Stand: 24.11.2023, 15:42 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Die regierenden Grünen sind kompromissfähig bis zum Anschlag. Doch damit haben sie auch Erfolge erzielt.

Die Grünen halten zusammen. Ihr Karlsruher Parteitag ist ein Zeichen der Geschlossenheit, trotz teilweise erheblicher Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Aber wer will schon querschießen, wenn es um nicht weniger geht als um den Erhalt der Demokratie und die Zukunft der Menschheit?

In dieser Partei gibt man sich seit jeher mit nichts weniger als der Rettung der Welt zufrieden. Darunter machen es die wiedergewählten Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour nicht.

Aber auch ihre Kritikerinnen und Kritiker außerhalb der Partei ziehen alle Register. Teile der Basis sehen das Asylrecht in Gefahr, den Klimaschutz und die soziale Gerechtigkeit – unter die Räder gekommen unter Beteiligung der Grünen. Sie haben gute Gründe dafür. Der europäische Asylkompromiss läuft auf knallharte Türsteher-Politik an den Außengrenzen heraus, bei der Menschenrechtsverletzungen einkalkuliert werden müssen. Das Klimaschutzgesetz wurde entkernt, indem der Verkehrsminister praktisch davon entbunden wurde zu liefern. Und die Kindergrundsicherung, das wichtigste Sozialprojekt der Grünen, ist im Grunde gescheitert – denn zusätzliches Geld geht für eine neue Behörde drauf, nicht für die Kinder und ihre Eltern.

Sind das noch die Grünen? Allerdings. Diese Partei ist kompromissfähig bis zum Anschlag. Und sie hat tatsächlich vieles für sich zu verbuchen. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist es gelungen, Deutschland in der Energiekrise durch den Winter zu lotsen, wenngleich das nur durch die Kooperation mit fragwürdigen Partnern wie Katar möglich war.

Die Beschlüsse der Ampel zum Chancen-Einwanderungsrecht und zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts tragen eine grüne Handschrift. Der Streit über das Heizungsgesetz hat zumindest gezeigt: Die Grünen wollen Klimaschutz durchsetzen – auch wenn sie das in diesem Fall so unprofessionell angegangen sind, dass sie der Energiewende einen Bärendienst erwiesen haben.

Die Partei hat sich in der Regierung verändert. Der größte Konfliktpunkt ist nach wie vor die Asylpolitik. Wenn die Migration nach Deutschland begrenzt werden soll, indem man Familien in gefängnisähnlichen Unterkünften an der europäischen Außengrenze einsperrt, sorgt das zu Recht für Widerspruch.

Robert Habeck und die Parteiführung versuchen das als weiteren Punkt einer notwendigen Kompromissbereitschaft zu verkaufen, als Anerkennung der Realität. Habeck fasst das in den knackigen Satz: „Unsere Ideologie heißt Wirklichkeit.“ Das klingt gut, kann aber nicht überzeugen. Denn die Wirklichkeit erzwingt keine bestimmte, alternativlose Antwort. Politik heißt, die richtigen Lösungen für die Herausforderungen der Wirklichkeit zu finden.

Die Grünen haben einen langen und sehr erfolgreichen Prozess hinter sich, von einer Klientelpartei zu einer Partei für die ganze Gesellschaft zu werden. Das hat sie koalitionsfähig gemacht in viele Richtungen, das hat ihnen sogar einen Ministerpräsidenten beschert.

Doch genau diese Entwicklung wird ihnen gerade jetzt abgesprochen. Das Klischee von der Verbotspartei wird wieder aufgemacht. Dass die AfD auf dieser Welle surft, ist nicht neu und ehrt die Grünen.

Dass allerdings auch die Union von Friedrich Merz und Markus Söder die Grünen zum Hauptgegner erklärt, schafft für sie ein strategisches Dilemma. Wenn sogar ein Dreierbündnis wie die Ampel heute keine Mehrheit mehr hätte, dann werden Koalitionen ohne die Union immer unwahrscheinlicher.

Die Ampelregierung ist auf der letzten Rille unterwegs. Die Zwangsgemeinschaft mit Christian Lindners FDP dürfte zwar noch zwei Jahre lang fortgesetzt werden, weil es für alle drei Parteien dramatische Folgen hätte, jetzt auszusteigen. Doch die Ampel funktioniert gerade noch als Reparaturbetrieb. Nur durch Christian Lindners späte Entscheidung, die Schuldenbremse weiter auszusetzen, besteht überhaupt Hoffnung, dass die Rechnungen für den Klimaschutz und den Erhalt der Wirtschaft bezahlt werden können.

Es war clever, den Parteitag mit diesem Thema zu beginnen, bei dem die Grünen geschlossen auftreten können . „Kaputtsparen geht nicht“ – dahinter können sich die Parteiführung, die Ministerinnen und Minister sowie die Basis versammeln. Die Migrationsdebatte hingegen fordert die Grünen weiter heraus. Bei diesem Thema hat die Basis größte Bauchschmerzen, beißt aber die Zähne aufeinander. Wenn alle anderen die Grünen zu Hauptgegnern erklären, schließen sich deren Reihen. Bericht S, 4

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Grüner Realitätscheck

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24.11.2023

Stand: 24.11.2023, 15:42 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Die regierenden Grünen sind kompromissfähig bis zum Anschlag. Doch damit haben sie auch Erfolge erzielt.

Die Grünen halten zusammen. Ihr Karlsruher Parteitag ist ein Zeichen der Geschlossenheit, trotz teilweise erheblicher Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Aber wer will schon querschießen, wenn es um nicht weniger geht als um den Erhalt der Demokratie und die Zukunft der Menschheit?

In dieser Partei gibt man sich seit jeher mit nichts weniger als der Rettung der Welt zufrieden. Darunter machen es die wiedergewählten Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour nicht.

Aber auch ihre Kritikerinnen und Kritiker außerhalb der Partei ziehen alle Register. Teile der Basis sehen das Asylrecht in Gefahr, den Klimaschutz und die soziale Gerechtigkeit – unter die Räder gekommen unter Beteiligung der Grünen. Sie haben gute Gründe dafür. Der europäische Asylkompromiss läuft auf knallharte Türsteher-Politik an den Außengrenzen heraus, bei der Menschenrechtsverletzungen einkalkuliert werden müssen. Das Klimaschutzgesetz wurde........

© Frankfurter Rundschau


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