Liebe Frau Peirano,

Ich bin 48, seit acht Jahren geschieden und längst wieder zufrieden mit meinem neuen Leben. Wir haben einen mittlerweile erwachsenen Sohn (20). Das einzige Haar in der Suppe ist mein Exmann. Wir haben vor der Trennung viele Probleme damit gehabt, dass er beruflich aus meiner Sicht viel zu ehrgeizige Pläne hatte. Er hat ursprünglich als Angestellter in einem großen Fachgeschäft für Elektroartikel gearbeitet.

Seine narzisstische Mutter hat ihm den Floh in den Ohr gesetzt, dass er viel mehr könne und unter seinen Möglichkeiten leben würde. Mein Exmann wollte seinem sehr erfolgreichen Vater nacheifern und wahrscheinlich auch beweisen, dass er ebenso ernstzunehmen ist wie seine beiden erfolgreichen älteren Brüder.

Er hat sich coachen lassen und sich dann auf Anraten des Coaches selbstständig gemacht, als Berater für riesige Umweltprojekte. Dabei hat er eigentlich keine Ahnung, ist weder Ingenieur noch Betriebswirt. Er hatte in den letzten 12 Jahren und hat bis heute kein eigenes Einkommen und ich habe während der Ehe für ihn mitverdient. Nach zwei Jahren wurde mir klar, dass er niemals erfolgreich sein wird. Er hat das nicht wahrhaben wollen und sprach immer von "meiner Firma", "meiner Akademie", "meinen Kunden", obwohl er kein Geld verdient hat. Wir hatten aufgrund seiner Verleugnung große Differenzen und es kam zur Trennung.

Danach habe ich unseren Sohn finanziell und auch in puncto Verantwortung allein großgezogen. Mein Exmann baute sich immer pompösere Homepages, auf denen irgendwelche Bekannten als Beraterteam abgebildet waren. Zum Teil waren es auch Geschäftspartner seines Vaters, die das seinem Vater zum Gefallen taten.

Mein Exmann erzählte unserem Sohn und allen Bekannten nur noch von seinem Beruf, von wichtigen Projekten, die er gerade leite und stellte sich als erfolgreichen Geschäftsmann dar. Keiner glaubte ihm, es war geradezu peinlich. Die Homepage, auf der er sich als "weltweit anerkannten Experten" bezeichnete, verstaubte und strotzte vor Rechtschreibfehlern. Ich habe mich weiter von ihm distanziert, obwohl er mir leidtat.

"Leider" haben wir seit 20 Jahren zwei gemeinsame Ferienwohnungen an der Ostsee, die ich verwalte und vermiete. Mein Exmann hat sich bisher nie darum gekümmert, außer dass er die Hälfte der Gewinne eingestrichen hat. Seit einem halben Jahr schreibt er mir plötzlich E-Mails, in denen er mich behandelt wie ein Dienstmädchen. Er fordert zum ersten Mal Einsicht in Reparaturmaßnahmen und Verträge und kommt mit absurden Fragen und Vorschlägen um die Ecke. Er hat mir einen Elektriker genannt, den ich jetzt beschäftigen soll, obwohl ich seit Jahren mit unserem Elektriker sehr zufrieden bin. Er verlangte von mir, dass ich seinen Bekannten Sonderkonditionen für einen Urlaub an der Ostsee anbiete, dabei waren die Wohnungen in der betreffenden Zeit schon vermietet.

Ich wollte kürzlich seine (formelle) Zustimmung, dass ich den Steuerberater wechsle, weil der jetzige sehr alt ist und viele Fehler macht. Er befahl mir, weiterhin bei dem bisherigen Steuerberater zu bleiben, weil er mit ihm "sehr erfolgreich zusammenarbeite". Die Zusammenarbeit besteht darin, dass ICH die Arbeit mache und mein Exmann die fertige Erklärung unterzeichnet.

Ich möchte mich nicht wie ein Dienstmädchen behandeln lassen. Was mache ich jetzt am besten?

Das Schlimmste ist, dass mein Exmann so sehr auf seiner eigenen Erfolgsstory beharrt, dass keiner ihm gegenüber andeuten darf, dass er seit Jahren keine Einkünfte hat (außer den Einnahmen aus der Vermietung und dem Verbrauch einer Erbschaft). Auch unser Sohn darf das nicht wissen und mein Exmann hat mir untersagt, mit ihm darüber zu sprechen. Mit seinen Eltern sowieso nicht, also hat er dafür gesorgt, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihnen habe.

Ich finde es schwierig, so ein Lügengebilde aufzubauen. Haben Sie ein paar Tipps, wie ich mit ihm umgehen kann? Ganz distanzieren kann ich mich nicht, da wir ja gemeinsam die Wohnungen haben, die wir nicht verkaufen wollen.

Viele Grüße
Denise T.

