Liebe Frau Peirano,

ich bin am Boden zerstört. Mein Mann hat sich für mich plötzlich und unerwartet nach 23 gemeinsamen Jahren getrennt. Wir haben einen 13-jährigen Sohn, für den gerade ebenfalls der Boden unter den Füßen zusammenbricht. Zu ihm hat er gesagt, dass er viele Jahre nur seinetwegen bei mir geblieben ist. Ich kann gar nicht beschreiben, wie weh mir dieser Satz tut! Zu mir hat er zusammengefasst gesagt, dass ich zu strukturiert bin – in allem, aber was ihn wohl am meisten stört, dass ich es auch privat im Alltag in Sachen Haushaltsplan bin. Ich habe nie verlangt, dass er mir hilft und nach Plan putzt. Ich dachte immer, er hilft mir freiwillig. Wir sind beide voll berufstätig in leitender Position. Da müssen Kind, Haushalt und Schule halt organisiert sein, zumindest aus meiner Sicht.

Zudem sagt er, ich würde ihn bevormunden. Es müsste immer nach meiner Pfeife gehen. Alles andere akzeptiere ich nicht. Aus meiner Sicht besprechen wir alles, aber er überlässt immer mir die Entscheidung und gibt mir auch das Gefühl, dass es so richtig ist.

Dann wäre ich zickig und launisch und würde meinen beruflichen Stress an ihm auslassen. Ja, ich habe viel Stress auf der Arbeit und wenn ich nach Hause komme nach einem 10- bis 12-Stunden-Tag bin ich auch launisch. Das gebe ich zu und müsste ich ändern, ich weiß nur nicht wie.

Mit der härteste Satz war, dass er mehr Kontakt mit seiner rechten Hand hatte, als sexuell mit mir in den 23 Jahren. Ich kann gar nicht beschreiben, was dieser Satz in mir auslöst.

Ich habe Endometriose mit schwerstem Verlauf. Mit 18 wurde das bei mir festgestellt, ich habe es ihm gesagt und er hat sich für mich entschieden. Ich habe immer starke Unterleibsschmerzen gehabt, auch beim Sex tat alles weh. Die Schwangerschaft war ein Wunder und die schlimmste Zeit meines Lebens, ich wäre beinahe gestorben. Deshalb ist mir oft nicht nach Sex gewesen. Nähe ist aber auch nicht möglich, denn da möchte mein Mann gleich mehr und ich wollte ihn nicht immer "ablehnen".

Ich stelle mir aber eine Frage: Warum ist er nicht mal direkt mit Gesprächen auf mich zugekommen? Direkt – und nicht immer mit Rätselcharakter. Ich gebe zu, dass es über das Stressthema und das Sexthema mal kleine Streitigkeiten zwischen uns in den letzten Jahren gab. Für mich war das aber nie mit dem Gedanken an Trennung verbunden.

Habe ich die Signale einfach ignoriert? Kann ich es noch besser machen und ihn wieder für mich gewinnen? Oder steckt doch nun mehr dahinter mit einer anderen Frau? Er verhält sich bezüglich seines Handys sehr merkwürdig. Ich würde sagen, er versteckt es vor mir.

Können Sie mir einen Rat geben, bitte? Danke.

Viele Grüße
Elisabeth T.

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Liebe Elisabeth T.,

Ich kann mir vorstellen, dass für Sie erst mal die Welt zusammengebrochen ist, als Ihr Mann Sie von einem auf den anderen Tag verlassen hat!

Und ich gebe Ihnen Recht: Es wäre viel besser zu verkraften gewesen, wenn Sie beide vorher über einen längeren Zeitraum Gespräche geführt hätten, bei denen auch deutlich geworden wäre, wie kritisch es um die Beziehung steht. Auch für Ihren Sohn wäre es leichter, wenn er mit der Entscheidung nicht so überrumpelt worden wäre. Kinder lieben beide Elternteile und wenn es Stress zwischen den Eltern gibt, fühlen sie sich hin- und hergerissen. Ihr Mann belastet auch Ihren Sohn, wenn er ihm sagt, dass er nur seinetwegen in dieser angeblich so leidvollen Ehe verharrt habe. Und auch, indem er ihm seine Familie und die damit verbundene Sicherheit von einem auf den anderen Tag entreißt.

