklimakonferenz in Dubai eine neue Allianz zur Verdreifachung der weltweiten Atomenergie gegründet, der sich bislang 22 Staaten angeschlossen haben. Unter anderem Frankreich und die USA sind dabei. Die deutsche Regierung denkt allerdings nicht daran, diesem nuklearen Club beizutreten. Sie beruft sich auf fünf wesentliche Gründe. Was ist von ihnen zu halten?

Das ist bisher Wunschdenken. In diesem Jahr dürfte sich der Strom, der verbraucht und mit Hilfe erneuerbaren Energien erzeugt wurde, mit jenem, der aus Kohle, Gas und Ölkraftwerken stammt, in etwa die Waage halten. Rechnet man nicht nur den Strom- sondern den gesamten Energieverbrauch zusammen, machen fossile Energieträger mit Abstand das Rennen. Die Bundesregierung hat wegen des Atomausstiegs sogar einige Kohlekraftwerke wieder hochfahren müssen, die mit Abstand die größten CO2-Schleudern innerhalb des Energiemixes sind. Deutschland ist seither dem Atomausstieg auch stärker auf Importe von Atomstrom etwa aus Frankreich angewiesen. Zwar wächst der Anteil Erneuerbarer Energien, aber ihre unzuverlässige Verfügbarkeit bei gleichzeitiger mangelnder Strom-Speicherkapazität machen sie schwer kalkulierbar. CO2-frei hergestellter Wasserstoff ist in den benötigten Mengen nicht in Sicht. Ihn aus Ländern wie Australien oder dem mittleren Osten zu importieren, wo er mit Sonnen- und Windenergie erzeugt werden kann, verschlechtert seine Umweltbilanz so sehr, dass auch das keine Lösung ist.

Es gibt sie schon – nur heißt der wichtigste Lieferant Rosatom und ist ein staatlicher russischer Konzern, der mit 90 000 seiner 275 000 Beschäftigten für russische Militärprojekte arbeitet. Absurderweise fällt Rosatom unter keinerlei EU-Sanktionen, was Länder wie Frankreich und Belgien durchgesetzt haben, die auf die russischen Brennstäbe angewiesen sind. Ein Brennelement hält circa fünf Jahre. „Um passende Brennelemente herzustellen, braucht man zwölf bis 15 Monate – das ist ein langwieriger Prozess“, sagt Uwe Stoll, technischer Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit. Auch müssten spezielle Teile wie zum Beispiel die Röhren für die Brennstäbe neu gefertigt werden. „Da gibt es keine Lagerbestände.“ Andere Länder hätten Abmessungen, die in den deutschen AKW nicht passen würden. Die EU-Staaten kooperieren in unterschiedlichen Formen mit dem russischen Staatskonzern. Importiert werden russische Uranprodukte, Brennelemente und Dienstleistungen im Bereich Bau, Betrieb und – für die deutschen Betreiber von Atomkraftwerken besonders interessant – Abriss von Kernkraftwerken.

Die Konzerne RWE, Vattenfall, E.on/PreussenElektra und Enbw haben gemeinsam 2,43 Milliarden Euro dafür erhalten, dass sie ihre Atomkraftwerke früher vom Netz genommen haben, als sie es geplant hatten. Vattenfall war mit 1,425 Milliarden Euro der größte Nutznießer dieser Zahlung, der ein langwieriger Streit vorausgegangen war. Seither haben die Betreiber ihre Kraftwerke abgeschrieben – und wenig Interesse an einem Wiederhochfahren. Dahinter stecken vor allem finanzielle Gründe: Es geht nicht nur darum, dass die Kraftwerksbetreiber wahrscheinlich einen Teil der Entschädigung zurückzahlen müssten, sondern es geht auch darum, dass sie gegenüber Aktionären nicht mehrmals einen teuren Strategieschwenk vertreten können. Für die Betreiber ist das größte Risiko seit jeher die Politik und ihre Unberechenbarkeit, was sich in Abschlägen beim Börsenkurs niederschlägt. Sie wollen jetzt nicht wieder dafür geradestehen müssen.

Laut Auskunft des Bundesamts für Reaktorsicherheit schließt sich an die Abschaltung eines Atomkraftwerks zunächst eine Nachbetriebsphase an, die mehrere Jahre dauert. In dieser Zeit dürften die Meiler mit überschaubarem Aufwand wieder flott gemacht werden können. Erst danach kann die Stilllegungsgenehmigung umgesetzt werden, mit der das Kraftwerk endgültig rückgebaut werden kann. Diese Stilllegung selbst dauert erneut zwischen 10 und 20 Jahren. Allerdings gibt es Einschränkungen, wie Stoll erklärt: „Haben sich die Betreiber darauf eingerichtet, die Anlage abzubauen, wird sie mit scharfen Chemikalien gereinigt – also dekontaminiert.“ Das aber greife unter Umständen das Material der Rohre und Messleitungen so stark an, dass sie aus Sicherheitsgründen nicht mehr eingesetzt werden könnten. Auf jeden Fall müssen sie vor Inbetriebnahme erneut vom TÜV abgenommen werden.

