Liebe Frau Peirano,

ich bin 34 und Mutter von zwei Kindern (6 und 3). Ich arbeite halbtags, aber zusammen mit den Fahrtwegen werden es oft 30 bis 35 Stunden pro Woche.

Meine Mutter war schon immer sehr fordernd und hat viel Aufmerksamkeit von mir verlangt. Wenn ich ihr diese nicht gegeben habe, war sie beleidigt oder hat schnippische Bemerkungen gemacht. Sie rechnet mir oft vor, wie viel Zeit ich (angeblich) für mich selbst habe, um zum Friseur zu gehen, mich mit Freundinnen zu treffen, Serien zu gucken, und dann ist sie enttäuscht und bemerkt: "Für mich hast du aber nie Zeit."

Sie ruft oft überfallartig an und erzählt dann von sich und ihren Sorgen. Ich gehe manchmal nicht mehr ans Telefon, weil sie kein Ende findet. Es stresst mich sehr, wenn ich mir ein Bein ausgerissen habe, um Zeit mit meinen Kindern zu verbringen oder etwas zu erledigen, und dann platzt meine Mutter entweder mit einem Anruf oder einem unangemeldeten Besuch herein und bringt meine ganze Planung durcheinander. Und sie muss immer im Mittelpunkt stehen und bekommt selten mit, was andere gerade wollen oder brauchen.

Jetzt graut mir schon vor der Weihnachtszeit. Meine Mutter fühlt sich dann immer sehr einsam und möchte bei allem dabei sein. Bei den Adventsmärkten in der Kita, beim Weihnachtsmarkt, beim Basteln. Meistens ist das aber ein doppelter Aufwand, weil sich dann alles um meine Mutter dreht und ich die Zeit mit meinen Kindern nicht genießen kann. Ehrlich gesagt bin ich total gestresst von ihr.

Meine Mutter verlangt unausgesprochen auch, dass ich ihr einen Adventskalender bastele, ihr eine Aufmerksamkeit zum Nikolaus vorbeibringe und die Weihnachtstage so plane, dass es für sie am Besten ist. Dabei bleibt dann die Arbeit an mir hängen und ich stehe in der Küche und mache es allen Recht, während meine Mutter bequem mit meinen Kindern auf dem Sofa sitzt und sich mit ihnen eine schöne Zeit macht. Wir renovieren gerade und mein Mann Michael ist sehr viel auf Geschäftsreisen. Mir graut vor den nächsten Woche und ich habe Angst, dass meine Mutter alles noch schlimmer macht.

Wie kann ich mich abgrenzen, ohne dass sie wieder den Spieß umdreht? Wenn ich ihr zum Beispiel erzähle, was ich alles vorhabe, sagt sie mir: "Aber ich kann dir doch helfen, du nimmst ja leider keine Hilfe an." Und dann kommt sie vorbei und ich habe noch mehr Arbeit, weil ich mich auch um meine Mutter kümmern muss.

Für einen Tipp wäre ich sehr dankbar!

Viele Grüße
Miriam G.

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Liebe Miriam G.,

es klingt so, als wenn Ihre Mutter Ihnen ganz schön viel Aufmerksamkeit abverlangt. War das schon immer so oder hat sich das erst in den letzten Jahren entwickelt, z.B. weil Ihre Mutter in Rente gegangen ist oder sich von einem Partner getrennt hat? Sind Sie es gewohnt, dass Ihre Mutter Sie dafür verantwortlich macht, Ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen? Ihre Mutter könnte ja auch eigene soziale Kontakte ausbauen und sich Gruppen anschließen oder Freundinnen suchen, die ebenfalls viel Redebedarf und viel Zeit haben.

Offensichtlich fällt es Ihnen nicht leicht, Ihre eigenen Prioritäten zu formulieren und nach ihnen zu leben: sich um Ihre kleinen Kinder, Ihren Mann, sich selbst und Ihren Beruf zu kümmern. Denn immer wieder grätscht Ihre Mutter dazwischen und fordert Aufmerksamkeit, Einbeziehung und Zeit ein. Und anscheinend erleben Sie das nicht als Unterstützung, sondern als zusätzliche Belastung, weil Ihre Mutter dabei sehr fordernd und egozentrisch auftritt und es ihr nicht gelingt, Ihnen zu helfen.