Gerade nach 23 gemeinsamen Jahren schuldet man dem Partner/der Partnerin den Respekt, an der Beziehung zu arbeiten. Und das bedeutet: Gespräche zu führen, nach Lösungen zu suchen, sich darüber austauschen, wie (un-)zufrieden man ist. Es hört sich so an, als wenn Ihr Mann seit Jahren stillschweigend unglücklich war: mit dem Sexualleben, mit der Stimmung bei Ihnen zu Hause, mit der Aufgabenteilung. Aus meiner Sicht klingt es so, als wenn Sie beide ein ganz schönes Paket gestemmt haben. Sie und Ihr Mann sind beide in leitender Position berufstätig, dazu haben Sie einen Sohn und den Haushalt.

So wie es scheint, haben Sie einen Großteil der Aufgaben zu Hause gestemmt und die Planung übernommen, während Ihr Mann Ihnen "geholfen" hat. Hier liegt auch der Kern eines Problems: Eigentlich sind Haushalt und Kinderbetreuung Ihre gemeinsamen Aufgaben, wenn Sie beide berufstätig sind. Es gibt eine deutliche Schieflage, wenn Ihr Mann und Sie den Eindruck haben, dass es Ihre Aufgaben sind, bei denen er Ihnen geholfen hat.

Ihr Mann hat anscheinend ein Problem damit, Verantwortung zu übernehmen. Er hat sich nicht für seine eigenen Interessen eingesetzt, er hat Ihnen seine Bedürfnisse nicht klar genug mitgeteilt und er hat anscheinend "Ja und Amen" zu allem gesagt und die Dinge geschluckt, anstatt nach Alternativen zu suchen. Wahrscheinlich wäre es schon vor Jahren der richtige Zeitpunkt gewesen, in Paartherapie zu gehen, was wieder den Eindruck der Therapeuten bestätigt, dass viele Paare zu spät kommen.

Ich teile Ihren Eindruck, dass Ihr Mann wahrscheinlich bereits eine andere Beziehung am Laufen hat. Dafür sprechen die folgenden Anzeichen:

Wahrscheinlich wird Ihr Mann nach einer Weile (wie lange die auch immer dauert) zum Nachdenken kommen und ins Zweifeln geraten, was er sich, Ihrem Sohn und vielleicht auch Ihnen angetan hat. Es ist nicht so einfach, seine Partnerin nach 23 Jahren einfach zu verlassen, und wahrscheinlich werden ihm die Konsequenzen nach und nach dämmern. Vielleicht ist das familiäre oder freundschaftliche Umfeld (z.B. seine oder Ihre Eltern) empört, vielleicht sagt Ihr Sohn seinem Vater mal die Meinung oder distanziert sich. Finanzielle Themen werden aufkommen, und möglicherweise wird er auch einiges vermissen, was Sie beide hatten.

Ich würde Ihnen raten, Ihren Mann so lange in Ruhe zu lassen, bis er einen respektvolleren Ton Ihnen gegenüber anschlägt. Nur wenn Sie ihn loslassen, kann er sich besinnen und herausfinden, was er selbst eigentlich will.

Und mein zweiter Rat ist, dass Sie sich intensiv um sich selbst kümmern! Unbedingt nötig ist eine therapeutische Begleitung, eine Beratung oder ein Coaching. Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Gefühle, schreiben Sie Tagebuch und gehen alleine spazieren oder ruhen sich aus. Denken Sie mal daran zurück, was Sie früher gerne gemacht haben: einen Sport, Freunde treffen, lesen, reisen? Gibt es Wünsche, die in den letzten Jahren unter die Räder gekommen sind? Vielleicht ist jetzt an der Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.

