Liebe Frau Peirano,

ich war nach meiner lieblosen Ehe länger Single und habe mich mitunter etwas einsam gefühlt, vor allem, als meine Kinder dann auszogen. Als ich vor einem Jahr gerade anfing, mein Leben wieder aktiver anzugehen, lernte ich Lars kennen, der 15 Jahre jünger ist als ich. Ich bin 51, Lars 36. Er hat zwei kleine Kinder (3 und 5) und ist seit anderthalb Jahren von seiner Ex-Partnerin getrennt. Die Kinder sind die Hälfte der Zeit bei ihm.

Ich habe mich am Anfang unglaublich gefreut, dass ein attraktiver jüngerer Mann gerade mich ausgesucht hat. Ich war früher eine sehr gut aussehende Frau, Kleidergröße 34/36, blonde Locken und strahlend blaue Augen, sportlich. Aber mit den Jahren bin ich leider bei Kleidergröße 40/42 gelandet, habe etwas Orangenhaut und die Haare sind auch dünner geworden. Ich bin nicht mehr so richtig zufrieden, wenn ich vor dem Spiegel stehe und mich mit früher vergleiche.

Lars hat mir von Anfang an versichert, dass ich die Richtige für ihn sei, und mich mit Komplimenten überschüttet. Meine Lebenserfahrung, meine Sicht auf die Dinge, meine Attraktivität, meine Wärme und meinen Stil erwähnte er dauernd – und bewunderte all das. Ich komme aus einer "guten" Familie, beide Eltern sind Akademiker und ich bin im Speckgürtel aufgewachsen und lebe dort noch immer gut situiert. Lars kommt aus der Arbeiterschicht und versucht, sich das nicht anmerken zu lassen.

Für mich waren die Bewunderung und seine Zuverlässigkeit Balsam für meine Seele nach den Jahren mit meinem Mann, in denen ich mich oft wie in einer Wüste gefühlt habe. Ich habe mich gefreut, durch ihn wieder kleine Kinder in meinem Leben zu haben, um die ich mich kümmern konnte. Gerade mit kleinen Kindern ist es ja relativ einfach, eine gute Zeit zu verbringen, weil sie alles dankbar aufnehmen und sich über alles freuen. Seine Kinder fielen mir sofort um den Hals und ich bin diejenige, die sie bei sich haben wollen, wenn sie krank sind. Mir erzählen sie mehr, sie wollen von mir ins Bett gebracht werden.

Doch irgendwann begannen meine Freundinnen, kritische Fragen zu stellen. Eine Freundin sagte, dass sie ihn bei Tinder entdeckt hätte, was er abstritt, als ich ihn danach fragte. Eine andere Freundin meint, dass er mich als Gratis-Babysitter für die Kinder benutzt. Und dann geriet ich ins Zweifeln. Ehrlich gesagt halte ich ihm schon oft den Rücken frei und bleibe bei seinen Kindern, wenn er länger arbeitet oder noch zum Sport will. Bei ihm ist es nicht besonders gemütlich, erst ich habe die Wohnung zu einem Zuhause gemacht, mit Blumen, netter Bettwäsche für die Kinder, Sofakissen, Kerzen, Bildern.

Lars hat sich darüber auch sehr gefreut, und die Kinder lieben es.

Aber irgendwann habe ich mich gefragt, ob er mich wirklich liebt und begehrt, oder ob ich für ihn so etwas wie eine Tante oder Oma für die Kinder bin (kommt ja vom Alter her hin) und eben die Rolle übernehmen soll, mich um alle zu kümmern und ihnen Wärme zu geben. Zu dieser Vermutung würde passen, dass Lars mich nicht sexuell begehrt. Er hatte von Anfang an Probleme mit seiner Erektion, schob das aber auf den Stress.

