Stand: 17.04.2024, 15:30 Uhr

Von: Paul Mason

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Russland, China, Nordkorea und der Iran bilden eine große gefährliche Industrie für Raketen und Drohnen. Die Kolumne.

Ein erleichterter Seufzer entrang sich der kollektiven Kehle der demokratischen Staatengemeinschaft, als Israel und seine Verbündeten die Mehrheit der iranischen Raketen abschießen konnten. Ich werde noch viel erleichterter aufseufzen, wenn nun die israelische Regierung endlich auf Joe Bidens Ruf nach Deeskalation hört.

Aber der schiere Umfang der iranischen Attacke und die Entscheidung, vom eigenen Territorium aus Israel anzugreifen statt wie bisher über Stellvertreter-Organisationen anderswo, bilden eine „neue Normalität“ aus, an die wir im Westen uns werden gewöhnen müssen.

Die strategische Kriegsführung hat sich radikal verändert. Der Schwarm an billigen langsamen Drohnen, angereichert mit ballistischen und Interkontinentalraketen, entspricht exakt dem, wie Russland in der Ukraine vorgeht. Wobei die iranische Attacke fast doppelt so groß war wie eine durchschnittliche russische.

Zur Verteidigung Israels mussten Kampfflieger zu 110 Millionen Dollar das Stück mit Hightec-Raketen gegen Drohnen antreten, die höchstens 50 000 Dollar kosten. Da Israel auch seine gesamte Luftabwehr einsetzte, können seine Gegner daraus einige logistische und technische Erkenntnisse ziehen.

Die Attacke war auch ein geopolitisches Signal. Iran sagt damit zu Israel und den USA: „Das bekommt Ihr jedes Mal ab, wenn Ihr unsere Stellvertreter-Infrastruktur ernsthaft treffen wollt.“ Und Israel soll damit vorgeführt werden, dass es ohne westlichen Beistand nicht mehr auskommt. Während manche im Westen genau diesen Beistand wegen Gaza infrage stellen.

Und auch die nächtliche Hilfe durch Jordanien muss als eine „neue Normalität“ anerkannt werden: Israel braucht regionale Verbündete, aber deren Beistand wird durch Gaza infrage gestellt.

Wir hier in Europa müssen daraus den Schluss ziehen, dass wir eine gemeinsame Raketenabwehr brauchen. Ein Gegengewicht zu Russlands ständig vorgehaltenen rund 900 ballistischen Raketen ist zwingend. Gut also, dass im November 23 die „European Sky Shield Initiative“, eine den Kontinent umspannende vielschichtige Raketenabwehr, initiiert wurde. Sie ist aber derzeit kaum ihr Papier wert: Frankreich, Italien und Spanien verweigern sich, da für den Langstreckenbereich fremde Technik – US-amerikanische („Patriot“) und israelische („Arrow-3“) – eingeplant sind. Die EU-Kommission hat zwar eine „European Defence Industrial Strategy“ verabschiedet für eine gemeinsame Rüstungsindustrie zur Unabhängigkeit von den USA. Aber Europa hat derzeit weder die Kapazität noch das Know-how, um Israelis und Amerikanern das Wasser zu reichen.

Was sollen wir daraus lernen? 1. Die Israelis und Amerikaner haben verstanden, dass man sich schützen muss. Wir haben das ignoriert. 2. Unsere Politikerinnen und Politiker müssen künftig genauso gegen militärische wie gegen finanzielle Bedrohungen vorbauen. 3. Die iranische Schwarm-Attacke zeigt, wie abhängig der Westen für seine Sicherheit vom guten Willen der USA und Israels geworden ist. Wir müssen verstehen, dass Putins Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur auch dazu dienen, unsere Arsenale zu leeren, wenn wir deren Inhalt Kiew überlassen. Man stelle sich vor, was ein Präsident Trump machen würde, wenn Europa eine eigene Politik zugunsten der Ukraine verfolgte.

Wir müssen also aufhören, den Nahostkonflikt und den Ukraine-Krieg als separate Ereignisse anzusehen. Russland, China, der Iran und Nordkorea bilden eine singuläre Raketen-und-Drohnen-Industrie, so dass die Effekte ihrer Aggressionen ineinandergreifen.

Noch einmal: Wir sind das Ziel einer koordinierten Aggression. Was im Roten Meer geschieht, wirkt sich bei uns aus. Der Zeitpunkt für Europa, massiv in die Wiederbewaffnung zu investieren, war gestern.

Paul Mason ist Autor.

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Ein Konflikt – nicht viele einzelne

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17.04.2024

Stand: 17.04.2024, 15:30 Uhr

Von: Paul Mason

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Russland, China, Nordkorea und der Iran bilden eine große gefährliche Industrie für Raketen und Drohnen. Die Kolumne.

Ein erleichterter Seufzer entrang sich der kollektiven Kehle der demokratischen Staatengemeinschaft, als Israel und seine Verbündeten die Mehrheit der iranischen Raketen abschießen konnten. Ich werde noch viel erleichterter aufseufzen, wenn nun die israelische Regierung endlich auf Joe Bidens Ruf nach Deeskalation hört.

Aber der schiere Umfang der iranischen Attacke und die Entscheidung, vom eigenen Territorium aus Israel anzugreifen statt wie bisher über Stellvertreter-Organisationen anderswo, bilden eine „neue Normalität“ aus, an die wir im Westen uns werden gewöhnen müssen.

Die strategische Kriegsführung hat sich radikal verändert. Der Schwarm an billigen langsamen Drohnen, angereichert mit ballistischen und Interkontinentalraketen,........

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