Denn eines ist klar: So wie Ihr Mann sich im Moment verhält, ist er kein guter Partner. Sie haben anscheinend unter der Beziehung auch öfter gelitten und einen Großteil der Last getragen. Ich bin sicher, dass die Trennung nach einer Weile für Sie auch etwas Gutes haben kann, wenn Sie eine Vision entwickeln, wie Sie mit Ihrem Sohn leben möchten. Denken Sie aktiv an die Zukunft und malen Sie sich schöne Situationen aus: eine lange Tafel mit Ihren Freunden, Yogakurse in schöner Natur. Lassen Sie sich von alleinerziehenden Müttern inspirieren, wie diese ihr Leben meistern.

Ich hoffe, dass Sie diese schreckliche Situation als Anlass nehmen können, Ihr Leben auf einen guten Weg zu bringen. Und wenn Ihr Mann zur Vernunft kommt und Sie begleiten will, können Sie sich immer noch überlegen, ob Sie das möchten. Oder ob Sie eines Tages ganz lässig sagen können: Ich bin aus unserer Beziehung rausgewachsen.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

QOSHE - Mein Mann hat mich nach 23 Jahren von einem auf den anderen Tag einfach verlassen - Dr. Julia Peirano
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Mein Mann hat mich nach 23 Jahren von einem auf den anderen Tag einfach verlassen

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28.11.2023

Liebe Frau Peirano,

ich bin am Boden zerstört. Mein Mann hat sich für mich plötzlich und unerwartet nach 23 gemeinsamen Jahren getrennt. Wir haben einen 13-jährigen Sohn, für den gerade ebenfalls der Boden unter den Füßen zusammenbricht. Zu ihm hat er gesagt, dass er viele Jahre nur seinetwegen bei mir geblieben ist. Ich kann gar nicht beschreiben, wie weh mir dieser Satz tut! Zu mir hat er zusammengefasst gesagt, dass ich zu strukturiert bin – in allem, aber was ihn wohl am meisten stört, dass ich es auch privat im Alltag in Sachen Haushaltsplan bin. Ich habe nie verlangt, dass er mir hilft und nach Plan putzt. Ich dachte immer, er hilft mir freiwillig. Wir sind beide voll berufstätig in leitender Position. Da müssen Kind, Haushalt und Schule halt organisiert sein, zumindest aus meiner Sicht.

Zudem sagt er, ich würde ihn bevormunden. Es müsste immer nach meiner Pfeife gehen. Alles andere akzeptiere ich nicht. Aus meiner Sicht besprechen wir alles, aber er überlässt immer mir die Entscheidung und gibt mir auch das Gefühl, dass es so richtig ist.

Dann wäre ich zickig und launisch und würde meinen beruflichen Stress an ihm auslassen. Ja, ich habe viel Stress auf der Arbeit und wenn ich nach Hause komme nach einem 10- bis 12-Stunden-Tag bin ich auch launisch. Das gebe ich zu und müsste ich ändern, ich weiß nur nicht wie.

Mit der härteste Satz war, dass er mehr Kontakt mit seiner rechten Hand hatte, als sexuell mit mir in den 23 Jahren. Ich kann gar nicht beschreiben, was dieser Satz in mir auslöst.

Ich habe Endometriose mit schwerstem Verlauf. Mit 18 wurde das bei mir festgestellt, ich habe es ihm gesagt und er hat sich für mich entschieden. Ich habe immer starke Unterleibsschmerzen gehabt, auch beim Sex tat alles weh. Die Schwangerschaft war ein Wunder und die schlimmste Zeit meines Lebens, ich wäre beinahe gestorben. Deshalb ist mir oft nicht nach Sex gewesen. Nähe ist aber auch nicht möglich, denn da möchte mein Mann gleich mehr und ich wollte ihn nicht immer "ablehnen".

Ich stelle mir aber eine........

© stern


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