Lars macht auch sehr wenig für mich auf einer romantischen Ebene. Er hat mir nach ein paar Monaten versprochen, dass wir mal nach Rom fahren, hat das aber bisher auf die lange Bank geschoben. Seine Geschenke für mich bisher waren warme, karierte Bettwäsche (weil ich nachts friere) und ein eBook-Reader. Also keine sonderlich persönlichen oder romantischen Geschenke, wodurch ich mich wieder an meine lieblose Ehe erinnert gefühlt habe.

Lars will viel mit mir zusammen unternehmen, aber das am liebsten, wenn seine Kinder dabei sind. Wir machen dann Brettspiele (sofern das mit der Kleinen geht), gehen in den Tierpark, ich bastle mit den Kindern und er arbeitet dann oft noch ein bisschen. An den Wochenenden, an denen er seine Kinder nicht hat, zögert er, sich mit mir zu verabreden, weil er ja auch mal seine Freunde treffen, sich ausruhen, seine Eltern besuchen müsse. Wenn wir uns treffen, gehen wir oft "nur" spazieren oder einen Kaffee trinken.

Manchmal frage ich mich, ob ich nicht zu kurz komme mit meinen Bedürfnissen. Ich habe so großen Nachholbedarf nach Zärtlichkeiten und Liebe. Ich würde gerne am Wochenende mit ihm im Bett liegen und ihn küssen, ich würde gerne Kurzreisen unternehmen oder mit ihm auch die Freiheiten haben, die ein Paar ohne Kinder hat. Immerhin habe ich ja 22 Jahre lang selbst Kinder großgezogen und hatte diese Zweisamkeit nie.

Ich habe ihn bisher noch nicht darauf angesprochen, weil ich Angst habe, alles kaputt zu machen. Er ist auch nicht immer sehr reflektiert und ehrlich… Wie könnte ich mit diesem Konflikt umgehen?

Viele Grüße
Corinna P.

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Liebe Corinna P.,

ich finde es gut, dass Sie sich aufmerksam angesehen haben, welche Bedürfnisse für Sie in einer Partnerschaft gerade am Wichtigsten sind. Sie sind da ganz klar: Sie wünschen sich Zweisamkeit, Zärtlichkeit und Nähe, insbesondere weil Sie das Gefühl haben, diesbezüglich seit vielen Jahren ausgehungert zu sein. Sie schreiben, dass Sie sich nach dem Auszug Ihrer Kinder auch einsam gefühlt haben.

Als Sie dann Lars getroffen haben, hatten Sie die Hoffnung, dass da nun ein Mann in Ihrem Leben ist, der Sie liebt, bewundert und mit dem zusammen Sie Ihre Bedürfnisse nach Liebe und Zweisamkeit erfüllen können.

Und nun, ungefähr ein Jahr später, finden Sie sich in einer Situation wieder, die Sie von früher gut kennen. Sie haben wieder Kinder um sich, kümmern sich um deren Wünsche und bereiten ihnen ein gemütliches Zuhause. Sie halten Ihrem Partner den Rücken frei, damit er arbeiten oder zum Sport gehen kann. Kennen Sie dieses Szenario auch so ungefähr aus Ihrer ersten Ehe?

Dazu kommt, dass Sie das Gefühl haben, zu kurz zu kommen, was Ihre Bedürfnisse betrifft. Lars verspricht Ihnen eine Reise nach Rom, belässt es aber bei einem Lippenbekenntnis. Das ist eine unangenehme und auch etwas beschämende Situation für Sie, weil man sich ja über ein Geschenk freuen und dankbar sein sollte. Nur ist ein Lippenbekenntnis eben kein Geschenk, sondern ein leeres Versprechen, und darüber kann man sich natürlich nicht freuen. Zudem schafft es kein Vertrauen.

Mein Rat wäre, dass Sie an dieser Stelle unbedingt nachfragen, wann Sie denn nach Rom fahren, und sollte er ausweichen, gucken Sie mit ihm zusammen in den Kalender und machen Nägel mit Köpfen. Denn erst dann wird klar werden, ob er je wirklich vorhatte, mit Ihnen nach Rom zu fahren. Falls er weiterhin ausweicht, können Sie ihm sagen, dass Sie sich ärgern und solche Gutschein-Geschenke zukünftig nicht mehr haben wollen.