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Liebe Denise T.,

ich fand den Ausdruck "das Haar in der Suppe" sehr treffend. Eigentlich ist Ihre Lebenssituation gut und Sie haben viel geschafft. Aber das Verhältnis mit Ihrem Exmann stört den Frieden so empfindlich wie ein Haar den Genuss der Suppe stört.

Es hört sich an, als hätten sich die Probleme Ihres Exmannes sich mit den Jahren zugespitzt. Er hat vielleicht immer schon unter Druck gestanden, was sich aus der Familiensituation ja plausibel erklären lässt. Er hat einen erfolgreichen Vater, eine narzisstische Mutter und zwei ältere, ebenfalls erfolgreiche Brüder. Narzisstische Mütter haben ihre Probleme mit der Realität und drehen sich diese so, wie es ihnen gefällt. Oft machen sie ein Kind zu einem sogenannten "goldenen Kind", das nichts falsch machen kann, und ein anderes Kind zum "schwarzen Schaf". Die Gründe für diese Ungleichbehandlung müssen von außen nicht nachvollziehbar sein, sondern werden rein subjektiv von ihr selbst gefunden.

Es deutet sich an, dass Ihr Exmann von klein auf das Gefühl hatte, den Anforderungen seiner Familie nicht zu genügen. Er wollte und sollte etwas Besonderes sein, und seine sichere Position als Angestellter war seiner Mutter nicht prestigeträchtig genug. Er wagte den Schritt in die Selbstständigkeit und hat es offensichtlich nicht geschafft, erfolgreich zu sein. Möglicherweise wäre es hilfreich gewesen, wenn man ihm davon abgeraten hätte, alles auf eine Karte zu setzen. Möglicherweise hat er das auch nicht hören wollen, sondern hat schon damals begonnen, die Realität zu verleugnen.

So hat er eine Fassade aufgebaut, die des erfolgreichen Geschäftsmannes, und versucht, diese nach außen aufrechtzuerhalten. Vortäuschen macht einsam, weil man niemanden an sich heranlassen darf. Und man bekommt in seiner Situation kein Korrektiv von Menschen, die es gut meinen. Nicht einmal der eigene Sohn darf wissen, wie es dem Vater wirklich geht.

Durch das Verbergen hinter einer Fassade wird ein falsches Selbst aufgebaut. Es dürfen nur bestimmte Anteile nach außen oder vielleicht auch nach innen gezeigt werden: der erfolgreiche Geschäftsmann (dessen Existenz auf einer Lüge beruht), der Anführer, der allen sagt, wo es langgeht. Ihr Exmann darf keine Zweifel nach außen dringen lassen, keine Selbstkritik, keine Selbstvorwürfe, keine Unsicherheiten und er darf sich seine Einsamkeit nicht anmerken lassen.

Das ist eine fatale Situation.

Dennoch ist es natürlich nicht akzeptabel, wie er mit Ihnen umgeht. Ich vermute, dass er Sie von oben herab behandelt (wie ein Dienstmädchen), weil er seine Minderwertigkeitsgefühle Ihnen gegenüber nicht spüren will. Sie haben sich ein neues Leben aufgebaut, Sie haben den gemeinsamen Sohn großgezogen und Sie übernehmen Verantwortung für die gemeinsamen Wohnungen an der Ostsee. Ihre Erfolge lassen ihn dagegen klein aussehen. Und das kompensiert er mit seinem dominanten Auftreten. Ihr Exmann übernimmt keine Verantwortung, sondern möchte ohne entsprechende Leistung als der große Entscheider und Boss dastehen, auf Ihre Kosten.

Wie wäre es, wenn Sie ihm vor Augen führen, dass Eigentum verpflichtet und Sie diese Verpflichtung bisher allein angenommen haben, indem Sie die Arbeiten erledigt haben? Stellen Sie ihn doch vor folgende Entscheidung: Entweder er lässt Sie weiterhin alles allein entscheiden wie in den letzten 20 Jahren und hält sich weiterhin raus, oder Sie beide geben die Verwaltung an einen externen Dienstleister ab. Dann bezahlen Sie beide dafür und machen weniger Gewinn, und Sie müssen bei jeder Entscheidung gemeinsam mit dem Verwalter sprechen. Dann müsste sich Ihr Exmann auch Gedanken machen und Engagement zeigen. Lassen Sie nicht zu, dass Ihr Exmann sich selbst um die Wohnungen kümmert, denn dazu ist er offensichtlich nicht in der Lage.

Das bedeutet, dass Sie Ihrem Exmann die Grenze aufzeigen, die heißt: bis hierhin und keinen Schritt weiter. Entweder wir klären es, oder wir lassen es. Bei einer Klärung kann es auch sinnvoll sein, eine:n Mediator:in einzuschalten, da Sie wahrscheinlich zu zweit aufgrund der Verleugnung nicht weiterkommen. Durch diese Vorschläge zeigen Sie, dass Sie kein Dienstmädchen sind und nicht nach seiner Pfeife tanzen.

