Stand: 14.11.2023, 16:51 Uhr

Von: Eva Quadbeck

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Die Ampel-Regierung hat bei ihrer Bürgergeldreform einige Punkte nicht genügend bedacht. Sie sollte nachbessern.

In der Theorie ist das Bürgergeld eine schöne Errungenschaft des Sozialstaats: Langfristig arbeitslose Menschen werden mit staatlichen Leistungen so ausgestattet, dass sie würdig leben und in bescheidenem Umfang sogar am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Gedacht ist diese staatliche Unterstützung für Menschen in Not ohne eigenes Einkommen. Sie haben das Recht auf Weiterbildung und bekommen Hilfe, einen neuen Job zu finden, denn das Bürgergeld soll nach Möglichkeit nur eine Unterstützung für einen begrenzten Zeitraum darstellen. So weit die Theorie.

In der praktischen Abwägung scheinen aber immer mehr Bürgerinnen und Bürger zum Schluss zu kommen, dass das Leben mit Bürgergeld angenehmer ist, als für wenig Lohn einer unattraktiven Arbeit nachzugehen. Dies zumindest legt eine Erhebung des Gebäudereinigerhandwerks nach – eine Branche die händeringend nach Arbeitskräften sucht.

Nun soll das Bürgergeld zum Jahreswechsel um zwölf Prozent steigen – inflationsbedingt. Auch wenn es in einigen Branchen zuletzt sehr ordentliche Tarifschritte gab, werden die Löhne insgesamt mit einer solchen Erhöhung nicht Schritt halten können. Sogar der Arbeitsminister ist inzwischen alarmiert und warnt vor dem Jobausstieg mit dem Ziel Bürgergeld.

Das Kernproblem ist, dass es in Deutschland kein Lohnabstandsgebot mehr gibt. Es gibt keinen Mechanismus, der sicherstellt, dass, wer Vollzeit arbeitet, am Ende des Monats tatsächlich mehr Geld zur Verfügung hat als Bürgerinnen und Bürger, die allein von staatlichen Leistungen leben.

Der Lohnunterschied müsste so groß sein, dass auch Menschen in schlecht bezahlten Jobs gar nicht erst auf die Idee kommen, dass ein Leben mit Bürgergeld leichter sein könnte als der Alltag mit einem harten Job und wenig Einkommen. All das hat die Ampel-Regierung bei ihrer Bürgergeldreform zu wenig bedacht.

Laut Rechtsprechung des Verfassungsgerichts muss eine staatliche Sozialhilfe – egal ob man sie Bürgergeld oder Hartz IV nennt – das Existenzminimum absichern. Es ist Bürgergeld-Bezieherinnen und -Beziehern aber durchaus zuzumuten, dass sie zugewiesene Arbeit übernehmen. Der entsprechende Vorstoß von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sollte auf seine Umsetzbarkeit geprüft werden: Wer krank ist oder wem Betreuung für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige fehlt, der sollte selbstverständlich auf die Solidarität der Gemeinschaft zählen können.

Wer aber gesund ist und nur einfach gerade keinen Job hat, der kann eine Gegenleistung für das Bürgergeld erbringen. Nicht in Vollzeit – es soll noch Raum für die Suche nach einem neuen festen Job und für mögliche Weiterbildung bleiben. Aber der Gemeinschaft in Teilzeit zur Verfügung zu stehen, das kann man von Langzeitarbeitslosen sehr wohl verlangen. Gleiches gilt für geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer, wenn sie vom Bürgergeld leben. In unseren europäischen Nachbarländern wird das auch so gehandhabt.

Wenn das Bürgergeld zum Jahreswechsel um zwölf Prozent steigt und weiter kaum Anforderungen an die Bezieherinnen und Bezieher gestellt werden, dann könnte sich der Arbeitskräftemangel im Dienstleistungssektor verschärfen. Zugleich dürfte sich das Gefühl von Ungerechtigkeit zwischen jenen, die einem geregelten Job nachgehen, und Langzeitarbeitslosen vergrößern.

Der Sozialstaat baut auf die Solidarität der Starken mit den Schwachen und mit jenen, die schwere Schicksalsschläge erlitten haben. Diese Solidarität lässt sich aber nur aufrechterhalten, wenn alle jene, die es können, auch tatsächlich einer Arbeit nachgehen. So muss der Sozialstaat seine Rahmenbedingungen setzen, wenn er dauerhaft von allen Bürgerinnen und Bürgern getragen werden soll.

QOSHE - Gerecht muss es sein - Eva Quadbeck
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Gerecht muss es sein

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14.11.2023

Stand: 14.11.2023, 16:51 Uhr

Von: Eva Quadbeck

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Die Ampel-Regierung hat bei ihrer Bürgergeldreform einige Punkte nicht genügend bedacht. Sie sollte nachbessern.

In der Theorie ist das Bürgergeld eine schöne Errungenschaft des Sozialstaats: Langfristig arbeitslose Menschen werden mit staatlichen Leistungen so ausgestattet, dass sie würdig leben und in bescheidenem Umfang sogar am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Gedacht ist diese staatliche Unterstützung für Menschen in Not ohne eigenes Einkommen. Sie haben das Recht auf Weiterbildung und bekommen Hilfe, einen neuen Job zu finden, denn das Bürgergeld soll nach Möglichkeit nur eine Unterstützung für einen begrenzten Zeitraum darstellen. So weit die Theorie.

In der praktischen Abwägung scheinen aber immer mehr Bürgerinnen und Bürger zum Schluss zu kommen, dass das Leben mit Bürgergeld angenehmer ist, als für wenig Lohn einer........

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