Stand: 08.01.2024, 17:30 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Es gibt gute Gründe für Trecker-Proteste. Aber die Demonstrierenden dürfen sich nicht instrumentalisieren lassen.

Demokratie kann anstrengend sein. Wenn Menschen ihr Recht auf Demonstrationen, Kundgebungen und Streiks wahrnehmen, stört das den Alltag vieler Menschen. Doch diese Unannehmlichkeiten gehören, so lästig es für manche ist, zu einer lebendigen Demokratie.

Was nicht zu einer lebendigen Demokratie gehört, sind Menschen mit Umsturzfantasien, die den Bauernprotest oder mögliche weitere Bahnstreiks als Vehikel für demokratiefeindliche Bestrebungen benutzen. Die Stimmung im Land ist so angespannt, weil diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind – und nicht wegen der Trecker auf den Autobahnen.

Menschen aus Ländern wie Frankreich, Spanien oder Griechenland, wo Streiks zum Alltag gehören, müssen sich die Augen reiben über die deutsche Aufregung. So ärgerlich es ist, wenn man nicht zur Arbeit kommt oder nicht wie geplant in den Urlaub fahren kann – politische Auseinandersetzungen mit all ihren Folgen sind ein Stück Normalität. So schwer es fällt: Auch die wirtschaftlichen Folgen für Läden, Restaurants und Industrie lassen sich nicht vermeiden, wenn wir die Freiheit zu Demonstrationen und Streiks erhalten wollen.

Die Macht der Bauernlobby ist groß. Die mächtigen landwirtschaftlichen Fahrzeuge bringen sie gut zum Ausdruck. Die hohe Motorisierung besitzt nebenbei den praktischen Vorteil, dass schon eine örtliche Demonstration von 200 Landwirtinnen und Landwirten beeindruckend ist, wenn dadurch Verkehrschaos angerichtet wird. Das gilt erst recht beim Protest von Tausenden, wie er am Montag zu besichtigen war.

Der Slogan „Bauern legen das Land lahm“ ist daher nicht ganz falsch. Er hat aber auch etwas Reißerisches an sich – und kann bei Rechten und Verschwörungsgläubigen für den gar nicht klammheimlichen Wunsch stehen, dadurch möge erst die Ampelregierung stürzen und dann das ganze demokratische System.

Die Bäuerinnen und Bauern haben in manchem recht. Der Drang nach Billiglebensmitteln hat dafür gesorgt, dass sie oft nicht von ihren Produkten leben können, sondern in erheblichem Umfang Subventionen benötigen. Dass sie daher besonders empfindlich reagieren auf Kürzungen dieser Zuschüsse, die sie als „Bauernopfer“ empfinden, ist nur zu verständlich. Ein bloßes Einknicken vor ihren Forderungen kann aber nicht das Ende der Debatte sein. Der Staat muss darauf achten, wohin er die Landwirtschaft mit seinen Subventionen lenkt – möglichst in Richtung einer ökologischen Politik, die den Einsatz von Pestiziden zurückdrängt.

Auch der Hinweis auf gravierende Fehler der Ampelregierung ist berechtigt. Es war die nackte Not der Haushaltssanierung nach der von der Regierung verschuldeten Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht, die Kürzungen bei den Agrarsubventionen in Gang brachte. Nun zeigt das Hin und Her beim Agrardiesel, dass Druck wirkt.

Es ist absehbar, dass diese Ausgangslage noch mehr Verteilungskämpfe nach sich ziehen wird. Die Bundesregierung erntet dafür eine Missstimmung, die für sie gefährlich ist. Damit muss sie zurechtkommen.

Doch wer versucht, diese Missstimmung gegen die Demokratie im Allgemeinen oder gegen Schwächere zu richten, missbraucht die Proteste. Der bayerische Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger macht auf unerhörte Weise die Migrantinnen und Migranten zum Sündenbock für verfehlte Landwirtschaftspolitik – mit der dreisten Behauptung, es seien die Staatsausgaben für die Zugewanderten, die für die Bäuerinnen und Bauern fehlten.

Das Beunruhigende ist, dass es bei Teilen der Bevölkerung verfängt, wenn die Schuld an allem den Geflüchteten oder gleich der Demokratie angelastet wird. Die Botschaft der jüngsten „Mitte-Studie“, nach der sich eine wachsende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern „einen starken Führer“ wünscht und die Republik für „gefährlich überfremdet“ erklärt, muss zur Wachsamkeit mahnen.

Die Sicherheitsbehörden sehen, dass solche Bewegungen bei den Bäuerinnen und Bauern andocken wollen – und die AfD nahm deutlich sichtbar an den Protesten teil. „Zeigt euch solidarisch mit Bäuerinnen und Bauern und zeigt klare Kante gegen rechts“, fordert eine Gruppe junger Landwirtinnen und Landwirten.

Sie bringen es auf den Punkt. Die Demonstrierenden haben mit ihren dicken Traktoren bemerkenswerte Erfolge erzielt, indem sie der Politik eine weitgehende Wende abgetrotzt haben. Sie dürfen sich nicht von denjenigen missbrauchen lassen, denen es um etwas ganz anderes geht.

Berichte S. 2/3, Lokales

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Keine Bauernopfer

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08.01.2024

Stand: 08.01.2024, 17:30 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Es gibt gute Gründe für Trecker-Proteste. Aber die Demonstrierenden dürfen sich nicht instrumentalisieren lassen.

Demokratie kann anstrengend sein. Wenn Menschen ihr Recht auf Demonstrationen, Kundgebungen und Streiks wahrnehmen, stört das den Alltag vieler Menschen. Doch diese Unannehmlichkeiten gehören, so lästig es für manche ist, zu einer lebendigen Demokratie.

Was nicht zu einer lebendigen Demokratie gehört, sind Menschen mit Umsturzfantasien, die den Bauernprotest oder mögliche weitere Bahnstreiks als Vehikel für demokratiefeindliche Bestrebungen benutzen. Die Stimmung im Land ist so angespannt, weil diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind – und nicht wegen der Trecker auf den Autobahnen.

Menschen aus Ländern wie Frankreich, Spanien oder Griechenland, wo Streiks zum Alltag gehören, müssen sich die Augen reiben über die deutsche Aufregung. So ärgerlich es ist, wenn man nicht zur Arbeit kommt oder nicht wie geplant in den Urlaub fahren kann – politische Auseinandersetzungen mit all ihren Folgen sind ein........

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