Wenn er sich nicht klar positioniert, könnten Sie ihn bei der nächsten "Amtshandlung" für die Wohnungen fragen, wie er sich entschieden hat und z.B. sagen: Ich müsste gleich neuen Mietern die Wohnung zeigen. Das würde ich nicht machen, wenn ich die Wohnung nicht verwalte. Sag mir doch bitte, wer zuständig ist. Soll das ein Verwalter machen? Er wird merken wie schwer es ist, einen Verwalter zu finden und wie viel Geld dieser nimmt. Das kann lehrreich sein, sozusagen ein kleiner Ausflug in die Realität.

Wenn es dazu kommt, dass ein Verwalter die Wohnungen betreut, wäre es gut, folgende Spielregeln zu vereinbaren: Sie beide sind immer die Ansprechpartner für alle Eigentümerbelange. Das wird zwar anstrengend für Sie, da Sie mehr mit Ihrem Exmann zu tun haben werden, aber Sie führen ihm vor Augen, dass man sich erst einmal einbringen muss, um Entscheidungen zu treffen. Man kann nicht einfach auftauchen und von oben herab den Chef spielen, sondern man muss Einblicke haben, die Zahlen kennen, den Kontakt zu Handwerkern pflegen, den Umgang mit Mietern beherrschen usw.

Erst dann kann man Entscheidungen treffen, und das müssten Sie immer einvernehmlich und auf Augenhöhe. Ob das Ihrem Exmann ein Stück Realität vor Augen führt oder nicht, ist fraglich. Aber Sie zeigen sich und ihm, dass Sie sich von ihm nicht am Nasenring durch die Manege führen lassen. Und das ist für Ihre Selbstachtung gut.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

QOSHE - Mein Ex-Mann verhält sich wie der große Zampano und kommandiert mich herum - Dr. Julia Peirano
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Mein Ex-Mann verhält sich wie der große Zampano und kommandiert mich herum

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28.02.2024

Liebe Frau Peirano,

Ich bin 48, seit acht Jahren geschieden und längst wieder zufrieden mit meinem neuen Leben. Wir haben einen mittlerweile erwachsenen Sohn (20). Das einzige Haar in der Suppe ist mein Exmann. Wir haben vor der Trennung viele Probleme damit gehabt, dass er beruflich aus meiner Sicht viel zu ehrgeizige Pläne hatte. Er hat ursprünglich als Angestellter in einem großen Fachgeschäft für Elektroartikel gearbeitet.

Seine narzisstische Mutter hat ihm den Floh in den Ohr gesetzt, dass er viel mehr könne und unter seinen Möglichkeiten leben würde. Mein Exmann wollte seinem sehr erfolgreichen Vater nacheifern und wahrscheinlich auch beweisen, dass er ebenso ernstzunehmen ist wie seine beiden erfolgreichen älteren Brüder.

Er hat sich coachen lassen und sich dann auf Anraten des Coaches selbstständig gemacht, als Berater für riesige Umweltprojekte. Dabei hat er eigentlich keine Ahnung, ist weder Ingenieur noch Betriebswirt. Er hatte in den letzten 12 Jahren und hat bis heute kein eigenes Einkommen und ich habe während der Ehe für ihn mitverdient. Nach zwei Jahren wurde mir klar, dass er niemals erfolgreich sein wird. Er hat das nicht wahrhaben wollen und sprach immer von "meiner Firma", "meiner Akademie", "meinen Kunden", obwohl er kein Geld verdient hat. Wir hatten aufgrund seiner Verleugnung große Differenzen und es kam zur Trennung.

Danach habe ich unseren Sohn finanziell und auch in puncto Verantwortung allein großgezogen. Mein Exmann baute sich immer pompösere Homepages, auf denen irgendwelche Bekannten als Beraterteam abgebildet waren. Zum Teil waren es auch Geschäftspartner seines Vaters, die das seinem Vater zum Gefallen taten.

Mein Exmann erzählte unserem Sohn und allen Bekannten nur noch von seinem Beruf, von wichtigen Projekten, die er gerade leite und stellte sich als erfolgreichen Geschäftsmann dar. Keiner glaubte ihm, es war geradezu peinlich. Die Homepage, auf der er sich als "weltweit anerkannten Experten" bezeichnete, verstaubte und strotzte vor Rechtschreibfehlern. Ich habe mich weiter von ihm distanziert, obwohl er mir leidtat.

"Leider" haben wir seit 20 Jahren zwei gemeinsame Ferienwohnungen an der Ostsee, die ich verwalte und vermiete. Mein Exmann hat sich bisher nie darum gekümmert, außer dass er die Hälfte der Gewinne eingestrichen hat. Seit einem halben Jahr schreibt er mir plötzlich E-Mails, in denen er mich behandelt wie ein Dienstmädchen. Er fordert zum ersten Mal Einsicht in Reparaturmaßnahmen und Verträge und kommt mit absurden Fragen und Vorschlägen um die Ecke. Er hat mir einen........

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