Wir Verhaltenstherapeut:innen bieten in solchen Situationen Rollenspiele an, um neue Verhaltensmuster zu erarbeiten und auszuprobieren. Gerade bei Problemsituationen, die immer wieder auftreten (wie z.B. erneute spontane Besuche oder Forderungen Ihrer Mutter) ist es sehr hilfreich, durch ein Rollenspiel vorbereitet zu sein, um zukünftig mal ganz anders zu reagieren.

Es hört sich so an, als wenn Sie bisher mit dem Muster, sich zu rechtfertigen und Ihre eigene Zeiteinteilung offenzulegen, keinen Erfolg hatten. Die Aussage: "Mama, ich habe so viel zu tun, weil wir in der Kita diese Woche Bastelnachmittag haben und Michael dauernd auf Geschäftsreise ist“, führte bei Ihrer Mutter zu weiteren Kontaktangeboten und Grenzüberschreitungen: "Du, Miriam, wenn du so viel zu tun hast, kann ich dir doch gerne helfen! Ich komme einfach mit zum Bastelnachmittag und kann gerne auch mal am Wochenende bei dir übernachten."

Mit dieser Antwort haben Sie sich sozusagen ein Eigentor geschossen, weil Ihre Mutter einfach Ihnen ihre Sicht auf die Dinge überstülpt. "Wer zu viel zu tun hat, braucht seine Mutter und ihre Nähe." Zusätzlich hat Ihre Mutter ganz elegant in ihrer eigenen Gedankenwelt auch gleich noch bei Ihnen eine Bringschuld erzeugt, denn wenn sie Ihnen doch beim Basteln hilft oder am Wochenende bei Ihnen wohnt, dürfen Sie es doch auch nicht ablehnen, ihr einen klitzekleinen Adventskalender zu basteln.

Ich würde ein neues Antwortmuster vorschlagen. Verteidigen Sie sich nicht, rechtfertigen Sie sich nicht und legen Sie Ihre Prioritäten und Ihre Zeiteinteilung NICHT offen, denn das macht angreifbar. Bleiben Sie ganz cool bei sich und Ihren Bedürfnissen: "Wenn ich zu viel zu tun habe, möchte ich mich in Ruhe auf mich, meine Aufgaben und meine Kinder konzentrieren und dabei stört meine Mutter mich." (Das ist sozusagen die eigene innere Position).

Sie können sich in einem weiteren Schritt einen Bumerang vorstellen, den Sie geschickt durch eine kleine Bewegung mit der Hand zurück zum Absender schicken, nämlich zu Ihrer Mutter. Sprachlich würde der Bumerang bedeuten, dass Sie Ihrer Mutter deren Übergriffigkeit spiegeln.

Zum Beispiel:
Mutter: "Du hast dich ja gar nicht gemeldet in der letzten Woche. Hast du mich vergessen?"
Tochter: "Mama, ich habe dir doch schon öfter gesagt, dass ich gerade extrem viel zu tun habe und dafür Ruhe brauche."
Mutter: "Aber ich kann dir doch helfen und die Kinder nehmen. Dann kannst du dich ausruhen."

Hier können Sie den Bumerang zurückschicken, indem Sie sagen:
"Mama, was macht es dir so schwer zu akzeptieren, dass ich einfach nur Ruhe brauche?"

Jetzt haben Sie den Spieß umgedreht: Sie werden nicht mehr angegriffen als undankbare Tochter, die keine Zeit für Ihre Mutter hat, sondern Ihre Mutter hat ein Problem damit, die Grenzen ihrer Tochter zu respektieren. Sie können sich jetzt Zeit lassen und abwarten, was Ihre Mutter sagt, und dann die Technik "Schallplatte mit Sprung" anwenden. Wiederholen Sie immer wieder freundlich, aber bestimmt: "Ja, Mama, du brauchst vielleicht Nähe, wenn du Stress hast. Ich brauche aber einfach Ruhe. Was macht es dir so schwer, das zu akzeptieren?"

Oder Sie packen Ihre Mutter bei der Mutterehre und fragen: "Mama, weißt du, was ich mir von dir wünsche? Ich wäre wirklich glücklich, wenn du mir Raum lässt und verstehst, dass ich mich im Moment auf meine Kinder und meine Aufgaben konzentrieren will."

