Liebe Frau Dr. Peirano,

In unserem Bekanntenkreis sind viele Elternpaare in unserem Alter (ca. Mitte 40), und wenn wir uns treffen, ist Alkohol selbstverständlich. Wir kochen oft füreinander, grillen im Sommer, haben unsere Frauen- und Männertreffen. Als ich nach Silvester die Flaschen der letzten Wochen entsorgt habe, dachte ich plötzlich, dass das ganz schön viele sind, insbesondere an Wein und Sekt.

Wir trinken jeden Abend. Mein Mann trinkt noch gewohnheitsmäßiger als ich. Als wir uns kennenlernten, war ich Studentin und habe eher Tee und Cola getrunken. Er hatte schon eine Weinsammlung und kannte sich gut aus, ging auf Weinseminare und machte Reisen zu Winzern. Schon damals habe ich mir gedacht, dass er sehr regelmäßig trinkt, also im Prinzip über den Abend verteilt mindestens eine Flasche Wein (zum Kochen und Essen oder beim Fernsehen). Ab und zu noch einen Gin oder Whiskey. Es ist in unserem Freundeskreis auch gerade sehr verbreitet, Gin zu probieren oder sich gegenseitig zu schenken.

Ich habe über die Zeit, die wir zusammen sind (immerhin 25 Jahre), die Gewohnheit übernommen, zum Essen Wein zu trinken. Meistens 3–4 Gläser über den Abend verteilt. Wenn mein Mann nicht zu Hause ist, trinke ich weniger.

In letzter Zeit sind einige Entgleiser passiert, bei denen ich mich hinterfragt habe, ob das alles noch im Rahmen ist. Er ist oft sehr gleichgültig, wenn er getrunken hat und wie hinter einer Watteschicht. Wenn man ihn etwas fragt oder etwas erzählt, reagiert er nicht wie sonst. Also er regt sich nicht über Dinge auf, die ihn sonst aufregen würden, kann sich aber auch nicht freuen.

Unsere Kinder (14 und 12) haben mir einmal erzählt, dass es sie stört, wenn sie mit ihm reden, wenn er getrunken hat, weil er dann so anders ist als sonst. Ich denke, dass sie meinen, dass er wie hinter einer Mauer ist. Zudem hat er ein paar furchtbare Dinge zu anderen gesagt, als er mal deutlich zu viel getrunken hatte. Er hat zum Beispiel seinem Bruder gesagt, dass es kein Wunder ist, dass er beruflich keinen Erfolg hat. Hinterher konnte er sich nicht daran erinnern, aber sein Bruder redet kaum noch mit ihm. Wir haben uns auch schon ein paar Mal heftig gestritten und die Kinder haben das mitgekriegt.

Ich bin ebenfalls gegenüber den Kindern ausgerastet und habe etwa meiner Tochter gesagt, dass sie mir zur Last fällt und mein Leben ohne sie besser wäre. Ich habe mich natürlich am nächsten Tag entschuldigt, aber so etwas geht natürlich nicht.

Ich bin bereit, weniger zu trinken, wenn man überhaupt kontrolliert trinken kann. Aber ich bin skeptisch, was meinen Mann betrifft. Er spielt das runter und sagt, es sei völlig normal, wie viel wir trinken. In unserem Umfeld würden das alle Eltern tun. Wein sei für ihn Genuss und ein Hobby, und er möchte nicht so ein "teetrinkender Softie" werden.

Haben Sie mal eine Sicht von außen und ein paar Tipps, wie ich/wir weiter vorgehen können?

Viele Grüße
Ulrike B.

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Liebe Ulrike B.,

ich finde es gut, dass Sie bereit sind, Ihr Trinkverhalten kritisch zu reflektieren! Und es ist auch sehr mutig, dass Sie so offen von Ihren verbalen Entgleisungen berichten und diese als Warnzeichen betrachten. Denn nur wenn man Problemen ins Auge sieht und sie auch benennt, kann man etwas verändern.

In Bezug auf Ihr Problembewusstsein gebe ich Ihnen Recht: Es ist an der Zeit, mit dem problematischen Trinken aufzuhören. Auch wenn in Ihrem Umfeld alle anderen Eltern regelmäßig und reichlich Alkohol trinken, heißt das noch lange nicht, dass das unproblematisch oder unschädlich ist. Weder für die eigene Gesundheit noch für das partnerschaftliche und freundschaftliche Miteinander oder für die Kinder. Und oft finden ja auch Freundeskreise aufgrund des Kriteriums "feucht-fröhlich" zusammen, sodass ein Korrektiv fehlt.

