Wer als Politiker für stärkere Regulierung bei der Deutschen Lieblingsdroge eintritt, wird vom Wähler schnell abgestraft. In der Konsequenz lässt uns der Gesetzgeber schulterzuckend ungestört weitersaufen, anstatt beherzt die Zügel anzuziehen. Ein 7-Punkte-Maßnahmenkatalog gegen das „fröhliche“ Massensterben vom regelmäßigen AA-Besucher Henning Hirsch.

In Deutschland beklagen wir pro Jahr rund 75.000 Tote (nicht gezählt die durch Alkohol verursachten und begünstigten Krebserkrankungen), die aufgrund der Kombination Schnaps und Zigaretten ein paar Jahre früher als ursprünglich geplant ins Gras beißen (davon 30–50 % durch Alkohol alleine, also ohne zusätzliches Suchtmittel). Hinzu kommen jährlich 120 000 Menschen, die sich wegen chronischen Tabakmissbrauchs vorzeitig die Lunge final aus dem Hals gehustet haben. Dem gegenüber stehen 1500 Opfer illegaler Drogen (darunter zwei Drittel durch Opioide = Heroin u. Ä.). Cannabis-Tote = 0.

Die schiere Masse der Alkoholkranken übersteigt die der anderen Substanzabhängigen um ein Vielfaches. Den überwiegenden Anteil der Patienten in stationären Einrichtungen bildet die Wodkafraktion, mit großem Abstand gefolgt von Tabletten- (Benzodiazepine) und Opiatsüchtigen. Cannabis-Junkies trifft man dort nur äußerst selten. Alkohol stellt also die bei Weitem gefährlichste Droge für unsere Bevölkerung dar. Bedrohlich sowohl für die körperliche als auch die geistige Gesundheit der Konsumenten. Kein weiterer psychotroper, also auf die Psyche einwirkender Stoff fordert mehr Menschenleben. Jedes Jahr aufs Neue gehen so in stupider Regelmäßigkeit die genannten 75.000 Abhängigen in Folge von geplatzter Leber, Herzinfarkten, Bauchspeicheldrüsenkrebs und gebrochenem Genick nach Treppensturz in die ewigen Säufergründe ein.

Trotzdem kann man – sobald das 18. Lebensjahr erreicht ist – Wodka bei uns genauso einfach kaufen wie Toastbrot und Kondome. Keine nennenswerten Einschränkungen, keine Warnhinweise auf Flaschen, Flachmännern und Dosen, Alkoholwerbung ist in TV und Radio weiterhin erlaubt. Eine derart wachsweiche Vorgehensweise vom selben Gesetzgeber, der bei Besitz von zwei Krümeln Marihuana sofort mit Staatsanwalt und Knast droht? Weshalb dieses eklatante Ungleichgewicht zwischen Schnaps und den anderen harten Drogen? Weil’s ein Kulturding ist? Weil die Politik einen Volksaufstand befürchtet, falls sie mal ernsthaft über Einschränkungen debattiert?

Mit dem Alkohol verhält es sich wie mit dem Klima. Die Experten warnen vor den negativen Konsequenzen, die sich unweigerlich einstellen, wenn wir nicht langsam mal auf die Bremse treten und über sinnvolle Maßnahmen nachdenken. Ein Teil der Bevölkerung hält das – in der gemäßigten Variante – für künstlich aufgebauschte Probleme oder befürchtet sogar Fake News. „Jetzt wollen sie uns sogar den letzten Spaß mit unserem Feierabendbier verderben. Sollen sie sich besser um die Kiffer und Junkies kümmern. Die werden viel zu sehr mit Samthandschuhen angefasst“, bekommt man zu hören, sobald man für Regulierungen bei der Volksdroge Nr. 1 eintritt.

„Prohibition hilft kein bisschen weiter“, sagen die etwas Gebildeteren, die ihr Wissen über diese Zeit vor allem aus Robert-De-Niro-Filmen speisen: „Zwischen 1919 und 1933 wurde in den USA mehr getrunken als in der Zeit davor, und die Beschaffungskriminalität nahm aberwitzige Ausmaße an.“ Das stimmt, allerdings nur zur Hälfte. In Wahrheit sank der Pro-Kopf-Alkoholkonsum in den Vereinigten Staaten in diesem Zeitraum um 30–50 %. Zwar nicht gleichverteilt zwischen Stadt (dort wurde in den neu entstandenen sogenannten Flüsterkneipen ordentlich gebechert) und Land (das trocknete aufgrund der Schließung der Saloons ziemlich aus), aber der Verbrauch ging dennoch deutlich zurück und erreichte erst Mitte der 70er-Jahre wieder das Niveau von 1918.

Das mit Al Capone, Lucky Luciano und Meyer Lansky steht auf einem anderen Blatt. Denn natürlich bewirkt ein Komplettverbot mafiöse Produktions- und Vertriebsstrukturen. Weshalb bis auf fanatische Abolitionisten auch niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, ein Komplettverbot fordert.

Deutschland belegt Jahr für Jahr aufs Neue eine Top-Position im Ranking der globalen Trinkernationen, und niemanden außerhalb der 24/7 bis auf den letzten Platz ausgebuchten Suchtkliniken juckt das großartig. Obwohl der Politik natürlich bewusst ist, dass dem Alkohol zwischen Neujahr und Silvester zehntausende Menschen zum Opfer fallen, tut sie hartnäckig nichts gegen dessen Verbreitung.

