Stand: 10.01.2024, 18:36 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Niemand darf die Vertreibungspläne von AfD-Leuten und anderen Rechten unterschätzen. Betroffene brauchen Solidarität.

Frankfurt – Rita Süssmuth ist eine kluge Frau und engagierte Demokratin. Vor gut zehn Jahren, als die AfD noch nicht gegründet war, haben FR-Redakteure die frühere Bundestagspräsidentin mit einem möglichen Schreckensszenario konfrontiert: In Deutschland könnte eine rechtspopulistische Partei an die Macht kommen und Menschen mit Wurzeln im Ausland vertreiben. Das wäre „menschenverachtend und real zugleich“, antwortete die Christdemokratin. Schließlich würden Ausländerinnen und Ausländer wie Deutsche mit Migrationshintergrund bereits als Sündenböcke missbraucht, warnte sie.

Damals waren die meisten blind dafür, dass eine solche Gefahr drohen könnte, obwohl der Erfolg des rassistischen Buchs „Deutschland schafft sich ab“ des SPD-Politikers Thilo Sarrazin die Alarmglocken schrillen ließ. Doch zu stabil erschien die Demokratie, zu stark die Wirtschaft, zu gefestigt die Staatsräson des „Nie wieder“ nach den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus.

Die Gefahr hat sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Die AfD hat sich mit der Migration als Kernthema etabliert. Seit Jahren radikalisiert sie sich und drängt Gemäßigte heraus. Zugleich erlebt sie bei Wahlen einen Zulauf wie nie.

Dabei finden bei ihr Leute eine Heimat, die von Vertreibung und Umsturz träumen. Wie real die Bedrohung ist, zeigen die Enthüllungen über das Treffen am Lehnitzsee. An der Besprechung, bei der ausweislich einer bemerkenswerten Recherche über die Vertreibung eines Großteils der Bevölkerung Deutschlands gesprochen wurde, nahmen Schlüsselfiguren aus der Neonaziszene, der AfD und vom rechtspopulistischen Rand der Union teil, ebenso wie Wirtschaftsführer.

Der Tagungsort liegt nicht weit vom ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen entfernt und nur wenige Kilometer vom Ort der Wannseekonferenz, auf der die nationalsozialistischen Funktionäre 1942 die Vernichtung der Jüdinnen und Juden planten. Antisemitismus, Rassismus, Verfolgung und Vertreibung waren Schlüsselthemen der Nationalsozialisten, die von großen Teilen der Bevölkerung in die Tat umgesetzt wurden.

In der heutigen Bundesrepublik hat jeder vierte Mensch eine Einwanderungsgeschichte. Die Neonazis wollen definieren, wer hier bleiben darf und wer gehen muss. Sie wollen die Vertreibung und nehmen die absehbare Gewalt in Kauf oder sehen vielleicht sogar die Chance für einen Umsturz darin.

Die Gewalt muss nicht erst beschlossen werden, sie hat bereits begonnen. Funktionäre der AfD, in der Regel Männer, gehen gewaltsam vor gegen unliebsame Menschen, die aus ihrer Sicht die falsche Hautfarbe, Kleidung, Religion, politische Einstellung oder sexuelle Orientierung haben. Der Verband der Opferberatungsstellen hat aufgelistet, dass die Täter und ihre Unterstützer zum Teil Parlamentsabgeordnete und Parteivorstände sind.

Für eine muslimische Frau mit Kopftuch oder einen Mann mit dunkler Hautfarbe liest sich der Bericht über die Vertreibungspläne der AfD-Leute und Nazis besonders bedrohlich. Die wichtigste Konsequenz muss daher darin bestehen, den Opfergruppen und Diskriminierten zur Seite zu stehen – mit den Mitteln der Zivilcourage und des Rechtsstaats. Diejenigen, die von den Nazis vertrieben werden sollen, brauchen die spürbare Solidarität dieser Gesellschaft. Die Entwaffnung von Rechtsextremen muss zudem energisch vorangetrieben werden.

Stattdessen konzentriert sich die Diskussion gerade auf ein AfD-Verbotsverfahren, als könne das eine schnelle Hilfe sein. Doch das ist es nicht.

Viel wichtiger ist daher, die Demokratie und ihre Akzeptanz zu stärken und ein Bewusstsein dafür wiederzugewinnen, wie die Vielfalt von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen uns bereichern kann. Das klingt leichter als es ist. Denn es geht darum, den Unmut von Menschen, die sich von den Regierungsparteien in Bund und Ländern nicht (mehr) vertreten fühlen, ernst zu nehmen, ohne ihnen rassistische Begründungen durchgehen zu lassen.

Wie schwierig das ist, zeigt sich auch in anderen europäischen Ländern oder den USA, wo national-autoritäre Ideologien ebenfalls auf dem Vormarsch sind. Deutschland ist kein Einzelfall – aber hier gibt es eine besondere historische Verantwortung, nie wieder eine Politik der rassistischen Selektion zuzulassen.

Klar ist: Spätestens jetzt kann jede und jeder wissen, worum es führenden Teilen der AfD geht. Ausländer und andere Menschen mit Migrationshintergrund aus dem Land zu weisen verstieße „gegen menschenrechtliche Prinzipien, gegen unser Grundgesetz, gegen menschliche Vernunft“, stellte Rita Süssmuth vor einem guten Jahrzehnt fest. Doch sie warnte schon damals: „Was einmal geschah, kann sich prinzipiell wiederholen. Im Einzelfall wie in der Masse.“

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Umsturz- und Vertreibungspläne: Eine reale Bedrohung

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11.01.2024

Stand: 10.01.2024, 18:36 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Niemand darf die Vertreibungspläne von AfD-Leuten und anderen Rechten unterschätzen. Betroffene brauchen Solidarität.

Frankfurt – Rita Süssmuth ist eine kluge Frau und engagierte Demokratin. Vor gut zehn Jahren, als die AfD noch nicht gegründet war, haben FR-Redakteure die frühere Bundestagspräsidentin mit einem möglichen Schreckensszenario konfrontiert: In Deutschland könnte eine rechtspopulistische Partei an die Macht kommen und Menschen mit Wurzeln im Ausland vertreiben. Das wäre „menschenverachtend und real zugleich“, antwortete die Christdemokratin. Schließlich würden Ausländerinnen und Ausländer wie Deutsche mit Migrationshintergrund bereits als Sündenböcke missbraucht, warnte sie.

Damals waren die meisten blind dafür, dass eine solche Gefahr drohen könnte, obwohl der Erfolg des rassistischen Buchs „Deutschland schafft sich ab“ des SPD-Politikers Thilo Sarrazin die Alarmglocken schrillen ließ. Doch zu stabil erschien die Demokratie, zu stark die Wirtschaft, zu gefestigt die Staatsräson des „Nie wieder“ nach den Menschheitsverbrechen des........

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