menu_open Columnists
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close

Margaret Atwood: „Mit Ronald Reagan kam der Aufstieg der religiösen Rechten“

3 0
18.12.2025

Nach dem phänomenalen weltweiten Erfolg und der Aktualität der TV-Adaption von Margaret Atwoods Roman A Handmaids Tale (deutscher Titel: Der Report der Magd) im Jahr 2017 werde sie als „eine Kombination aus Galionsfigur, Prophetin und Heilige“ angesehen, schreibt die kanadische Autorin in ihren kürzlich erschienenen Memoiren Book of Lives.

Auf 600 Seiten reichen diese „so etwas wie Memoiren“ von Atwoods Kindheit in der kanadischen Wildnis bis zu ihrer Trauer über den Tod ihres Mannes, des 2019 verstorbenen Schriftstellers Gaeme Gibson, mit dem sie 48 Jahre zusammen war. Dazwischen gab es viele Freundschaften, gelegentlich Streitigkeiten und mehr als 50 Bücher (darunter Cat’s Eye, Alias Grace und die mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Werke The Blind Assassin und The Testaments).

Die Autorin, die gerade 86 geworden ist, betrachtet die Dinge immer gerne aus einer Perspektive der Distanz, oft aus einer Entfernung von mehreren Jahrhunderten. Wie die US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin Rebecca Solnit weiter unten anmerkt, hat Atwood einen langfristigen Blick auf unsere Zeit. Das Alter und die Freiheit, eine Schriftstellerin zu sein (sie könne schließlich nicht gekündigt werden, wie sie sagt) lassen sie furchtlos ihre Meinung sagen.

Die Vorstellung von prophetischen Kräften hat sie stets zurückgewiesen –„Dann hätte ich den Aktienmarkt im Griff“, erklärte sie, wobei sie in ihrem 2008 erschienenen BuchPaybackden Finanzcrash vorhergesagt hat. Auf keinen Fall möchte sie als Heilige zum Idol gemacht werden: Das ende selten gut. Außerdem sei sie nachtragend. Sie hat sogar Probleme mit ihrer Rolle als feministische Ikone, „von der erwartet wird, dass sie unter allen Umständen das Richtige für Frauen tut, wobei mir von Leser:innen und Zuschauer:innen viele verschiedene Vorstellungen davon, was das Richtige ist, zugeschrieben werden“, wie sie in Book of Lives schreibt.

Atwood ist so schwer zu bestimmen wie die Insekten, mit denen sie und ihr Bruder Harold als Kinder spielten, da ihr Vater als Insektenkundler arbeitete. Einerseits Naturwissenschaftlerin (viele in ihrer Familie haben etwas mit Wissenschaft zu tun) und Skeptikerin interessiert sie sich gleichzeitig auch für Aus-der-Hand-lesen und das Okkulte.

Es gibt nichts, was sie einem nicht über die Natur sagen kann, seien es das Sexleben von Schnecken oder seltene Vögel (siehe die Frage von Jonathan Franzen); oder Geschichte – besonders gut kennt sie sich mit den Hexenprozessen von Salem in Neuengland im Nordosten der USA und der Französischen Revolution aus.

Atwood kann witzig und streng sein, manchmal sogar innerhalb desselben Satzes, aber hinter all ihren Werken steht eine tiefe moralische Ernsthaftigkeit. Sie unterstützt viele gute Zwecke, junge Schriftsteller:innen und Umweltprojekte. Sie fährt immer noch jedes Jahr zum Polarkreis und jedes Frühjahr zur Vogelwanderung auf die Eriesee-Insel Pelee Island im kanadischen Bundestaat Ontario. Irgendwie hat sie auch die Zeit gefunden, einige der besten Bücher der letzten 50 Jahre zu schreiben: Gedichte, Dystopien, historische Romane, spekulative Fiktion, eine Graphic Novel, unzählige Essays und schließlich ihre Memoiren.

Die Autorin würde dieses Inventar ihrer Leistungen entschieden ablehnen – schließlich ist sie Kanadierin. Aber es ist nur natürlich, dass einige andere große........

© der Freitag