Dabei ist das zu ergreifende Maßnahmenbündel einfach und bereits in anderen Ländern erfolgreich erprobt:

1. Erhöhung der Preise (der Stoff ist bei uns definitiv zu billig)
2. Heraufsetzung des Bezugsalters (keine Alkopops, kein Bier an Minderjährige)
3. Ausdünnung der Verkaufsstellen (was um Himmels willen hat Wodka in den Regalen von Tankstellen zu suchen?)
4. keine Abgabe nach 22 Uhr (mit Ausnahmeregelung für Clubs)
5. konsumfreie Räume (z. B. ÖPNV, öffentliche Plätze)
6. keine Werbung in TV, Radio, Printmedien, auf Plakatwänden und Trikots von Sportvereinen u. Ä.
7. Promillegrenze Nullkommanull am Steuer (erspart die lästige Rechnerei nach dem dritten Weihnachtsmarkt-Glühwein).

Das würde – unter der Voraussetzung, alle 7 genannten Instrumente gelangten zur Anwendung – zu einer merklich spürbaren Reduktion des Konsums führen. So einfach ginge das, fragen Sie?. Ja, so einfach geht das, antworte ich. Aber es muss halt auch mal konsequent durchgeführt – und natürlich ebenfalls überwacht – werden. Weshalb Tabakwerbung böse, Alkoholspots zur besten Sendezeit jedoch völlig okay sind, versteht außer Bitburger-Trinkern und den „Jeder ist für seine Sucht selbst verantwortlich“-Pseudoliberalen auch niemand.

Und noch einmal: Es handelt sich dabei nicht um Prohibition. Es geht einzig um die Erschwernis des Erwerbs und in der Konsequenz die Verringerung der alkoholverursachten Todesfälle. Es käme ja auch niemand auf die Idee, Heroin frei verkäuflich in der Apotheke und Ecstasy im Drogeriemarkt anzubieten.

Das Grundbedürfnis nach Rausch bliebe selbstverständlich weiterhin unangetastet. Es würde nur etwas schwieriger gemacht, sich in den Orbit zu katapultieren. Die vielen Menschen, die in Zukunft nicht wegen Alkoholexzessen in der Kühlschublade des Leichenschauhauses landen, werden es uns danken, wenn wir bei den offenkundig notwendigen Regulierungsschritten endlich auf die Stimmen der Experten hören.

Deutschland ist in Blickrichtung auf den ungehinderten Zugang zur Droge Alkohol eines der freizügigsten Länder der Welt. Die Sinnhaftigkeit selbst kleinster Maßnahmen (z. B. kein Verkauf in Tankstellen) wird angezweifelt, zu einem kompletten Werbeverbot will sich niemand durchringen. Die Politik bleibt, was ein konsequentes Gegensteuern bei der offenkundigen Gesundheitsgefährdung anbelangt, zögerlich bis hin zu verharmlosend. Reine Appelle à la „Kenn dein Limit“ fruchten wenig, solange man Alkopops, Bier und Schnaps weiterhin 24/7 an jeder Ecke zu Discountpreisen kaufen
kann.

MERKE
Wenn Deutschland in einem Bereich liberal ist, dann beim Verkauf von Alkohol. Das führt in der logischen Konsequenz zu überhöhtem Konsum und vielen Patienten in den Suchtkliniken. Regulierende Maßnahmen täten dringend not, werden aber nicht ergriffen. Die jährlich 75 000 Alkoholtoten bedanken sich dafür ganz herzlich bei unserem Laissez-faire-Gesetzgeber.

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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Alkohol = Volkskiller Nr. 1 – und was tut die Politik?

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07.04.2024

Wer als Politiker für stärkere Regulierung bei der Deutschen Lieblingsdroge eintritt, wird vom Wähler schnell abgestraft. In der Konsequenz lässt uns der Gesetzgeber schulterzuckend ungestört weitersaufen, anstatt beherzt die Zügel anzuziehen. Ein 7-Punkte-Maßnahmenkatalog gegen das „fröhliche“ Massensterben vom regelmäßigen AA-Besucher Henning Hirsch.

In Deutschland beklagen wir pro Jahr rund 75.000 Tote (nicht gezählt die durch Alkohol verursachten und begünstigten Krebserkrankungen), die aufgrund der Kombination Schnaps und Zigaretten ein paar Jahre früher als ursprünglich geplant ins Gras beißen (davon 30–50 % durch Alkohol alleine, also ohne zusätzliches Suchtmittel). Hinzu kommen jährlich 120 000 Menschen, die sich wegen chronischen Tabakmissbrauchs vorzeitig die Lunge final aus dem Hals gehustet haben. Dem gegenüber stehen 1500 Opfer illegaler Drogen (darunter zwei Drittel durch Opioide = Heroin u. Ä.). Cannabis-Tote = 0.

Die schiere Masse der Alkoholkranken übersteigt die der anderen Substanzabhängigen um ein Vielfaches. Den überwiegenden Anteil der Patienten in stationären Einrichtungen bildet die Wodkafraktion, mit großem Abstand gefolgt von Tabletten- (Benzodiazepine) und Opiatsüchtigen. Cannabis-Junkies trifft man dort nur äußerst selten. Alkohol stellt also die bei Weitem gefährlichste Droge für unsere Bevölkerung dar. Bedrohlich sowohl für die körperliche als auch die geistige Gesundheit der Konsumenten. Kein weiterer psychotroper, also auf die Psyche einwirkender Stoff fordert mehr Menschenleben. Jedes Jahr aufs Neue gehen so in stupider Regelmäßigkeit die genannten 75.000 Abhängigen in Folge von geplatzter Leber, Herzinfarkten, Bauchspeicheldrüsenkrebs und gebrochenem Genick nach Treppensturz in die ewigen Säufergründe ein.

Trotzdem kann man – sobald das 18. Lebensjahr erreicht ist – Wodka bei uns genauso einfach kaufen wie Toastbrot und Kondome. Keine nennenswerten Einschränkungen, keine Warnhinweise auf Flaschen, Flachmännern und Dosen,........

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