Liebe Frau Peirano,

ich bin 43 und Mama einer 16-jährigen Tochter. Seit 8 Jahren bin ich Single, weil ich mich ganz meiner Tochter und meiner Arbeit (Speditionskauffrau) gewidmet habe. Vor ein paar Monaten habe ich über eine Annonce in der "Zeit" einen Mann kennengelernt, der schrieb, dass er in einer langjährigen Beziehung ohne Sex ist und eine Frau für besondere Momente und Zärtlichkeit sucht. Das hat mich total angesprochen.

So lernte ich Frederick kennen, Geschäftsführer in seiner Firma, sehr attraktiv und charismatisch.

Wir trafen uns zum Kaffeetrinken, gingen noch in eine Jazzbar, und es funkte sofort. Er hatte ein Hotel in meiner Stadt gebucht und wir verbrachten dort die Nacht zusammen. Es war der beste Sex seit Jahren und ich fühlte mich elektrisiert und begehrt. Aber rückwirkend fällt mir auf, dass er beim Sex nie in meine Augen schaut. Er fesselt mich oft mit Seidentüchern ans Bett und nimmt mich von hinten, auch heute noch. Zu Anfang fand ich das total aufregend, insbesondere nach den vielen Jahren eines Lebens wie eine Nonne, und ich konnte mich ganz gut auf mich selbst konzentrieren und meinen Fantasien freien Lauf lassen. Ich fühlte mich sexy und verwegen.

Er massierte und befriedigte mich lange oral, und ich kam oft zum Orgasmus. Streicheleinheiten waren immer sein Weg, mich zu verwöhnen.

Wir trafen uns ein paar Mal im Monat, und er war recht dominant und gab die Treffen vor. Er rief mich an, mailte mir Flugtickets und Hotelkoordinaten, und er schickte vor jedem Treffen ein Paket mit Dessous und einem teueren Parfum. Am Anfang fand ich das einfach geil. Wir gingen in teuere Restaurants in aufregenden Städten, Kunstgalerien (meistens erotische) und Bars.

Er erzählte wenig Persönliches über sich und seine Familie und, ehrlich gesagt, war ich an seiner Ehe auch nicht interessiert. Das war ja von Anfang an klar und das Wenige, was er durchblicken ließ, klang sehr langweilig.

Aber nach einiger Zeit stellte ich fest, dass er auch an mir und meinem Leben nicht interessiert war. Einmal hatte ich kurz vor unserem Wochenende einen großen Streit mit meiner Tochter, weil sie zu viel Alkohol trank und auch recht freizügig mit Jungs war (sie ist 16!), und Frederick sagte einfach: "Die Hauptsache ist doch, mit wem DU schläfst“ und fasste mir an die Brüste. In dem Moment spürte ich eine riesige Distanz zwischen uns und verlor die Lust, mit ihm zu schlafen.

Ich fuhr dann früher nach Hause, was ihn verärgerte, und ich kam dann ins Nachdenken. Er rief mich an und sagte mir, dass er mich vermisst, versuchte aber immer wieder, mich sexuell anzumachen. Ein paar Tage später kam wieder das Paket und noch aufreizendere Wäsche.

Ich frage mich zum ersten Mal, ob ich wirklich hinfahren soll, wenn er so wenig Interesse an meinem Leben hat. Mir ist die Lust auf Sex erstmal vergangen, und ohne Sex ist da nicht viel. Soll ich da wirklich weitermachen? Oder am Wochenende hinfahren und sehen, ob es sich verändert? Ich würde gerne mit ihm darüber reden, wie ich mich fühle.

Viele Grüße
Sophie L.

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Liebe Sophie L,

ich kann mir vorstellen, wie sehr Sie sich nach acht Jahren als alleinerziehende Mutter nach Nähe und Berührungen gesehnt haben. Aber es klingt so, als wenn Sie sich sowohl seelische als auch körperliche Berührung gewünscht haben. Und darüber hinaus habe ich den Eindruck, als wenn Sie auch einen Gesprächspartner und Gefährten suchen, der sich für Ihr Leben und Ihre Gefühle interessiert.

Ihre Antwort auf Fredericks Annonce war ein Versuch, in der limitierten Zeit, die Ihnen aufgrund Ihrer Lebensumstände zur Verfügung steht, einen Partner zu finden, der ihre Bedürfnisse abdeckt.

Allerdings haben Sie bei Fredericks Anzeige nicht wahrgenommen, dass er ziemlich deutlich etwas ganz anderes gesucht hat. Wahrscheinlich waren Sie zunächst durch sein Versprechen von Zärtlichkeit und intensiven Momenten abseits des Alltags geblendet, und anfänglich hat das ja auch gut geklappt. Da war endlich wieder ein Mann in Ihrem Leben, der Sie begehrte, berührte und der Sie aus Ihrem Alltag entführte. Sie konnten die Gefühle, ständig für Ihre Tochter und Ihren Job Verantwortung zu tragen, mal hinter sich lassen und sich als Frau und Geliebte spüren. Das war bestimmt sehr aufregend und konnte Ihnen einen tollen Kick geben.

