Manchmal kommt es nicht sosehr darauf an, was man sagt, sondern wie man es sagt. Und auch wann man es sagt. Letzteres weiß der Anwalt von Sebastian Kurz am besten.

Niemand, auch keiner aus der altgedienten Wiener Strafverteidiger-Garde, kann sich daran erinnern, dass es so etwas je gab: das Umdrehen der Reihenfolge bei der Befragung eines Zeugen. Normalerweise ist das so: Der Richter fragt als Erster. Dann bekommt die Staatsanwaltschaft das Fragerecht. Und dann sind die Verteidiger an der Reihe. Ein althergebrachtes Schema. Aber eines, das genauso eigentlich gar nicht in der Strafprozessordnung festgeschrieben ist. Es handelt sich sozusagen um Gewohnheitsrecht.

Gewohnheiten kann man ändern, mag sich der Verteidiger von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, der renommierte Wiener Anwalt Otto Dietrich, gedacht haben. Und landete einen Coup. In der jüngsten Verhandlung (Vorwurf gegen Kurz: Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss) zeigte Dietrich in der für ihn typischen, vornehmen, fast ein bisschen schüchternen Art auf und stellte einen Antrag: Er würde gerne vor der Korruptionsstaatsanwaltschaft mit den Fragen an Thomas Schmid loslegen.

Wie reagierte der bisher souveräne Richter Michael Radasztics? Er überlegte kurz und meinte dann sinngemäß: Wieso nicht? Spricht ja nichts dagegen.

Der Vorteil für Dietrich lag auf der Hand. Sein Kampfauftrag sah vor, Schmid, den Mann mit den vielen belastenden Handy-Chats, mürbe zu machen bzw. dessen Glaubwürdigkeit zu unterwandern. Und da wollte der gewiefte Advokat nicht zuwarten, bis die WKStA die besten Fragen vorwegnimmt. Dann wären vielleicht unangenehme Antworten von Schmid einzementiert worden – und Dietrich hätte Schmid nicht mehr auf den Zahn fühlen können.

Weiterer Vorteil: Die Verteidigung fragte und fragte und fragte. Man ahnte schon, dass die WKStA erst nachts an die Reihe kommen werde. Daraus wurde dann aber doch nichts. Die Korruptionsjäger erwirkten eine Vertagung. Und werden heute, Freitag, mit frischer Kraft die Fragen an „ihren“ Zeugen stellen.

Letzteres hat Dietrich wohl nicht einkalkuliert. Aber ein Verdienst bleibt ihm: Er ist ab sofort der Anwalt, der die vermeintlich in Stein gemeißelte Reihenfolge bei Zeugenbefragungen auf den Kopf gestellt hat. Das Beispiel macht garantiert Schule.

QOSHE - Sebastian Kurz, sein Anwalt und ein neuer Trick - Manfred Seeh
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Sebastian Kurz, sein Anwalt und ein neuer Trick

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15.12.2023

Manchmal kommt es nicht sosehr darauf an, was man sagt, sondern wie man es sagt. Und auch wann man es sagt. Letzteres weiß der Anwalt von Sebastian Kurz am besten.

Niemand, auch keiner aus der altgedienten Wiener Strafverteidiger-Garde, kann sich daran erinnern, dass es so etwas je gab: das Umdrehen der Reihenfolge bei der Befragung eines Zeugen. Normalerweise ist das so: Der Richter fragt als Erster. Dann bekommt die Staatsanwaltschaft das Fragerecht. Und dann sind die Verteidiger an der Reihe. Ein althergebrachtes Schema. Aber eines, das genauso eigentlich gar nicht in der........

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