Stand: 02.01.2024, 16:44 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Die Koalition wird 2024 weiter regieren. Trotz Spaltungen verbindet eine gemeinsame Kraft. Kann die Ampel ihrem Wunsch „Profil zu zeigen“ nachgehen?

Berlin – Es ist nicht allzu gewagt, diese Vorhersage zu treffen: Auch am nächsten Neujahrstag werden SPD, Grüne und FDP noch gemeinsam die Bundesregierung bilden – und ins Wahljahr 2025 starten. Das kann eine gute Nachricht für das Jahr 2024 werden, wenn sich die Ampel-Parteien zusammenraufen und auf ihren Anspruch aus dem Koalitionsvertrag besinnen, eine „Fortschrittskoalition“ zu bilden. Auch wenn sich das heute wie eine Fantasie aus einer anderen Welt anhören mag.

Aber bei allen Differenzen zwischen den drei Parteien und bei allem Ärger von Bürgerinnen und Bürgern über deren bisherige Amtsführung gilt: eine bessere Koalition ist derzeit nicht zu haben. Das sieht sogar die Basis der FDP so. Jedenfalls die Mehrheit derjenigen, die sich zur Teilnahme an der Mitgliederbefragung zum Ampel-Ausstieg durchringen konnten.

Dabei dürfte weniger die Begeisterung für die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen den Ausschlag gegeben haben als die Angst vor Konsequenzen bei einem Ausstieg. Weder Umfragen noch die jüngsten Ergebnisse aus Bayern und Hessen lassen erwarten, dass die FDP bei Neuwahlen besser abschneiden würde. Im Gegenteil: Eine Bundestagswahl heute könnte die FDP in Existenznöte bringen. Das ist keine erfreuliche Aussicht für die kleinste Koalitionspartei, selbst für die nicht geringe Zahl der entschiedenen Ampel-Gegnerinnen und -Gegner.

Die Umfrageergebnisse der anderen Koalitionäre sahen nicht viel besser aus. Auch SPD und Grüne würden bei Neuwahlen so viele Federn lassen, dass sie kaum noch wiederzuerkennen wären. Selbst wenn die FDP den Wiedereinzug in den Bundestag schaffen würde, kämen die drei Parteien laut Umfragen zusammen auf weniger als 35 Prozent.

Unzufriedenheit herrscht es in allen drei Koalitionsparteien. Bei den Grünen wurde zuletzt hart darum gerungen, wie weit sich die Menschenrechtspartei auf Kompromisse in der Asylpolitik einlassen kann, ohne ihre Grundsätze zu verraten – oder ob sie dafür zur Not aus der Koalition aussteigen müsste.

In der SPD geht es etwas ruhiger zu, sieht man von den Jusos ab, zu deren traditioneller Rolle die Kritik am eigenen Kanzler gehört. Der neue Juso-Chef Philipp Türmer hat das in den hübschen Satz gefasst: „Lieber Olaf, falls dich in deiner Burg, im Kanzleramt, noch irgendwas erreicht, falls du dich erinnerst, für wen du angetreten bist, dann ändere deinen Kurs!“ Wohlbemerkt: Kursänderung, nicht Ausstieg.

Türmer hat recht. Was diese Koalition braucht, ist keine Ende-der-Ampel-Debatte, sondern ein klarer Kurs. Gefragt sind mehr Verteilungsgerechtigkeit, kein stures Festhalten an der Schuldenbremse, kein Einschwenken nach rechts in Migrationsfragen, einen „Klimakanzler“. Ist das zu viel verlangt von Olaf Scholz?

Zugegeben, leicht wird das nicht, nachdem die Regierung im Streit über das Heizungsgesetz sehr viel Vertrauen eingebüßt und kurz vor Jahresende ihren ursprünglichen Haushalt versenkt hat. Doch es ist notwendig. Deutschland braucht eine Regierung, die zeigt, dass gemeinsames Regieren demokratischer Kräfte funktioniert, selbst wenn sie in manchen Sachfragen Kompromisse suchen müssen. Denn in diesem Jahr wird sich auch zeigen, wie gut es gelingt, autoritäres, antidemokratisches Denken zurückzudrängen, wie es die AfD verkörpert.

