Stand: 18.03.2024, 16:23 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Die Merz-Partei profiliert sich auf Kosten von Arbeitslosen.

Die CDU kramt einen alten Hut heraus, um in den Wahlkampf zu ziehen: den Sozialneid. Die Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld sollen härter angepackt werden. Das wird den Populistinnen und Populisten gefallen, die seit Jahren gegen „Deutschlands faulsten Arbeitslosen“ wettern. Als ob die Armen das Problem wären und nicht die Reichen, die sich der Besteuerung in Deutschland entziehen oder ihre Steuerlast künstlich niedrig rechnen.

Man muss daran erinnern: Im November 2022 stimmten die Abgeordneten von CDU und CSU im Bundestag und die unionsgeführten Länder im Bundesrat der Einführung des Bürgergelds zu. Man habe im Vermittlungsverfahren erreicht, dass am Prinzip des Forderns und Förderns festgehalten werde, argumentierten sie. „Die Praktiker in den Jobcentern sagen: Gut so!“, betonte der Unions-Sozialpolitiker Hermann Gröhe damals.

Und heute? Nun ist das System aus Sicht der Union so schlecht und soll so umfassend umgekrempelt werden, dass es nicht einmal mehr den Namen „Bürgergeld“ verdient. Die CDU spricht von einer „neuen Grundsicherung“. Die soll Teil einer CDU-„Agenda 2030“ sein – Gerhard Schröder und seine „Agenda 2010“, zu der die Einführung des Bürgergeld-Vorläufers „Hartz IV“ zählte, lassen grüßen.

Was hat sich in den 16 Monaten seit dem Bundestagsbeschluss geändert? Vor allem dies: Die nächste Bundestagswahl rückt näher, der Millionär Friedrich Merz kann sich Hoffnung auf die Kanzlerschaft machen und seine Partei muss sich gegen die Ampelkoalition profilieren. Da macht es auch nichts, wenn frühere Positionen ad acta gelegt werden – das ist beim Wunsch der Unionsparteien, zur Atomkraft und ihren Risiken zurückzukehren, auch nicht anders.

Populismus funktioniert nicht ohne reale Probleme, für die dann allerdings scheinbar Schuldige benannt und Scheinlösungen vorgezeigt werden. Und zweifellos gibt es Probleme am Arbeitsmarkt. Alle können sehen, dass Arbeitskräfte fehlen. Vor allem dort, wo nur Mindestlohn oder kaum mehr bezahlt wird – in den Läden, in der Gastronomie, bei Reinigungs- und Sicherheitsfirmen, bei Paketboten und in der Pflege.

Tatsächlich hat sich die Situation für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber komplett gedreht. Die Babyboomer gehen in den Ruhestand. Es wird für Unternehmen immer schwieriger, Arbeitskräfte zu finden. Doch es ist der falsche Weg, wenn die CDU vorgaukelt, dass daran die wenigen „Totalverweigerer“ schuld sind, die den Angeboten der Jobcenter nicht folgen.

Die richtige Antwort lautet vielmehr: Arbeit muss attraktiv sein, durch einen guten Lohn, durch ein gutes Betriebsklima und vernünftige Arbeitsbedingungen, zu denen flexible Arbeitszeiten beitragen können. Arbeit kann Sinn stiften – darauf hat der Vorsitzende der CDU-Arbeitnehmerbewegung, Karl-Josef Laumann, am Montag zu Recht hingewiesen. Doch nicht jede Arbeit und schon gar nicht alle Arbeitsbedingungen lösen diesen Anspruch ein. Der Spruch taugt daher nicht dazu, für ein System zu werben, das Menschen in unattraktive Arbeit zwingen soll.

Vielmehr sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gefragt. Und auch die Politik, die etwa mit Hilfe eines Tariftreuegesetzes nachhelfen könnte, die Attraktivität von Jobs zu steigern.

Die CDU aber arbeitet sich an den Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfängern ab. Die Rückkehr zu 100-Prozent-Sanktionen sind verfassungsrechtlich fragwürdig – und der Vorsatz, dass darunter wenigstens die Kinder der betreffenden Erwachsenen nicht leiden sollen, dürfte nur auf dem Papier stehen. Überhaupt hat der scharfe Kurs der Union mit der Realität der Bürgergeld-Beziehenden wenig zu tun.

Mit der Vermögensprüfung vom ersten Tag des Bezugs an würde sie zum Beispiel gerade diejenigen bestrafen, die sich als Selbstständige etwas aufgebaut und fürs Alter vorgesorgt haben. Die Jobcenter könnten Menschen nach den Vorstellungen der CDU auch zu Wohnungswechseln zwingen, selbst wenn sie nur in einer Übergangszeit von wenigen Monaten Sozialleistungen beziehen.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Es ist sinnvoll zu evaluieren, ob das Bürgergeld die Hoffnung der Ampelkoalition erfüllt hat, den Arbeitslosen mit mehr Respekt zu begegnen und sie zu qualifizieren, statt sie in jeden freien Job zu zwingen. Der Reformvorschlag der Merz-CDU und ihres forschen Generalsekretärs Carsten Linnemann orientiert sich jedoch nur an den vermeintlichen Interessen der Unternehmen. Wenn er Wirklichkeit würde, wäre das ein Rollback zum strafenden Sozialstaat früherer Jahre. Bericht S. 4

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Das Rollback der CDU

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18.03.2024

Stand: 18.03.2024, 16:23 Uhr

Von: Pitt von Bebenburg

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Die Merz-Partei profiliert sich auf Kosten von Arbeitslosen.

Die CDU kramt einen alten Hut heraus, um in den Wahlkampf zu ziehen: den Sozialneid. Die Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld sollen härter angepackt werden. Das wird den Populistinnen und Populisten gefallen, die seit Jahren gegen „Deutschlands faulsten Arbeitslosen“ wettern. Als ob die Armen das Problem wären und nicht die Reichen, die sich der Besteuerung in Deutschland entziehen oder ihre Steuerlast künstlich niedrig rechnen.

Man muss daran erinnern: Im November 2022 stimmten die Abgeordneten von CDU und CSU im Bundestag und die unionsgeführten Länder im Bundesrat der Einführung des Bürgergelds zu. Man habe im Vermittlungsverfahren erreicht, dass am Prinzip des Forderns und Förderns festgehalten werde, argumentierten sie. „Die Praktiker in den Jobcentern sagen: Gut so!“, betonte der Unions-Sozialpolitiker Hermann Gröhe damals.

Und heute? Nun ist das System aus Sicht der Union so schlecht und soll so umfassend umgekrempelt werden, dass es nicht........

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