Stand: 08.12.2023, 13:53 Uhr

Von: Steffen Herrmann

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Für Bahnbeschäftigte hat die GDL mit Streiks viel erreicht. Auch in anderen Branchen sind starke Gewerkschaften gerade jetzt nötig. Der Leitartikel.

Streik bei der Bahn. Schon wieder, sagen manche und schütteln den Kopf. Für viele Reisende sind die Arbeitskampfaktionen der Lokführergewerkschaft GDL ein großes Ärgernis: Das Pendeln zur Arbeit wird zur Herausforderung, Reisen müssen abgesagt oder umgeplant werden – und das alles in der geschäftigen Vorweihnachtszeit mit ihren kurzen, nass-grauen Tagen. Kein Wunder also, dass der GDL die Herzen der Bevölkerung nicht zufliegen.

Dabei muss man – bei allem Ärger – anerkennen: Die Gewerkschaft um den unbequemen GDL-Chef Claus Weselsky hat in der jüngeren Vergangenheit einiges für ihre Mitglieder erreicht. Das zeigt ein Blick auf die Zahlen. Im Jahr 2013 lag der mittlere Bruttolohn von Lokführer:innen bei 3202 Euro pro Monat. Im vergangenen Jahr waren es 3735 Euro, wie „Tagesspiegel Background“ mit Bezug auf die Bundesagentur für Arbeit meldet. Also ein fettes Plus von 533 Euro innerhalb von neun Jahren.

Bevor allerdings nun manche behaupten, die Lokführerinnen und Lokführer bekämen ihren Hals nicht voll: Ganz so einfach ist es nicht. Denn inflationsbereinigt lag der mittlere Bruttolohn im vergangenen Jahr nur bei 3152 Euro. Das sind 50 Euro weniger als vor zehn Jahren. Die Kaufkraft der Lokführerinnen und Lokführer ist heute also knapp unter dem Niveau von 2013.

Das ist – trotz des kleinen Minus – ein Erfolg für die GDL, den sie sich ans Revers heften kann. Denn in vielen anderen Branchen sieht es deutlich schlechter aus: Die Inflation hat große Löcher in die Portemonnaies der Beschäftigten gerissen; sie können sich heute deutlich weniger leisten als vor einigen Jahren. Gleichzeitig fahren ihre Arbeitgeber ordentliche Gewinne ein.

Auch wenn die GDL bei großen Teilen der Bevölkerung nicht punkten kann, für die Mitglieder der Gewerkschaft hat sich die konfrontative Verhandlungsführung ausgezahlt: In der Tarifrunde 2014/2015 streikten die Lokführer:innen neun Mal für insgesamt 420 Stunden. Auch 2017 und 2020/2021 nahm die Gewerkschaft Konflikte mit der Bahn in Kauf und erreichte wesentliche Lohnerhöhungen. Warum also sollte GDL-Chef Weselsky nun auf die Bremse treten? Noch dazu in der letzten Tarifrunde, die der Dresdener persönlich verantwortet?

Allerdings sitzt auf der anderen Seite des Verhandlungstisches auch ein Arbeitgeber, der sich – bei allen Meinungsverschiedenheiten mit der GDL-Spitze – seiner Verantwortung für die Beschäftigten bewusst ist und immer wieder den Willen zur Einigung bewiesen hat.

In vielen anderen Branchen, bei vielen anderen Unternehmen sieht es anders aus. Der Rückgang der Tarifbindung spricht Bände: Immer mehr Unternehmensführer:innen wollen sich nicht durch Tarifverträge in ihrem Handlungsspielraum beschränken lassen, und die Gewerkschaften sind zu schwach, um diese Arbeitgeber an den Verhandlungstisch und (zurück) in die Tarifbindung zu zwingen.

Für die Beschäftigten ist das kein Problem – solange es gut läuft. In Zeiten des Booms fallen genug Krümel vom Tisch; dass der eigene Teil am Kuchen größer sein könnte? Geschenkt. Aber in Krisenzeiten wird die schwächelnde Tarifbindung zum Problem.

Viele Unternehmen befinden sich in einer kritischen Situation, zum Beispiel Zulieferer in der Autoindustrie. Dort gefährdet die E-Mobilität die Geschäftsgrundlage einiger Unternehmen, neue Produkte müssen entwickelt, Firmenstrukturen umgebaut werden. Für Beschäftigte bedeutet das häufig nichts Gutes, wenn dann keine Arbeitnehmervertreter:innen am Tisch sitzen. Denn: Wandel ist normal, er kann nicht verhindert oder erfolgreich bekämpft werden. Er muss gestaltet werden. Und dabei gibt es mehr als einen Weg, mehr als eine Perspektive. Es gibt auch den Wandel zum Besseren oder zumindest weniger Schlimmen. Hier sind die Gewerkschaften gefordert.

Wie sähe es bei der Bahn aus, wenn der Konzern komplett privatisiert und auf Profitmaximierung ausgerichtet wäre? Wenn es die Gewerkschaften EVG und GDL nicht gäbe und die von ihnen erstrittenen Tarifverträge mit ihren Lohnerhöhungen und künftig möglicherweise auch Arbeitszeitverkürzungen? Den Bahn-Beschäftigten würde es wohl schlechter gehen: weniger Geld, mehr Arbeit und Stress.

Deshalb sollte man es aushalten, wenn nun wieder mal bei der Bahn gestreikt wird. Es sind nur ein paar Stunden, dann wird der Zugverkehr wieder rollen. Und vielleicht sollten sich die Gewerkschaften anderer Branchen die GDL zum Vorbild nehmen: Mit Blick auf den Umbau der Wirtschaft und die damit verbundenen Verteilungskämpfe braucht es kämpferische Gewerkschaften. (Steffen Herrmann)

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Bahn-Streik der GDL: Eine erfolgreiche Strategie

17 0
10.12.2023

Stand: 08.12.2023, 13:53 Uhr

Von: Steffen Herrmann

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Für Bahnbeschäftigte hat die GDL mit Streiks viel erreicht. Auch in anderen Branchen sind starke Gewerkschaften gerade jetzt nötig. Der Leitartikel.

Streik bei der Bahn. Schon wieder, sagen manche und schütteln den Kopf. Für viele Reisende sind die Arbeitskampfaktionen der Lokführergewerkschaft GDL ein großes Ärgernis: Das Pendeln zur Arbeit wird zur Herausforderung, Reisen müssen abgesagt oder umgeplant werden – und das alles in der geschäftigen Vorweihnachtszeit mit ihren kurzen, nass-grauen Tagen. Kein Wunder also, dass der GDL die Herzen der Bevölkerung nicht zufliegen.

Dabei muss man – bei allem Ärger – anerkennen: Die Gewerkschaft um den unbequemen GDL-Chef Claus Weselsky hat in der jüngeren Vergangenheit einiges für ihre Mitglieder erreicht. Das zeigt ein Blick auf die Zahlen. Im Jahr 2013 lag der mittlere Bruttolohn von Lokführer:innen bei 3202 Euro pro Monat. Im vergangenen Jahr waren es 3735 Euro, wie „Tagesspiegel Background“ mit Bezug auf die Bundesagentur für Arbeit meldet. Also ein fettes Plus von 533 Euro innerhalb von neun........

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