Stand: 22.02.2024, 17:24 Uhr

Von: Richard Meng

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Ob Ukraine oder Wirtschaftslage: Es verschiebt sich etwas in den Debatten – alles im Namen eines neuen Realismus.

Gut, dass die Münchner Sicherheitskonferenz vorbei ist, drum herum ist die öffentliche Debatte ziemlich ausgeufert. Allseits Noch-mehr-Waffen-Forderungen. Eine Atomdiskussion locker obendrauf. Vorgebracht einerseits von manchen, die so einen Anlass schon immer gerne nutzten. Andererseits wegen der Ukraine-Lage jetzt geradezu in einem panischen Mainstream. Auch das gehört nun dazu: Mit Trump rechnen ist das neue Motto. Wie Trump verhindern? Das wird wenig diskutiert.

Nicht nur beim Thema Militär läuft das so. Zufällig zeitgleich nennt Robert Habeck die Lage der Wirtschaft katastrophal. Die Innenministerien mahnen, es müsse beim nächsten Schuldenmachen dringend mehr Geld für Geheimdienste und Polizei herausspringen. Was die Bildungspolitik zur Lage an den Schulen und Hochschulen sagt, muss niemand lange erfragen. Rätselhaft bei so viel Runterreden bleibt dennoch, wie jemand so Wahlen gewinnen will. Denn irgendwie regieren sie ja alle irgendwo mit.

Was beim Waffenthema aussteht, ist irgendeine Idee, den immer neuen Ruf nach Kriegsmaterial durch Friedenskonzepte wenigstens zu begleiten. Je erkennbarer wird, dass es weltfremd bleibt, von der militärischen Besiegbarkeit Russlands auszugehen, desto dringender wäre das. Und sei es als nur europäischer Ansatz, wenn schon die USA als strategischer Partner ausfallen. Ohne stets nur zu betonen, wie unvorbereitet man doch sei. Dass es so komplett fehlt, macht tatsächlich Angst.

Beim Wirtschaftsthema beginnt wieder mal der Versuch, das ewige liberale Credo vom Wachstum durch Kosten- und Abgabensenkung zu beleben. Sind für mehr Wachstum die Löhne zu niedrig oder die Kosten zu hoch? Am Ende wird das in demokratischen Gesellschaften ständig neu in Kompromissen ausgekämpft. Die Runterredner wissen das, sie sind ja selbst Partei. Aber um die Verunsicherung der Gegenkräfte geht es ihnen, gleichzeitig um ein Angriffsszenario auf die Berliner Ampel.

Das einzig Positive an all dem aktuellen Getöse: Das Schlechtreden des Landes wegen Zuwanderung und kultureller Vielfalt ist in den Hintergrund gerückt, nicht zuletzt auch dank der großen Demonstrationen gegen rechts. Letztlich ist an all diesen Punkten aber eine breite Themenverschiebung im Gang. Alles im Namen eines neuen Realismus, der oft nicht direkt, sondern eher auf leisen Sohlen so manche Denkfigur der vergangenen Jahrzehnte in Frage stellt.

Eine Themenwelle nach der anderen taucht da auf – und nicht selten springen alle drauf, als hätten sie nicht selbst noch vor kurzem etwas ganz anderes für richtig gehalten. Hat die Welt sich wirklich so grundlegend geändert? So schnell, wie diese Behauptung dann ohne weitere Debatte zugrunde gelegt wird, hat es etwas Vorauseilendes. Getriebensein als kleineres Übel angesichts all der globalen Unsicherheiten: Dahinter wird längst ein großer inhaltlicher Trend sichtbar, es passt etwas zusammen. Die Konservativen bereiten, angestachelt von ganz rechts, mal tatsächlich begründet und mal nur ideologisch, in vielen Punkten eine Denkwende rückwärts vor.

Bei der Sicherheitskonferenz übrigens gibt es neben der Militärsicht eine sehr breite Themenpalette, für den globalen Süden ist zumindest ein Teil der Bühne freigeräumt. Nur interessiert das in der Öffentlichkeit kaum. Dass eine ehrwürdige Institution also weiter sein kann als der aufgeregte Tagesdiskurs: Selbst die Vereinten Nationen zum Beispiel erleben das täglich. Ihr Generalsekretär muss immer wieder anreden gegen den Wind, der rückwärts weht. Und er tut es.

Vielleicht ist es diese Unermüdlichkeit, die momentan fehlt – bei allen, denen das große Runterreden tief suspekt ist. Erschöpfung von links? Es sieht so aus.

Richard Meng ist Chefredakteur der Zeitschrift Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte und Kuratoriumsvorsitzender der Karl-Gerold-Stiftung.

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Der Wind, der rückwärts weht

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22.02.2024

Stand: 22.02.2024, 17:24 Uhr

Von: Richard Meng

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Ob Ukraine oder Wirtschaftslage: Es verschiebt sich etwas in den Debatten – alles im Namen eines neuen Realismus.

Gut, dass die Münchner Sicherheitskonferenz vorbei ist, drum herum ist die öffentliche Debatte ziemlich ausgeufert. Allseits Noch-mehr-Waffen-Forderungen. Eine Atomdiskussion locker obendrauf. Vorgebracht einerseits von manchen, die so einen Anlass schon immer gerne nutzten. Andererseits wegen der Ukraine-Lage jetzt geradezu in einem panischen Mainstream. Auch das gehört nun dazu: Mit Trump rechnen ist das neue Motto. Wie Trump verhindern? Das wird wenig diskutiert.

Nicht nur beim Thema Militär läuft das so. Zufällig zeitgleich nennt Robert Habeck die Lage der Wirtschaft katastrophal. Die Innenministerien mahnen, es müsse beim nächsten Schuldenmachen dringend mehr Geld für Geheimdienste und Polizei herausspringen. Was die Bildungspolitik zur Lage an den........

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