Das ist die offizielle Haltung der Bundesregierung. Als Begründung verweist sie auf das ukrainische Werk Saporishshja, das seit Kriegsbeginn eine „Bedrohung für Europa“ darstelle. Eine Kernschmelze im AKW könne durch die Zerstörung der Stromzufuhr ausgelöst werden. Je nach Windrichtung komme es zu ausgedehnter Verstrahlung – wie einst Tschernobyl. Beginnend mit dem Uranbergbau, über den Normalbetrieb in AKWs, bis hin zu Atomkatastrophen und dem ungelösten Endlagerproblem schade Atomkraft dem Leben und der Gesundheit.

Atomkraftbefürworter weisen darauf hin, dass viele der heute weltweit über 200 im Bau oder in Planung befindlichen Kernkraftwerke der dritten Generation angehören, die in Sachen Sicherheit nicht zu überbieten seien. Ihre Notkühlsysteme seien optimiert. Auch eine Kernschmelze führe nicht zur Freisetzung radioaktiver Stoffe. Nur in höchst unwahrscheinlichen Szenarien könnten radioaktive Stoffe aus der Anlage entweichen, allerdings nur in so kleinen Mengen, dass Mensch und Umwelt nicht zu Schaden kämen.

Wegen der Haltung der Bundesregierung haben inzwischen auch die Forscher in Deutschland nahezu aufgegeben. Hierzulande herrscht zumindest beim Thema Energiegewinnung aus der Kernspaltung Totentanz. Einer der letzten Experten auf dem Gebiet ist Markus Roth, Physik-Professor und Leiter des Instituts für Kernphysik an der Technischen Universität Darmstadt. „Der Forschungsbereich Kernspaltung findet in Deutschland de facto nicht mehr statt“, sagt er. „Selbst für den Rückbau der Kernkraftwerke haben wir so gut wie keine Experten mehr.“ Mit Blick auf den neuen Atom-Club hält er fest: In anderen Ländern werde es weitergehen. „Deutsche Startups aus diesem Bereich sind deswegen bereits abgewandert, etwa nach Kanada.“

QOSHE - Warum die deutsche Regierung beim Atomausstieg bleibt und ob sie damit richtig liegt - Oliver Stock
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Warum die deutsche Regierung beim Atomausstieg bleibt und ob sie damit richtig liegt

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05.12.2023

Bei der Weltklimakonferenz in Dubai haben sich 22 Staaten zu einem Club zusammengetan, der die Atomkraft weltweit voranbringen will. Deutschland beteiligt sich nicht daran.

Ausschalten, einschalten – geht wieder? Der alte Trick, der noch immer die Lieblingsreparaturmethode der IT-Ingenieure ist, hat bei Atomkraftwerken seine Tücken. Einmal ausgeschaltet, sind die Meiler in Deutschland nicht ohne Hürden wieder hochzufahren.

Dennoch hat die Diskussion darum jetzt weiter Fahrt aufgenommen. Der Grund dafür liegt in den nach wie vor hohen Energiepreisen in Deutschland, die nahelegen, dass es besser ist, jede nur erdenkliche Quelle für Energie- und insbesondere saubere Stromherstellungs-Methoden auch zu nutzen. Andere sehen das jedenfalls so, weswegen sich jetzt auf der Weltklimakonferenz in Dubai eine neue Allianz zur Verdreifachung der weltweiten Atomenergie gegründet, der sich bislang 22 Staaten angeschlossen haben. Unter anderem Frankreich und die USA sind dabei. Die deutsche Regierung denkt allerdings nicht daran, diesem nuklearen Club beizutreten. Sie beruft sich auf fünf wesentliche Gründe. Was ist von ihnen zu halten?

Das ist bisher Wunschdenken. In diesem Jahr dürfte sich der Strom, der verbraucht und mit Hilfe erneuerbaren Energien erzeugt wurde, mit jenem, der aus Kohle, Gas und Ölkraftwerken stammt, in etwa die Waage halten. Rechnet man nicht nur den Strom- sondern den gesamten Energieverbrauch zusammen, machen fossile Energieträger mit Abstand das Rennen. Die Bundesregierung hat wegen des Atomausstiegs sogar einige Kohlekraftwerke wieder hochfahren müssen, die mit Abstand die größten CO2-Schleudern innerhalb des Energiemixes sind. Deutschland ist seither dem Atomausstieg auch stärker auf Importe........

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