Probieren Sie es doch mal aus und rechnen Sie damit, dass Ihre Mutter erst einmal ungewohnt darauf reagieren wird. Vielleicht ist sie beleidigt, möglicherweise insistiert sie auch, dass Sie sich jetzt um sie kümmern müssen (z.B. weil Ihre Mutter zum Arzt muss oder ein Problem hat). Halten Sie das am besten eine Weile aus und wiederholen Sie den Sprung in der Schallplatte. Wichtig ist, dass Sie konsequent bleiben und Ihr Nein aufrechterhalten. Wenn Ihre Kinder an der Supermarktkasse quengeln, weil sie Schokolade haben wollen, zählt auch nur, dass Sie Ihnen keine Schokolade kaufen. Sonst lernen die Kinder: Quengeln führt zum Erfolg.

Und genau so wäre es auch wichtig, dass Sie es eine Weile lang konsequent aushalten, dass Ihre Mutter mit Ihren Lebensentscheidungen nicht zufrieden ist. Und dennoch leben Sie nach Ihren eigenen Prioritäten (so wie Ihre Mutter ja auch nach ihren eigenen Prioritäten lebt) und machen all das, was Sie zu tun haben, und zwar in Ruhe.

Ich habe schon bei vielen PatientInnen gesehen, dass diese Abgrenzung zu einem klareren und entspannteren Verhältnis geführt hat. Denn letztlich wird auch das Verhältnis zu Ihrer Mutter profitieren, wenn Sie sich nicht mehr überrannt und genervt fühlen, sondern Ihre Mutter dann treffen, wenn es für Sie wirklich passt.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

QOSHE - Meine Mutter akzeptiert kein Nein, auch nicht, wenn ich viel zu tun habe - Dr. Julia Peirano
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Meine Mutter akzeptiert kein Nein, auch nicht, wenn ich viel zu tun habe

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05.12.2023

Liebe Frau Peirano,

ich bin 34 und Mutter von zwei Kindern (6 und 3). Ich arbeite halbtags, aber zusammen mit den Fahrtwegen werden es oft 30 bis 35 Stunden pro Woche.

Meine Mutter war schon immer sehr fordernd und hat viel Aufmerksamkeit von mir verlangt. Wenn ich ihr diese nicht gegeben habe, war sie beleidigt oder hat schnippische Bemerkungen gemacht. Sie rechnet mir oft vor, wie viel Zeit ich (angeblich) für mich selbst habe, um zum Friseur zu gehen, mich mit Freundinnen zu treffen, Serien zu gucken, und dann ist sie enttäuscht und bemerkt: "Für mich hast du aber nie Zeit."

Sie ruft oft überfallartig an und erzählt dann von sich und ihren Sorgen. Ich gehe manchmal nicht mehr ans Telefon, weil sie kein Ende findet. Es stresst mich sehr, wenn ich mir ein Bein ausgerissen habe, um Zeit mit meinen Kindern zu verbringen oder etwas zu erledigen, und dann platzt meine Mutter entweder mit einem Anruf oder einem unangemeldeten Besuch herein und bringt meine ganze Planung durcheinander. Und sie muss immer im Mittelpunkt stehen und bekommt selten mit, was andere gerade wollen oder brauchen.

Jetzt graut mir schon vor der Weihnachtszeit. Meine Mutter fühlt sich dann immer sehr einsam und möchte bei allem dabei sein. Bei den Adventsmärkten in der Kita, beim Weihnachtsmarkt, beim Basteln. Meistens ist das aber ein doppelter Aufwand, weil sich dann alles um meine Mutter dreht und ich die Zeit mit meinen Kindern nicht genießen kann. Ehrlich gesagt bin ich total gestresst von ihr.

Meine Mutter verlangt unausgesprochen auch, dass ich ihr einen Adventskalender bastele, ihr eine Aufmerksamkeit zum Nikolaus vorbeibringe und die Weihnachtstage so plane, dass es für sie am Besten ist. Dabei bleibt dann die Arbeit an mir hängen und ich stehe in der Küche und mache es allen Recht, während meine Mutter bequem mit meinen Kindern auf dem Sofa sitzt und sich mit ihnen eine schöne Zeit macht. Wir renovieren gerade und mein Mann Michael ist sehr viel auf Geschäftsreisen. Mir graut vor den nächsten Woche und ich habe Angst, dass meine Mutter alles noch schlimmer macht.

Wie kann ich mich abgrenzen, ohne dass sie wieder den Spieß umdreht? Wenn ich ihr zum Beispiel erzähle,........

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