Stand: 01.12.2023, 21:29 Uhr

Von: Christine Dankbar

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Die Verfassungsrichter machen es der Ampel schwer, auf aktuelle Krisen zu reagieren. Dabei schweben auch sie nicht über der Politik. Der Leitartikel.

Frankfurt - Es kann natürlich an der verschneiten Vorweihnachtszeit liegen, dass einem im politischen Berlin alles ein bisschen friedlicher vorkommt. Vielleicht ist es ja auch Erschöpfung nach einem langen und anstrengenden politischen Jahr. Der Koalitionsausschuss in dieser Woche tagte jedenfalls nur sehr kurz. Entscheidungen wurden keine getroffen, aber wie man hört, auch keine weiteren Tischdecken durchschnitten. Das ist bei dieser Regierungskoalition ja schon mal etwas.

Am Freitag wurde erst einmal der Nachtragshaushalt für 2023 verabschiedet. Wie es mit 2024 weitergeht, ist noch unklar. Dafür und für ihre Niederlage in Karlsruhe steht die Regierungskoalition unter massivem Beschuss. Die Verfassungsrichterinnen und -richter zu kritisieren, wagt dagegen niemand. Das ist in Deutschland grundsätzlich verpönt. Übliches Brauchtum ist, Karlsruhe für jeden Urteilsspruch zu loben, als seien die beiden Senate unfehlbar wie der Papst – der das auch nicht ist.

Leise Kritik gewagt hat bisher nur der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Er wies dabei auf einen Widerspruch hin, den das Verfassungsgericht produziert habe und der sich kaum auflösen lässt: So verpflichteten die Richter:innen die Bundesregierung einerseits zu langfristig hohen finanziellen Ausgaben, schränkten aber auf der anderen Seite den finanziellen Gestaltungsspielraum dafür ein. Er meint damit das Urteil zum Klimaschutzgesetz. Das haben die Karlsruher Richterinnen und Richter vor zwei Jahren teilweise außer Kraft gesetzt, weil die darin festgeschriebenen Regelungen zu viel in die Zukunft verschieben und damit ihrer Meinung nach die Interessen der jüngeren Generation missachten.

Nun hat das Gericht ausgerechnet den Klima- und Transformationsfonds mit seinem Haushaltsurteil deutlich geleert. Die Politik der Zukunft und für die Zukunft wird nach dem Urteil nicht einfacher. Und man sollte an dieser Stelle ruhig auch einmal darauf hinweisen, dass die Karlsruher Richterinnen und Richter vielleicht nicht alle so über der politischen Sphäre schweben und vielleicht auch nicht so strikt neutral sind, wie das die Bürgerinnen und Bürger annehmen.

Geklagt hat bekanntlich die Union gegen den Nachtragshaushalt 2021. Am Urteil des Verfassungsgerichts hat der Richter Peter Müller mitgewirkt. Er ist der frühere Ministerpräsident und Justizminister des Saarlands und nicht zuletzt CDU-Politiker. Jüngst war er auch beim CDU-Parteitag in seinem Bundesland. Dort hat der CDU-Politiker Norbert Röttgen gesprochen und das Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts gelobt. Müller soll ebenfalls applaudiert haben.

Ein wenig schmeichelhaftes Bild wirft auch die Wiederbesetzung seiner Stelle auf das Karlsruher Gericht. Müller hat seine zwölf Jahre Amtszeit hinter sich und überdies die Altersgrenze erreicht. Dass er ersetzt wird, ist ein völlig normaler Vorgang. Bezeichnend ist allerdings das Wie: Die CSU hat das Vorschlagsrecht für den Richterposten. Ursprünglich war der frühere bayerische Justizminister Winfried Bausback vorgesehen.

Doch dann fand sich in seiner jahrzehntealten Doktorarbeit über das deutsche Wahlrecht eine Einschätzung, die die CSU zur Kehrtwende veranlasste. Bausback vertritt darin nämlich die keineswegs exotische Ansicht, dass die sogenannte Grundmandatsklausel verfassungswidrig sei. Sie sichert einer Partei zu, dass ihr Sitze im Bundestag nach ihrem Wahlergebnis zugeteilt werden, auch wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht übersprungen hat. Einzige Voraussetzung: Die Partei muss mindestens drei Direktmandate erzielen.

Das Bundesverfassungsericht ist der oberste Gerichtshof in der Bundesrepublik Deutschland. Mit Sitz in Karlsruhe ist es das höchste Gremium der Rechtssprechung in Deutschland. Dem Gericht gehören 16 Richterinnen und Richter an, die jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Die Amtszeit beträgt zwölf Jahre.

Nun muss man wissen, dass das jüngst reformierte Wahlrecht die Grundmandatsklausel nicht mehr vorsieht – und die CSU dadurch ihren Erfolg bei der nächsten Bundestagswahl gefährdet sieht. Da sie nur in Bayern antritt, ist es durchaus möglich, dass sie bei einem schlechten Wahlergebnis bundesweit unter fünf Prozent rutscht.

Nach jetzt geltendem Recht flöge sie damit aus dem Bundestag, obwohl in Bayern Direktmandate in hoher Zahl an die CSU gehen. Die Partei klagt daher in Karlsruhe gegen das Wahlrecht. Und der Verfassungsrichterkandidat Bausback wurde in letzter Minute ausgewechselt. Soviel zum Thema, dass Politik in Karlsruhe keine Rolle spielt.

Um zukunftsorientierte Politik in Berlin möglich zu machen, muss jetzt die Schuldenbremse reformiert werden. Das wird schwierig – und das Ergebnis landet garantiert wieder zur Begutachtung auf den Schreibtischen in Karlsruhe. (Christine Dankbar)

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Politik aus Karlsruhe: Keiner übt Kritik am Verfassungsgericht

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04.12.2023

Stand: 01.12.2023, 21:29 Uhr

Von: Christine Dankbar

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Die Verfassungsrichter machen es der Ampel schwer, auf aktuelle Krisen zu reagieren. Dabei schweben auch sie nicht über der Politik. Der Leitartikel.

Frankfurt - Es kann natürlich an der verschneiten Vorweihnachtszeit liegen, dass einem im politischen Berlin alles ein bisschen friedlicher vorkommt. Vielleicht ist es ja auch Erschöpfung nach einem langen und anstrengenden politischen Jahr. Der Koalitionsausschuss in dieser Woche tagte jedenfalls nur sehr kurz. Entscheidungen wurden keine getroffen, aber wie man hört, auch keine weiteren Tischdecken durchschnitten. Das ist bei dieser Regierungskoalition ja schon mal etwas.

Am Freitag wurde erst einmal der Nachtragshaushalt für 2023 verabschiedet. Wie es mit 2024 weitergeht, ist noch unklar. Dafür und für ihre Niederlage in Karlsruhe steht die Regierungskoalition unter massivem Beschuss. Die Verfassungsrichterinnen und -richter zu kritisieren, wagt dagegen niemand. Das ist in Deutschland grundsätzlich verpönt. Übliches Brauchtum ist, Karlsruhe für jeden Urteilsspruch zu loben, als seien die beiden Senate unfehlbar wie der Papst – der das auch nicht ist.

Leise Kritik gewagt hat bisher nur der........

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