Doch über die Zeit stellte sich dann heraus, dass Frederick es "nur" auf sexuelle und körperliche Befriedigung angelegt hat und – aus welchen Gründen auch immer – kein Ansprechpartner für Ihre seelischen Belange sein wollte. Vielleicht hat er zu Hause mit seiner Frau bereits genug emotionale Themen, vielleicht wollte er aber auch nur gezielt mit Ihnen das ausleben, was in seiner Ehe fehlte, und das möglichst zielstrebig und punktgenau. Er wollte sozusagen an seinen freien Wochenenden viel "value for money" bekommen. Er funktioniert in seinem anspruchsvollen Beruf und seiner unbefriedigenden Ehe und möchte sich auch mal als Mann bestätigt fühlen. Er braucht das auf seine Art, denn das gibt ihm den Treibstoff für sein Leben.

Anscheinend kann Frederick in seinem Leben verschiedene Bereiche gut voneinander trennen, und Sie waren für ihn die Frau für seine sexuellen und erotischen Bedürfnisse, aber eben nicht noch eine weitere Frau, für die er Verständnis und Mitgefühl aufbringen will. Und genau das hat Sie verletzt, denn Sie haben jetzt in dieser Beziehung erfahren, dass Sie eben nicht nur Sex wollen, sondern viel mehr. Möglicherweise haben Sie sich auch bisher nicht eingestanden, dass Sie als alleinerziehende berufstätige Mutter eben auch mal eine Schulter zum Anlehnen und Zuspruch brauchen.

Ihre Verletzung, weil Frederick sich nur sexuell für Sie interessiert, führt bei Ihnen zum Verlust Ihres sexuellen Interesses an ihm. Das hört sich an wie: Du willst nichts von meiner Seele, also verweigere ich Dir meinen Körper. Und genau an der Stelle würde ich Ihnen auch raten, einen Schlussstrich zu ziehen. Denn Frederick ist klar in seiner Intention und wird sich vermutlich nicht verändern. Und Ihnen ist sind durch ihn bewusst geworden, was Ihnen fehlt.

Ich würde Ihnen raten, noch einmal darüber nachzudenken, was genau Sie sich von einer Beziehung oder Affäre wünschen: Soll es nur ein Mann für seelische und körperliche Auszeiten sein oder auch ein Partner im Alltag?

Und wenn Sie das wissen, können Sie sich wieder auf die Suche begeben. Ich wünsche Ihnen alles Gute dabei!

Herzliche Grüße
Julia Peirano

QOSHE - Ich habe mir einen Lover gesucht, aber läuft da mehr als nur Sex? - Dr. Julia Peirano
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Ich habe mir einen Lover gesucht, aber läuft da mehr als nur Sex?

6 0
19.03.2024

Liebe Frau Peirano,

ich bin 43 und Mama einer 16-jährigen Tochter. Seit 8 Jahren bin ich Single, weil ich mich ganz meiner Tochter und meiner Arbeit (Speditionskauffrau) gewidmet habe. Vor ein paar Monaten habe ich über eine Annonce in der "Zeit" einen Mann kennengelernt, der schrieb, dass er in einer langjährigen Beziehung ohne Sex ist und eine Frau für besondere Momente und Zärtlichkeit sucht. Das hat mich total angesprochen.

So lernte ich Frederick kennen, Geschäftsführer in seiner Firma, sehr attraktiv und charismatisch.

Wir trafen uns zum Kaffeetrinken, gingen noch in eine Jazzbar, und es funkte sofort. Er hatte ein Hotel in meiner Stadt gebucht und wir verbrachten dort die Nacht zusammen. Es war der beste Sex seit Jahren und ich fühlte mich elektrisiert und begehrt. Aber rückwirkend fällt mir auf, dass er beim Sex nie in meine Augen schaut. Er fesselt mich oft mit Seidentüchern ans Bett und nimmt mich von hinten, auch heute noch. Zu Anfang fand ich das total aufregend, insbesondere nach den vielen Jahren eines Lebens wie eine Nonne, und ich konnte mich ganz gut auf mich selbst konzentrieren und meinen Fantasien freien Lauf lassen. Ich fühlte mich sexy und verwegen.

Er massierte und befriedigte mich lange oral, und ich kam oft zum Orgasmus. Streicheleinheiten waren immer sein Weg, mich zu verwöhnen.

Wir trafen uns ein paar Mal im Monat, und er war recht dominant und gab die Treffen vor. Er rief mich an, mailte mir Flugtickets und Hotelkoordinaten, und er schickte vor jedem Treffen ein Paket mit Dessous und einem teueren Parfum. Am Anfang fand ich das einfach geil. Wir gingen in teuere Restaurants in aufregenden Städten, Kunstgalerien (meistens erotische) und Bars.

Er erzählte wenig Persönliches über sich und seine Familie und,........

© stern


Get it on Google Play