Liebe Frau Peirano,

jetzt kommt die Weihnachtszeit und mit unseren vier Kindern (10, 8 (Zwillinge), 3) ist da immer viel zu viel zu tun. Die Schule und die Kitas erwarten mehr Einsatz und Geselligkeit und natürlich ist das für die Kinder wichtig. Aber es sind eben auch viele Extratermine: Laternelaufen, Vorbereitung des Krippenspiels, Adventssingen, Kindertheater, Weihnachtsfeier usw.

Dazu dekoriere ich das ganze Haus schön, bastel Adventskalender für jedes Kind (ja, 96 Pakete!) und organisiere, wie wir die weit verstreute Verwandtschaft unter einen Hut bekommen. Wir müssen oft an einem Adventswochenende 400 km zu einer der Großmütter reisen, damit die die Kinder sie sehen. Singen, Plätzchen backen, vorlesen gehören natürlich auch dazu.

Ich mache das alles gern, und ich habe selbst als Kind eine wunderschöne Weihnachtszeit erleben dürfen, weil meine Eltern sehr liebevoll waren und alles möglich gemacht haben. Der Unterschied ist, dass meine Eltern die Arbeit zusammen erledigt haben. Mein Vater hat die Weihnachtsbeleuchtung aufgehängt, auch Geschenke besorgt und mit uns Plätzchen gebacken. Meine Eltern sind mit uns zusammen zum Laternelaufen etc. gegangen, weil meinem Vater das wichtig war. Und meine Mutter war überwiegend Hausfrau und hatte eben auch Zeit dafür. Ich arbeite in Teilzeit und in der Firma ist im Dezember auch immer Hochbetrieb.

Was mich wirklich traurig macht, ist, dass ich das alles alleine machen muss. Mein Mann interessiert sich nicht für Weihnachten. Seine Familie bestand aus seiner überforderten Mutter, der Vater hatte eine neue Familie. Seine Mutter hat einen Plastiktannenbaum aufgeklappt und ein paar Kekse gekauft, das war es. Weihnachten saß er dann deprimiert mit ihr vor Rotkohl aus dem Glas und Rouladen aus dem Supermarkt, und dann war es auch schnell wieder vorbei.

Das zu hören ist für mich sehr traurig, gerade wenn ich das mit meiner schönen Kindheit vergleiche: Kaminfeuer und Vorlesen im Advent, zusammen singen, als Familie häufig in den Gottesdienst gehen, liebevolle Adventskalender, Nikolaus- und Weihnachtsgeschenke. Es war alles zauberhaft. Das möchte ich an unsere Kinder weitergeben.

Aber es fühlt sich halt nicht gut an, dass mein Mann sich ausklinkt. Er arbeitet sehr viel, ich glaube, dass er absichtlich länger bei der Arbeit bleibt, als es sein müsste. Und er geht mit seinen Kollegen häufig auf den Weihnachtsmarkt oder zu Weihnachtsfeiern, um zu "feiern". Im Klartext: um sich zu betrinken. Es stört mich sehr, wenn er jede Woche betrunken nach Hause kommt, während die Kinder in ihren Zimmern friedlich schlafen und in ihrer heilen Weihnachtswelt sind.

Ich habe neulich sogar geträumt, dass ein Wildschwein in unser Wohnzimmer gestürmt ist und sich auf unserem Sofa gesuhlt und alles dreckig gemacht hat. Ich denke, ich muss nicht erklären, was das bedeutet ...

Mein Mann und ich sind grundsätzlich sehr unterschiedlich in unserem Einsatz für die Familie. Von Januar bis November läuft es einigermaßen, weil er sich für das Fußballtraining der Kinder und andere sportliche Events einsetzt. Aber im Dezember kündigt er irgendwie innerlich und wird zu diesem unsympathischen Mann, der nur sein eigenes Ding macht.

Auch vor den Weihnachtstagen graut mir. Mein Mann ist meistens innerlich abwesend und etwas knurrig, Er schafft es auch nicht, mir etwas Schönes zu schenken, sodass wir das vor einigen Jahren aufgegeben haben. Ich komme mir vor wie eine Schauspielerin, die mit den Kindern "frohe Familie an Weihnachten" spielt und daneben sitzt ein Fremder, der alles kritisch oder desinteressiert beobachtet und dem auf der Stirn geschrieben steht: "Wann ist das endlich wieder vorbei?"

Haben Sie ein paar Ansätze oder Tipps für mich?

Viele Grüße
Natalie B.

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Liebe Natalie B.,

es hört sich so an, als wenn bei Ihnen in der Weihnachtszeit ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen Ihnen und Ihrem Mann klafft, und das ist bestimmt sehr schmerzhaft!