Ich habe generell den Eindruck, dass Sie sich schnell in die Rolle begeben, die Wünsche der anderen zu erahnen oder sich deren Vorlieben zu merken und es allen recht zu machen. Die Kinder wollen basteln, Sie wollen eigentlich partnerschaftliche Nähe und Sex? Sie kümmern sich um die Kinder, aber dafür gibt es dann an kinderfreien Wochenenden nicht die Zweisamkeit, um die es Ihnen vorrangig geht. Sondern Lars fordert Rücksicht und Verständnis von Ihnen ein, um seine eigenen Interessen ohne Sie zu verfolgen. Das nennt man auch ein Minusgeschäft. Und ja, es ist absolut berechtigt, in einer Beziehung auch darauf zu achten, dass man selbst bekommt, was man möchte.

Wo haben Sie gelernt, sich zurückzunehmen und zuerst auf die Familie zu achten? War das schon in Ihrer Ursprungsfamilie so, und warum?

Und wie war die Rollenverteilung in Ihrer Ehe? Hat Ihr Mann sich auf der partnerschaftlichen Ebene fair verhalten und mit Ihnen die kinderfreien Zeiten (großes Privileg!) gerecht aufgeteilt? Oder haben Sie ihm auch den Rücken freigehalten wie jetzt Lars und Ihre Bedürfnisse sind unter den Tisch gefallen?

Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen mit den erlernten Mustern schwerfallen wird, mit Lars offen über dieses Thema zu sprechen. Sie äußern auch, dass Ihr Selbstwertgefühl beschädigt sei, vielleicht, weil Sie sich äußerlich nicht mehr gefallen, vielleicht aber auch, weil Sie zulassen, dass Sie achtlos behandelt werden. Dadurch entstehen aber Teufelskreise: Ich finde mich nicht besonders schön und liebenswert, deshalb lasse ich mich auch in Beziehungen ausnutzen und setze keine Grenzen – und dadurch, dass ich mich so behandeln lasse, wird mein Selbstwertgefühl noch geringer. Denn man sieht ja, was ich wert sein muss, wenn ich mich so behandeln lasse…

Ein empfehlenswertes Buch zum Thema: Friederike Potreck-Rose: Von der Freude, den Selbstwert zu stärken.

Dennoch wäre mein Vorschlag, dass Sie Lars immer wieder sagen, wie Sie sich in der Beziehung fühlen: Dass Sie einerseits froh sind, bei ihm und seinen Kindern gut eingebunden zu sein und gebraucht zu werden. Und dass Sie andererseits nicht nur eine Ersatzmutter sein wollen, die sich um alle kümmert, sondern in erster Linie (s)eine Frau, die von ihm geliebt und begehrt wird. Hier könnten Sie ihn auch mal daran erinnern, dass es SEINE Kinder sind und nicht Ihre. Ihre eigenen haben Sie ja bereits großgezogen.

Aus meiner Sicht können Sie ruhig den Verdacht äußern, dass Lars Sie überwiegend wegen Ihrer mütterlichen Fähigkeiten ausgesucht hat, und ihm klar aufzeigen, warum Sie das glauben. (Erektionsprobleme, eventuell Tinder, keine Rom-Reise, wenig Wertlegen auf Zweisamkeit). Fragen Sie ihn, wie er Ihre Beziehung sieht und was er an Ihnen wirklich schätzt. Achten Sie auch darauf, WIE er das sagt und was Ihr Bauchgefühl Ihnen dabei mitteilt.

Letztendlich kommt es ja auch hier nicht nur auf Lippenbekenntnisse an, sondern darauf, ob und wie er das in die Tat umsetzt. Ich würde Ihnen empfehlen, immer wieder auf Ihre Bedürfnisse zu sprechen zu kommen und ihm zu sagen, dass Sie mit ihm zu zweit liebevolle und intime Zeit verbringen wollen. Lars kommt ja auch auf seine Bedürfnisse zu sprechen und priorisiert diese, indem er seine Freiheit mithilfe Ihrer Unterstützung durchsetzt.