Ich hatte oder habe einige erwachsene Kinder von alkoholabhängigen Elternteilen oder gar Elternpaaren in Therapie und kann nur sagen, dass die Kinder extrem unter dem Trinkverhalten der Eltern leiden. Auch wenn der betroffene Elternteil noch nach außen hin "normal" funktioniert und zum Beispiel berufstätig ist und seine sonstigen Aufgaben erledigt, ist die Belastung für die Kinder sehr stark.

Die betroffenen Kinder schildern, dass die Eltern unberechenbar sind und Wutausbrüche haben (teilweise auch bis hin zu körperlicher Gewalt), dass sie sich miteinander oder mit den Kindern streiten, dass sie emotional nicht erreichbar sind (wie Ihr Mann), dass sie kein Vorbild sind, dass sie sich für ihre Eltern schämen und oft auch die Elternrolle selbst übernehmen müssen und dadurch keine Eltern haben, die ihnen den Rücken stärken und sie in die Welt ziehen lassen. Einige Kinder müssen ihre Eltern dabei unterstützen, die Alkoholabhängigkeit zu verheimlichen oder um zu trinken (z.B. den Eltern Alkohol kaufen oder Flaschen verstecken).

Die betroffenen Kinder machen sich Sorgen um ihre Eltern, sowohl um deren Gesundheit als auch um deren seelisches Befinden, und sie sind gleichzeitig sehr wütend auf die Eltern, dass diese so bedürftig sind und sich nicht um sich selbst kümmern. Und sie haben auch die Last auf den Schultern, was aus den alkoholkranken Eltern wird, wenn diese alt sind und oft zum Pflegefall werden. Nicht selten haben die Kinder von Eltern mit einer Sucht selbst psychische Probleme wie z.B. eine Depression, eigene Suchterkrankungen oder Co-Abhängigkeit.

Ich kann hier den großartigen Roman "22 Bahnen" von Caroline Wahl empfehlen, in dem es um eine vom Alkohol betroffene Familie geht.

Natürlich sind Sie und Ihr Mann weit entfernt von dem Szenario, das in dem Buch beschrieben wird. Die Mutter dort ist nicht in der Lage, arbeiten zu gehen oder den Haushalt zu führen, geschweige denn, sich um die beiden Töchter zu kümmern.

Doch Alkoholabhängigkeit ist aufgrund der wachsenden Toleranz oft schleichend und wird mit der Zeit mehr, wenn man sich nicht darum bemüht, das Problem in den Griff zu bekommen. Deshalb ist der erste Schritt, einmal schriftlich festzuhalten, wie viel Sie überhaupt trinken. Führen Sie doch einmal Protokoll darüber und seien Sie ehrlich zu sich. Keine Ausreden, keine Beschönigungen, kein Verharmlosen. Der nächste Schritt wäre es, genau zu definieren, ob Sie erst einmal für eine Weile ganz aufhören wollen, um sich zu entwöhnen, oder ob Sie versuchen wollen, kontrolliert zu trinken.

Interessant ist folgender Artikel: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/welche-therapie-hilft-bei-alkoholabhangigkeit-kontrolliert-trinken-oder-abstinent-bleiben-15387.php

Hilfreich können auch diese Bücher sein:

Nathalie Stüben: Ohne Alkohol. Die beste Entscheidung meines Lebens

Joachim Körkel: Kontrolliertes Trinken. So reduzieren Sie Ihren Alkoholkonsum

Holen Sie sich am besten Unterstützung bei Ihrer Hausärztin und/oder einer Suchtberatungsstelle. Wenn Sie sich erst einmal für kontrolliertes Trinken entscheiden, sollten Sie die geplante Trinkmenge unbedingt mit Ihrer Hausärztin oder einer Suchtberatungsstelle besprechen und erst einmal für die nächsten 6 Monate genau protokollieren, ob Sie sich an die Vorgabe halten können. Wenn nicht, haben Sie ausprobiert, dass es für Sie nicht passt und dann Abstinenz die Vorgabe ist. Manchmal ist es auch ein Ansporn, kontrolliertes Trinken zu "schaffen", damit man nicht ganz auf Alkohol verzichten muss. Sie werden es selbst herausfinden.

Wichtig wäre auch, sich Gedanken zu machen, warum Alkohol eine so zentrale Rolle in Ihrem Leben eingenommen hat und wofür das steht. Sind Sie zum Beispiel latent unzufrieden mit Ihrem Leben und der Griff zum Wein puffert diese Unzufriedenheit ab? Wissen Sie und Ihr Mann nicht (mehr) so viel mit sich anzufangen und haben deshalb das tägliche Ritual des Trinkens und Essens? Wie würden Sie Ihre Zeit verbringen, wenn Sie keinen Alkohol trinken würden? Wie viele Gesprächsthemen haben Sie wirklich mit Ihren Freunden? Werden Konflikte oder das Fehlen von Themen eventuell durch den gewohnheitsmäßigen Griff zum Alkohol überdeckt?