Sie erklären das sehr gut mit den unterschiedlichen Erlebnissen, die Sie beide zu Weihnachten in Ihrer Kindheit gemacht haben. Ihre liebevolle Kindheit mit Eltern, die Hand in Hand gearbeitet haben, um ihren Kindern eine wunderschöne Zeit zu ermöglichen. Bestimmt waren die Adventswochen bei Ihnen jedes Jahr eine ganz besonders schöne und intensive Zeit mit vielen guten Erinnerungen.

Im Gegenzug die traurige Kindheit Ihre Mannes mit einer etwas desinteressiert und kalt anmutenden Mutter, die mit ihrem Leben überfordert war (oder enttäuscht oder verbittert) und nur das Nötigste gemacht hat, um Weihnachten schnell und unkompliziert über die Bühne zu bringen. Ich kann mir vorstellen, dass für Ihren Mann die Weihnachtszeit besonders traurig war. Vielleicht hat er als kleiner Junge auch Traurigkeit oder Neid empfunden, wenn er gesehen hat, was in den Familien seiner Freunde oder im Fernsehen für schöne und liebevolle Rituale stattgefunden haben.

Vielleicht hat er sich hilflos, vernachlässigt und ungeliebt gefühlt. Anscheinend hat er diese Gefühle abgespalten und sich von der "Kinderweihnachtszeit" innerlich distanziert, weil die Erinnerung zu schmerzhaft ist. Jetzt sieht er an seinen eigenen Kindern, was er alles verpasst hat: selbstgebastelte Adventskalender, gemütliches Singen und Vorlesen, ein warmes, liebesvolles Zuhause. Und da er es abgespalten hat, tut es ihm zwar weh, aber der Schmerz ist verschüttet und nicht klar zu benennen.

Ihr Mann hat für sich einen Bewältigungsmechanismus gefunden: Er hat sich eine "Männerweihnachtszeit" gestaltet im Sinne von: "Ich bin kein hilfloses ungeliebtes Kind mehr, sondern ein erwachsener Mann. Und ich brauche keine Wichtel, Nikoläuse und diesen ganzen Kinderkram, den man ja doch nicht bekommt. Ich brauche auch keine Familie, die mich enttäuschen kann, sondern ich bin groß und raus aus dem Leid. Ich verdiene mein eigenes Geld und kann damit richtige Männersachen machen, also auf dem Weihnachtsmarkt, was trinken und mit anderen Erwachsenen feiern."

Ich kann mir vorstellen, dass es Ihrem Mann helfen würde, wenn Sie Verständnis für seine Gefühle als Kind zeigen. Vielleicht dringt das ja zu ihm und seinen abgespaltenen (dissoziierten) Gefühlen durch, wenn Sie ansprechen, dass es traurig ist, dass er das alles als Kind nicht hatte und bestimmt in der Weihnachtszeit besonders traurig war. Dann können Sie mit ihm auf die erwachsene Ebene kommen, auf der Sie beide Eltern von vier Kindern sind, und ihn fragen, wie Sie die Weihnachtszeit gemeinsam bewältigen wollen und was er übernehmen will.

Hier kommt ein ganz einfacher, aber unglaublich wirkungsvoller Tipp, der immer klappt: Wenn man einen Konflikt mit jemandem hat, sollte man diese Person auf Augenhöhe ansprechen und fragen, wie man ihn gemeinsam lösen kann.

Es hat sich in den vielen Jahren, in denen ich meinen Patient:innen zugehört habe, noch niemand darüber beschwert, dass in einer Konfliktsituation jemand freundlich gesagt hat: "Du, wir haben hier ein Problem miteinander. Was ist deine Vorstellung davon, wie wir das lösen und damit umgehen können?"

Die Probleme entstehen meistens, wenn ich meine eigene Vorstellung meinem Partner überstülpe und ihm sage, wie er sich verhalten soll. Oder wenn ich einfach Dinge mache (einen Urlaub für mich alleine buche; die Wohnung umdekoriere, meine Mutter über Weihnachten einlade), ohne vorher nach einer gemeinsamen Lösung zu fragen.

Und dann schauen Sie mal, ob Sie beide zu einer Kooperation kommen statt zu einem Kampf. Es könnte sein, dass es besser ist, wenn Ihr Mann über Weihnachten zum Skifahren fährt und Sie mit Ihren Eltern feiern. Vielleicht wäre das auch ein Augenöffner, wenn Sie das ein einziges Mal vereinbaren, z.B. für das kommende Jahr. Dann kann er mal in Ruhe erspüren, wie es ohne seine Familie ist und ob er das wirklich will. Und es ist auch eine klare Grenze, die Sie ziehen: "So schlecht gelaunt und innerlich abwesend möchte ich dich hier nicht beim Weihnachtsfest haben."