Seit Monaten trommeln CDU-Chef Merz und CSU-Chef Söder dafür, dass angesichts der Unbeliebtheit der Regierung und ihrer Niederlagen vor dem Bundesverfassungsgericht sofort gewählt werden müsse. Doch diese Masche ist viel zu durchsichtig, um mehr als Schlagzeilen zu produzieren. Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt, und unerbittlich streitende Bundesregierungen gehören zum Berliner Alltag – das war bei Schwarz-Gelb so, als sich Union und FDP gegenseitig als „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“ beschimpften, und erst recht in der Groko, in die die SPD monatelang gar nicht erst hatte eintreten wollen.

Auch jetzt sind die Merz-CDU und die Söder-CSU keine guten Alternativen zur Ampel. Um das Land gerecht, stark und ökologisch durch die Krisenzeit zu führen, sind Rechtspopulismus und Rückwärtsgewandtheit fehl am Platz – also etwa der Populismus einer „Leitkultur“ und das Zurück zur überholten Atomkraft.

Bei allen drei Koalitionspartnern gibt es den verständlichen Wunsch, Profil zu zeigen. Bisher tun sie das stets gegeneinander. Das schadet ihnen allen. Wie wäre es damit, gemeinsam ein Profil zu erarbeiten, das allen drei Partnern gerecht wird? Eine soziale Politik, eine ökologische Politik, eine humanitäre Politik und eine Politik des Bürokratieabbaus zum Beispiel?

So war es damals verabredet, als die Unterschriften unter dem Koalitionsvertrag noch frisch waren. Wie wäre es damit, diesen Kurs gemeinsam zu vertreten, mit Empathie und Begeisterung? Das passt sogar zu dem Wunsch von FDP-Generalsekretär Djir-Sarai, dass „eine klare liberale Handschrift in der Regierungspolitik“ zu erkennen sein soll. Denn liberale Werte bestehen schließlich nicht darin, die Schuldenbremse zu ziehen und Steuererhöhungen um jeden Preis zu vermeiden.

Wie wäre es mal wieder mit Bürgerrechten oder sogar mit einem Bildungssystem, das die Ungleichheit reduziert? Die Ampel wird weiterregieren. Und sie hat es in der Hand, ihre Chancen bei der kommenden Bundestagswahl zu verbessern. Mit einer Politik, die zusammenführt – nicht nur die Koalitionäre, sondern die ganze Gesellschaft. (Pitt von Bebenburg)

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Die Ampel braucht einen klaren Kurs

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02.01.2024

Stand: 02.01.2024, 16:44 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Die Koalition wird 2024 weiter regieren. Trotz Spaltungen verbindet eine gemeinsame Kraft. Kann die Ampel ihrem Wunsch „Profil zu zeigen“ nachgehen?

Berlin – Es ist nicht allzu gewagt, diese Vorhersage zu treffen: Auch am nächsten Neujahrstag werden SPD, Grüne und FDP noch gemeinsam die Bundesregierung bilden – und ins Wahljahr 2025 starten. Das kann eine gute Nachricht für das Jahr 2024 werden, wenn sich die Ampel-Parteien zusammenraufen und auf ihren Anspruch aus dem Koalitionsvertrag besinnen, eine „Fortschrittskoalition“ zu bilden. Auch wenn sich das heute wie eine Fantasie aus einer anderen Welt anhören mag.

Aber bei allen Differenzen zwischen den drei Parteien und bei allem Ärger von Bürgerinnen und Bürgern über deren bisherige Amtsführung gilt: eine bessere Koalition ist derzeit nicht zu haben. Das sieht sogar die Basis der FDP so. Jedenfalls die Mehrheit derjenigen, die sich zur Teilnahme an der Mitgliederbefragung zum Ampel-Ausstieg durchringen konnten.

Dabei dürfte weniger die Begeisterung für die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen den Ausschlag gegeben haben als die Angst vor Konsequenzen bei einem Ausstieg. Weder Umfragen noch die jüngsten Ergebnisse aus Bayern und Hessen lassen erwarten, dass die FDP bei Neuwahlen besser........

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