Eine Psychotherapie könnte Sie auch unterstützen, solange der Therapeut/die Therapeutin Erfahrung mit Sucht hat. Wichtig zu wissen ist, dass es in Psychotherapien, die über die Krankenkasse bezahlt werden, eine Richtlinie gibt: Der Patient oder die Patientin sollte das klare Ziel haben, abstinent zu werden, und zwar wird dies bis zur zehnten Therapiesitzung gefordert.

Die wichtigste Frage ist, wie Ihr Mann darauf reagieren wird, wenn Sie weniger trinken oder ganz aufhören. Wird es ihm dabei helfen, sich selbst auch auf den Weg machen, oder würde es zu Problemen in Ihrer Beziehung führen, wenn Sie das Problem ansprechen und eine Verhaltensänderung fordern? Hier könnte eine Paarberatung helfen oder Sie klären diese Fragen in der Suchtberatung bzw. mit Ihrer Hausärztin oder Therapeutin.

Auf jeden Fall ist es ein guter Ansatz, wenn Sie damit beginnen, unabhängig von Ihrem Mann. Ich wünsche Ihnen viel Durchhaltevermögen und Klarheit!

Herzliche Grüße
Julia Peirano

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Mein Mann und ich trinken zu viel – leiden die Kinder darunter?

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23.01.2024

Liebe Frau Dr. Peirano,

In unserem Bekanntenkreis sind viele Elternpaare in unserem Alter (ca. Mitte 40), und wenn wir uns treffen, ist Alkohol selbstverständlich. Wir kochen oft füreinander, grillen im Sommer, haben unsere Frauen- und Männertreffen. Als ich nach Silvester die Flaschen der letzten Wochen entsorgt habe, dachte ich plötzlich, dass das ganz schön viele sind, insbesondere an Wein und Sekt.

Wir trinken jeden Abend. Mein Mann trinkt noch gewohnheitsmäßiger als ich. Als wir uns kennenlernten, war ich Studentin und habe eher Tee und Cola getrunken. Er hatte schon eine Weinsammlung und kannte sich gut aus, ging auf Weinseminare und machte Reisen zu Winzern. Schon damals habe ich mir gedacht, dass er sehr regelmäßig trinkt, also im Prinzip über den Abend verteilt mindestens eine Flasche Wein (zum Kochen und Essen oder beim Fernsehen). Ab und zu noch einen Gin oder Whiskey. Es ist in unserem Freundeskreis auch gerade sehr verbreitet, Gin zu probieren oder sich gegenseitig zu schenken.

Ich habe über die Zeit, die wir zusammen sind (immerhin 25 Jahre), die Gewohnheit übernommen, zum Essen Wein zu trinken. Meistens 3–4 Gläser über den Abend verteilt. Wenn mein Mann nicht zu Hause ist, trinke ich weniger.

In letzter Zeit sind einige Entgleiser passiert, bei denen ich mich hinterfragt habe, ob das alles noch im Rahmen ist. Er ist oft sehr gleichgültig, wenn er getrunken hat und wie hinter einer Watteschicht. Wenn man ihn etwas fragt oder etwas erzählt, reagiert er nicht wie sonst. Also er regt sich nicht über Dinge auf, die ihn sonst aufregen würden, kann sich aber auch nicht freuen.

Unsere Kinder (14 und 12) haben mir einmal erzählt, dass es sie stört, wenn sie mit ihm reden, wenn er getrunken hat, weil er dann so anders ist als sonst. Ich denke, dass sie meinen, dass er wie hinter einer Mauer ist. Zudem hat er ein paar furchtbare Dinge zu anderen gesagt, als er mal deutlich zu viel getrunken hatte. Er hat zum Beispiel seinem Bruder gesagt, dass es kein Wunder ist, dass er beruflich keinen Erfolg hat. Hinterher konnte er sich nicht daran erinnern, aber sein Bruder redet kaum noch mit ihm. Wir haben uns auch schon ein paar Mal heftig gestritten und die Kinder haben das mitgekriegt.

Ich bin ebenfalls gegenüber den Kindern ausgerastet und habe etwa meiner Tochter gesagt, dass sie mir zur Last fällt und mein Leben ohne sie besser wäre. Ich habe mich natürlich am nächsten Tag........

© stern


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