Stand: 08.02.2024, 17:14 Uhr

Von: Richard Meng

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Die Veränderungen weltweit dürfen nicht dazu führen, kulturellen und sozialen Rückschritt zu rechtfertigen.

Sind wir vielleicht wirklich schon mittendrin im Dritten Weltkrieg, wie es der rechte israelische Außenminister zu Jahresanfang formuliert hat? Wie töricht, so ein dahingeworfener Satz. Ein Zeichen der Entgrenzung von Sprache. Zugleich aber doch ein böses Zeichen.

Den großen Krisenbogen gibt es ja, weit über Nahost hinaus. Wenn auch noch keinen direkten, täglichen Zusammenhang zwischen den meisten Gewaltausbrüchen und Gewaltdrohungen weltweit. Aber inzwischen haben so einige Zündler das Wort vom Dritten Weltkrieg wiederholt, von Putin bis Trump.

Wenn Nahost tatsächlich nur der Anfang wäre: Wer kämpft dann weltweit gegen wen? Alle gegen alle – und am Ende niemand mehr gegen die Rückkehr von Nationalismus und Potentatentum? Die autoritäre Internationale jedenfalls funktioniert, ihr Feindbild, der alte Westen, meist auch. Russland nutzt iranische und nordkoreanische Waffen, der Fundamental-Islam fragt nicht mehr nach Kompromissen, manche Moralisierer schüren einen Krieg der Kulturen.

China bremst auf UN-Ebene bei den Menschenrechten. In Lateinamerika werden große Länder per demokratischem Wahlakt entweder zu chaotischen Horten des Neoliberalismus oder zur Beute korrupter Etatisten. In Teilen Afrikas macht sich das Militär selbst zynisch zum Stabilitätsfaktor. In den offenen Demokratien grassiert, die US-Rechte vorneweg, die Abwendung von der Welt, wie sie wieder geworden ist. Ziellos, selbstbezogen.

Es gibt da noch allerlei Eskalationspotenzial. Die Taiwan-Frage wird allseits als hochgradig explosiv bewertet. Die USA sind unzuverlässig geworden: Asymmetrie, wohin man schaut. Die schiere Ratlosigkeit, mit der so eine komplex-wirre Welt im Westen innenpolitisch (nicht) wahrgenommen wird, verstärkt eher das Auseinanderdriften.

Wo immer jemand behauptet, an das eigene Land zuerst zu denken und so Gutes zu tun, wird damit etwas anderes ausgedrückt: zerstörerische Vereinfachung. Die Netzwelt macht es leicht, auf diesem Niveau Wahlen zu gewinnen. Einer der erschütterndsten Befunde: Von Washington über Teheran bis Moskau stimmt die alte These nicht mehr, dass Bildung vor blinder Gefolgschaft schützt. Im Gegenteil scheint bequeme, anpasslerische Realitätsblindheit normal zu werden, quer durch alle Schichten. Was die Frage aufwirft, was künftig überhaupt noch Aufklärung bedeutet.

Wichtigtuerische Intellektuelle haben immer schon ihren Mangel an Einfluss bedauert und deshalb pessimistisch die Welt für unrettbar gehalten. Sie sollten denen, auf die sie gerne mahnend herabsehen, mehr zutrauen. Noch regiert die AfD nicht. Wobei aus einer solch gelassenen Sicht gefährliche Überheblichkeit sprechen kann.

Zurück zum gefährlich-modischen Weltkriegsgeschrei: Selbst wenn es überwiegend ein eiskalter Systemkonflikt mit vielen kleinen Stellvertreterkriegen bleiben sollte, würde das hochkritische Umwälzungen in vielen Gesellschaften nach sich ziehen. Mit noch mehr Feinddenken und Kriegstüchtigkeitsgeschwätz.

Vorsicht da bei der richtigen These, die Welt habe sich nun mal grundlegend geändert. Sie darf nicht zur Erklärung fürs Schulterzucken werden. Nicht dazu führen, kulturellen und sozialen Rückschritt für unvermeidbar zu erklären. Die große weltweite Auseinandersetzung dazu beginnt gerade erst: genau jetzt. Hoffentlich stehen die Jungen, steht die Generation Internet dabei noch für Humanität, Respekt und Frieden. Sicher ist es nicht mehr. Es ist gerade das die große offene globale Frage.

Richard Meng ist Chefredakteur der Zeitschrift Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte und Kuratoriumsvorsitzender der Karl-Gerold-Stiftung.

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Von Hysterie und Gelassenheit

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08.02.2024

Stand: 08.02.2024, 17:14 Uhr

Von: Richard Meng

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Die Veränderungen weltweit dürfen nicht dazu führen, kulturellen und sozialen Rückschritt zu rechtfertigen.

Sind wir vielleicht wirklich schon mittendrin im Dritten Weltkrieg, wie es der rechte israelische Außenminister zu Jahresanfang formuliert hat? Wie töricht, so ein dahingeworfener Satz. Ein Zeichen der Entgrenzung von Sprache. Zugleich aber doch ein böses Zeichen.

Den großen Krisenbogen gibt es ja, weit über Nahost hinaus. Wenn auch noch keinen direkten, täglichen Zusammenhang zwischen den meisten Gewaltausbrüchen und Gewaltdrohungen weltweit. Aber inzwischen haben so einige Zündler das Wort vom Dritten Weltkrieg wiederholt, von Putin bis Trump.

Wenn Nahost tatsächlich nur der Anfang wäre: Wer kämpft dann weltweit gegen wen? Alle gegen alle – und am Ende niemand mehr gegen die Rückkehr von Nationalismus........

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