Stand: 01.05.2024, 15:01 Uhr

Von: Steffen Herrmann

Kommentare Drucken Teilen

Die Debatte über faule Beschäftigte führt in die Irre. Es müssen ganz andere Probleme gelöst werden.

Wie wollen wir arbeiten, wie gestalten wir das Verhältnis von Arbeit und dem, was nicht Arbeit ist? Einfache Antworten darauf gibt es nicht – zu viel ist in Bewegung: Die Gesellschaft altert, die Zahl der Rentnerinnen und Rentner steigt. Berufsbilder und Industriezweige verändern sich, manche Branchen verschwinden ganz.

In Zeiten zunehmender Verunsicherung sind die Gewerkschaften gefordert. Mit dem Dreiklang „mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit“ formulieren sie eine vielversprechende Forderung, die gleichzeitig auch ein Arbeitsauftrag ist.

Ihm gerecht zu werden, wird nicht einfach sein, denn die Gewerkschaften stehen unter Druck: In den vergangenen Jahrzehnten haben sie Mitglieder und gesellschaftliche Gestaltungsmacht verloren. Immer weniger Menschen arbeiten in Betrieben mit Betriebsräten, für immer weniger Beschäftigte gelten Tarifverträge.

Diese Entwicklung ist bekannt – wie gefährlich sie ist, scheinen aber noch nicht alle Handelnde aus Politik und Wirtschaft erkannt zu haben. Denn Mitbestimmung und Tarifbindung könnten wichtige Instrumente sein: für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft, für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen, für den Kampf gegen rechts.

Die Beschäftigten in den Betrieben wissen oft sehr genau, was sich ändern muss, damit das eigene Unternehmen gut für die Zukunft aufgestellt ist. Und wer im eigenen Betrieb spürt, wie wertvoll es ist, über die eigenen Arbeitsbedingungen mitbestimmen zu können, schätzt wahrscheinlich auch die Demokratie im Kreis, im Land und auf Bundesebene.

Das funktioniert aber nicht, wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Betriebsräte aus den Firmen drängen und sich aus der Tarifbindung zurückziehen. Schlimmer noch: Von niedrigen Löhnen und undemokratischen Strukturen in den Betrieben profitieren braune Hetzer.

Kanzler Olaf Scholz hat recht, wenn er sagt, dass Arbeit mehr sei als Geldverdienen. Sie kann Sinn stiften und die eigene Identität strukturieren. Sie kann helfen, Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren. Als Bundeskanzler kann Scholz mit seiner Regierung die positiven Seiten von Arbeit stärken: zum Beispiel mit einem strengen Tariftreuegesetz, das öffentliche Aufträge an die Einhaltung von Tarifverträgen knüpft.

Gleichzeitig muss die Arbeitswelt flexibler gestaltet werden, und zwar nicht nur zugunsten der Arbeitgeber. Bei der Arbeitszeit deutet sich das schon an: Die Vier-Tage-Woche hat viele Anhänger und erste Studien zeigen, dass eine Arbeitszeitverkürzung viele positive Effekte für die Beschäftigten und Unternehmen gleichermaßen hat.

Die Einigung im Tarifstreit zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL zeigt, wohin die Reise gehen könnte: zu Arbeitszeitmodellen, die den Beschäftigten die Wahl lassen. Je nach Vorliebe oder Lebensphase könnte dann mehr oder weniger gearbeitet werden. Das ist nicht sofort in allen Branchen möglich. Auch deshalb braucht es die Tarifpartner, die für jede Branche die passende Regelung finden können.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass viele Glaubenssätze der Arbeitswelt falsch waren. Stundenlange Meetings im stickigen Konferenzräumen? Geht auch anders. Alle müssen jeden Tag im Büro sitzen? Im Homeoffice wird die Arbeit auch erledigt.

Statt diese Erkenntnisse in die Zukunft zu tragen, werden sie in vielen Unternehmen derzeit abgewickelt. Die Chefetagen rufen ihre Leute zurück in die Büros und ziehen die Zügel wieder an. Kontrolle statt Vertrauen, das ist die falsche Entwicklung.

Auch mit Blick auf die mentale Gesundheit der Beschäftigten: Die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt, und häufig spielt der Job dabei eine wichtige Rolle. Die Produktivität ist in den vergangenen Jahren gestiegen, die Arbeit hat sich verdichtet: mehr Aufgaben, mehr Wettbewerb, mehr Stress, aber weniger Zeit. Die Erfahrung vieler Beschäftigten ist, dass die Digitalisierung diese Entwicklung noch verschärft. Deshalb blicken sie skeptisch auf die Versprechen, mit denen für den Einsatz künstlicher Intelligenz in den Betrieben geworben wird.

KI wird die Arbeitswelt verändern und einige Berufe könnte sie überflüssig machen. Aber der technische Fortschritt ist keine Naturgewalt, die über die Menschheit hereinbricht und sich nicht steuern lässt. Er lässt sich gestalten und zwar so, dass nicht nur einige wenige, sondern viele von seinen Segnungen profitieren. Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit – das klingt nach Widersprüchen. Oft aber ist mehr möglich, als es auf den ersten Blick scheint. Bericht S. 14

QOSHE - Zukunft der Arbeit - Steffen Herrmann
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Zukunft der Arbeit

29 0
01.05.2024

Stand: 01.05.2024, 15:01 Uhr

Von: Steffen Herrmann

Kommentare Drucken Teilen

Die Debatte über faule Beschäftigte führt in die Irre. Es müssen ganz andere Probleme gelöst werden.

Wie wollen wir arbeiten, wie gestalten wir das Verhältnis von Arbeit und dem, was nicht Arbeit ist? Einfache Antworten darauf gibt es nicht – zu viel ist in Bewegung: Die Gesellschaft altert, die Zahl der Rentnerinnen und Rentner steigt. Berufsbilder und Industriezweige verändern sich, manche Branchen verschwinden ganz.

In Zeiten zunehmender Verunsicherung sind die Gewerkschaften gefordert. Mit dem Dreiklang „mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit“ formulieren sie eine vielversprechende Forderung, die gleichzeitig auch ein Arbeitsauftrag ist.

Ihm gerecht zu werden, wird nicht einfach sein, denn die Gewerkschaften stehen unter Druck: In den vergangenen Jahrzehnten haben sie Mitglieder und gesellschaftliche Gestaltungsmacht verloren. Immer weniger Menschen arbeiten in Betrieben mit Betriebsräten, für immer weniger Beschäftigte gelten Tarifverträge.

Diese Entwicklung ist bekannt – wie gefährlich sie ist, scheinen aber noch........

© Frankfurter Rundschau


Get it on Google Play