Stand: 20.12.2023, 17:11 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Die Asylreform wird weder zu Ordnung noch zu Humanität führen. Die demokratischen Kräfte in Europa knicken vor rechten Stimmungen ein. Der Leitartikel.

Frankfurt – Es klingt so einfach, aber ist so schwierig zu erreichen: das Ziel, eine gemeinsame europäische Asylpolitik auf die Beine zu stellen. Stolz sind die Politikerinnen und Politiker in der EU daher, dass sie sich nach sehr langwierigen Verhandlungen haben einigen können auf einem der heikelsten Felder, der Migrationspolitik. Und das wenige Monate vor einer Europawahl, bei der zu befürchten ist, dass die rechten und ultrarechten Parteien triumphieren.

Doch wer sich das Ergebnis ansieht, muss zu dem Schluss kommen: Stolz ist völlig fehl am Platz. Denn die Vereinbarungen bedeuten, dass die demokratischen Kräfte in Europa einknicken vor rechten Stimmungen.

Das bestehende Asylsystem funktioniert nicht, und eine Reform ist dringend geboten. Doch die Vereinbarung, in der sich die Hardliner in fast allen Punkten gegen menschenrechtliche Bedenken des EU-Parlaments durchgesetzt haben, wird keines der Probleme lösen.

Die europäische Politik erweckt den Eindruck, dass ihr Gemeinsames Europäisches Asylsystem (Geas) bald eine Entlastung für Kommunen mit sich bringen wird. Doch das wäre selbst dann nicht der Fall, wenn die Neuregelungen Flüchtlinge fernhalten würden. Allein bis die europäischen Verordnungen umgesetzt werden können, werden mindestens zwei Jahre vergehen. Damit ist völlig klar, dass sich in den nächsten Monaten nichts für die Verantwortlichen und Ehrenamtlichen vor Ort verbessern wird. So tappt die EU in die Falle der Rechten, die behaupten, demokratische Politik bewirke trotz aller Beschlüsse nichts.

Die Reform zeigt auf erschütternde Weise, wie winzig der kleinste gemeinsame Nenner der Europäischen Union in der Migrations- und Asylpolitik wirklich ist. Die Befürworterinnen und Befürworter des Deals erhoffen, dass dadurch weniger Menschen in die EU einreisen und dass sie gerechter auf die Staaten der EU verteilt werden. Und sie sagen zu, dass dies trotz der Einrichtung großer Aufnahmelager an den EU-Außengrenzen humanitär vonstatten geht.

Doch es ist zu bezweifeln, dass auch nur eines dieser Ziele erreicht wird. Wer Mauern hochzieht, stärkt die Zuwanderung auf Schleichwegen. Es ist ein Konjunkturprogramm für Schleuserbanden. Die Flüchtenden sind auf gefährlichere Routen angewiesen, aber sie werden trotzdem kommen. Eine gerechtere Verteilung innerhalb der EU wurde schon oft versucht, ist aber nie gelungen – und daran dürfte sich nichts ändern. Außer dass die Staaten, die niemanden aufnehmen, jetzt dafür Geld bezahlen müssen.

Das größte Problem der Einigung auf Geas aber sind die humanitären Folgen. Alle Erfahrungen mit Grenzlagern etwa in Griechenland oder Italien zeigen, dass Zusagen auf menschenwürdige Behandlung der Betroffenen nie eingehalten wurden. Die Fälle von illegalen Pushbacks, von Massenlagern der Perspektivlosigkeit und von Todesfällen im Gewahrsam sind zahlreich. Die EU hat immer weggeschaut. Warum sollte sich daran etwas ändern, nur weil es mehr Lager mit mehr Menschen an den Grenzen geben wird?

Das Asylrecht wird untergraben. Jedenfalls für jene Menschen, die aus einem Land mit einer europaweit niedrigen Anerkennungsquote kommen. Doch auch in Ländern mit Schutzquoten unter 20 Prozent gibt es politische Verfolgung. Die Betroffenen werden künftig, wenn sie regulär an der EU-Außengrenze um Asyl nachsuchen, in ein Grenzverfahren gedrängt – mit der Fiktion der Nicht-Einreise, die echten Rechtsschutz ausschließt.

Erschütternd ist, dass es der Bundesregierung nicht gelungen ist, wenigstens jene Punkte durchzusetzen, die Verbesserungen aus menschenrechtlicher Sicht gebracht hätten. So wird die systematische Inhaftierung von Familien mit Kindern nun zum europäischen Gesetz.

Auch gegen die Krisenverordnung hatte Deutschland Einwände. Doch sie kommt und bietet den unwilligen Staaten die Möglichkeit, die ohnehin restriktiven Regelungen im Asylverfahren noch schärfer zu fassen. Das könnte als Freibrief für Pushbacks verstanden werden.

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Die Bundesregierung spricht von „Humanität und Ordnung“, doch weder das eine noch das andere wird mit dieser Reform erreicht. Es ist reine Wunschvorstellung, wenn die Verantwortlichen in Berlin erklären, mit Geas könnten das Sterben auf dem Mittelmeer und die Rechtlosigkeit an den Außengrenzen ein Ende haben. Nichts spricht dafür, dass die beschlossenen Regelungen dazu beitragen. Die EU flüchtet vor ihrer Verantwortung.

Nicht einmal die Rechnung, damit den rassistischen Parteien bei der Europawahl etwas entgegensetzen zu können, wird aufgehen. Denn am Ende stärkt eine rechte Politik stets diejenigen, die ganz rechts nur darauf gewartet haben – und die aus Stimmung Stimmen machen. (Pitt von Bebenburg)

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Europäisches Asylsystem: Die EU flüchtet vor ihrer Verantwortung

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20.12.2023

Stand: 20.12.2023, 17:11 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Die Asylreform wird weder zu Ordnung noch zu Humanität führen. Die demokratischen Kräfte in Europa knicken vor rechten Stimmungen ein. Der Leitartikel.

Frankfurt – Es klingt so einfach, aber ist so schwierig zu erreichen: das Ziel, eine gemeinsame europäische Asylpolitik auf die Beine zu stellen. Stolz sind die Politikerinnen und Politiker in der EU daher, dass sie sich nach sehr langwierigen Verhandlungen haben einigen können auf einem der heikelsten Felder, der Migrationspolitik. Und das wenige Monate vor einer Europawahl, bei der zu befürchten ist, dass die rechten und ultrarechten Parteien triumphieren.

Doch wer sich das Ergebnis ansieht, muss zu dem Schluss kommen: Stolz ist völlig fehl am Platz. Denn die Vereinbarungen bedeuten, dass die demokratischen Kräfte in Europa einknicken vor rechten Stimmungen.

Das bestehende Asylsystem funktioniert nicht, und eine Reform ist dringend geboten. Doch die Vereinbarung, in der sich die Hardliner in fast allen Punkten gegen menschenrechtliche Bedenken des EU-Parlaments durchgesetzt haben, wird keines der Probleme lösen.

Die europäische........

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