Oder Ihr Mann beschäftigt sich mit seinem Kindheitsthema und dann finden Sie gemeinsam bei einer Paarberatung eine Lösung, wie Sie Weihnachten gestalten können. Vielleicht mehr winterliche Spaziergänge als diese Wichtel-Nikolaus-Adventskalender-Trigger, die Ihren Mann gefühlsmäßig zurück in seine unglückliche Kindheit katapultieren. Denn anscheinend ist Ihr Mann ja auch eher ein Outdoor-Sport-Typ.

Ich habe für Sie noch zwei Buchtipps, um über Ihre Rolle als berufstätige Mutter nachzudenken und die "kleinen" Dinge des Alltags besser zu würdigen.

Iris Radisch, "Die Schule der Frauen: Wie wir die Familie neu erfinden", Deutsche Verlags-Anstalt.

Alexandra Zykunov, "Wir sind doch alle längst gleichberechtigt! 25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen", Ullstein Taschenbuch.

Ich hoffe, dass Sie es schaffen, Ihre Position zu überdenken und mit Ihrem Mann in ein konstruktives Gespräch über die Weihnachtszeit zu kommen. Ob zusammen oder getrennt.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

Dieser Artikel enthält sogenannte Affiliate-Links. Mehr Informationen dazu gibt es hier.

QOSHE - Mein Mann geht feiern und ich kann für unsere vier Kinder Weihnachtsstimmung zaubern – alleine - Dr. Julia Peirano
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Mein Mann geht feiern und ich kann für unsere vier Kinder Weihnachtsstimmung zaubern – alleine

6 0
19.12.2023

Liebe Frau Peirano,

jetzt kommt die Weihnachtszeit und mit unseren vier Kindern (10, 8 (Zwillinge), 3) ist da immer viel zu viel zu tun. Die Schule und die Kitas erwarten mehr Einsatz und Geselligkeit und natürlich ist das für die Kinder wichtig. Aber es sind eben auch viele Extratermine: Laternelaufen, Vorbereitung des Krippenspiels, Adventssingen, Kindertheater, Weihnachtsfeier usw.

Dazu dekoriere ich das ganze Haus schön, bastel Adventskalender für jedes Kind (ja, 96 Pakete!) und organisiere, wie wir die weit verstreute Verwandtschaft unter einen Hut bekommen. Wir müssen oft an einem Adventswochenende 400 km zu einer der Großmütter reisen, damit die die Kinder sie sehen. Singen, Plätzchen backen, vorlesen gehören natürlich auch dazu.

Ich mache das alles gern, und ich habe selbst als Kind eine wunderschöne Weihnachtszeit erleben dürfen, weil meine Eltern sehr liebevoll waren und alles möglich gemacht haben. Der Unterschied ist, dass meine Eltern die Arbeit zusammen erledigt haben. Mein Vater hat die Weihnachtsbeleuchtung aufgehängt, auch Geschenke besorgt und mit uns Plätzchen gebacken. Meine Eltern sind mit uns zusammen zum Laternelaufen etc. gegangen, weil meinem Vater das wichtig war. Und meine Mutter war überwiegend Hausfrau und hatte eben auch Zeit dafür. Ich arbeite in Teilzeit und in der Firma ist im Dezember auch immer Hochbetrieb.

Was mich wirklich traurig macht, ist, dass ich das alles alleine machen muss. Mein Mann interessiert sich nicht für Weihnachten. Seine Familie bestand aus seiner überforderten Mutter, der Vater hatte eine neue Familie. Seine Mutter hat einen Plastiktannenbaum aufgeklappt und ein paar Kekse gekauft, das war es. Weihnachten saß er dann deprimiert mit ihr vor Rotkohl aus dem Glas und Rouladen aus dem Supermarkt, und dann war es auch schnell wieder vorbei.

Das zu hören ist für mich sehr traurig, gerade wenn ich das mit meiner schönen Kindheit vergleiche: Kaminfeuer und Vorlesen im Advent, zusammen singen, als Familie häufig in den Gottesdienst gehen, liebevolle Adventskalender, Nikolaus- und Weihnachtsgeschenke. Es war alles zauberhaft. Das möchte ich an unsere Kinder weitergeben.

Aber es fühlt sich halt nicht gut an, dass mein Mann sich ausklinkt. Er arbeitet sehr viel, ich glaube, dass er absichtlich länger bei der Arbeit bleibt, als es sein müsste. Und er geht mit seinen Kollegen häufig auf den Weihnachtsmarkt oder zu........

© stern


Get it on Google Play