Und probieren Sie mal vor dem Spiegel aus, wie es in Ihren eigenen Ohren klingt, wenn Sie zu ihm sagen: "Ich schaue mir das noch eine Weile an und hoffe, dass es sich ändert. Aber wenn wir es nicht klären können, dann lassen wir es." Ich hoffe, dass es Ihnen gelingt, sich besser für sich einzusetzen und aus dem Muster herauszukommen, sich an die letzte Stelle zu setzen.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

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Nutzt mich mein jüngerer Freund nur als Mutti für seine Kinder aus?

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12.03.2024

Liebe Frau Peirano,

ich war nach meiner lieblosen Ehe länger Single und habe mich mitunter etwas einsam gefühlt, vor allem, als meine Kinder dann auszogen. Als ich vor einem Jahr gerade anfing, mein Leben wieder aktiver anzugehen, lernte ich Lars kennen, der 15 Jahre jünger ist als ich. Ich bin 51, Lars 36. Er hat zwei kleine Kinder (3 und 5) und ist seit anderthalb Jahren von seiner Ex-Partnerin getrennt. Die Kinder sind die Hälfte der Zeit bei ihm.

Ich habe mich am Anfang unglaublich gefreut, dass ein attraktiver jüngerer Mann gerade mich ausgesucht hat. Ich war früher eine sehr gut aussehende Frau, Kleidergröße 34/36, blonde Locken und strahlend blaue Augen, sportlich. Aber mit den Jahren bin ich leider bei Kleidergröße 40/42 gelandet, habe etwas Orangenhaut und die Haare sind auch dünner geworden. Ich bin nicht mehr so richtig zufrieden, wenn ich vor dem Spiegel stehe und mich mit früher vergleiche.

Lars hat mir von Anfang an versichert, dass ich die Richtige für ihn sei, und mich mit Komplimenten überschüttet. Meine Lebenserfahrung, meine Sicht auf die Dinge, meine Attraktivität, meine Wärme und meinen Stil erwähnte er dauernd – und bewunderte all das. Ich komme aus einer "guten" Familie, beide Eltern sind Akademiker und ich bin im Speckgürtel aufgewachsen und lebe dort noch immer gut situiert. Lars kommt aus der Arbeiterschicht und versucht, sich das nicht anmerken zu lassen.

Für mich waren die Bewunderung und seine Zuverlässigkeit Balsam für meine Seele nach den Jahren mit meinem Mann, in denen ich mich oft wie in einer Wüste gefühlt habe. Ich habe mich gefreut, durch ihn wieder kleine Kinder in meinem Leben zu haben, um die ich mich kümmern konnte. Gerade mit kleinen Kindern ist es ja relativ einfach, eine gute Zeit zu verbringen, weil sie alles dankbar aufnehmen und sich über alles freuen. Seine Kinder fielen mir sofort um den Hals und ich bin diejenige, die sie bei sich haben wollen, wenn sie krank sind. Mir erzählen sie mehr, sie wollen von mir ins Bett gebracht werden.

Doch irgendwann begannen meine Freundinnen, kritische Fragen zu stellen. Eine Freundin sagte, dass sie ihn bei Tinder entdeckt hätte, was er abstritt, als ich ihn danach fragte. Eine andere Freundin meint, dass er mich als Gratis-Babysitter für die Kinder benutzt. Und dann geriet ich ins Zweifeln. Ehrlich gesagt halte ich ihm schon oft den Rücken frei und bleibe bei seinen Kindern, wenn er länger arbeitet oder noch zum Sport will. Bei ihm ist es nicht besonders gemütlich, erst ich habe die Wohnung zu einem Zuhause gemacht, mit Blumen, netter Bettwäsche für die Kinder, Sofakissen, Kerzen, Bildern.

Lars hat sich darüber auch sehr gefreut, und die Kinder lieben es.

Aber irgendwann habe ich mich gefragt, ob er........

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