„Von Green Berlin bis raus in die Welt / Wir sind jung und verrauchen das Geld“: Mit diesen Zeilen tauchte 2006 der Charakter Marsimoto erstmals auf und machte seiner Zuhörerschaft klar – seine große Liebe, die heißt Mary Jane, Marihuana.

Das Alien mit grüner Maske hat der gebürtige Rostocker Rapper Marteria (bürgerlich Marten Laciny) erschaffen, wobei die Idee nicht neu war: Es gibt im Rap viele bekannte Alter Egos, etwa Eminems Slim Shady oder hierzulande K.I.Z, die sich mit den Schwarzwälder Kirschtorten und dem Verbalen Style Kollektiv gleich mehrere Decknamen verpasst haben.

Imagewechsel, andere Perspektiven, bösere oder nettere Texte – all das sind Gründe, sich ein Alter Ego zuzulegen, in eine neue, frische Haut zu schlüpfen. Für Marteria hat sich Marsimoto als Glücksgriff erwiesen: Anders als bei dem sehr im Mainstream angekommenen Künstler hat sich Marsimoto durch sein Stoner-Image viel Platz für verquere Gedanken oder Wortspiele geschaffen. Sprich: Er darf mehr als sein Erschaffer.

Man denke nur an „Eine kleine Bühne“, wo sich der Marsianer ein Herz nimmt und die Gefühle der kleineren Konzertbühnen, die von den großen Bands verschmäht werden, beleuchtet. Aber auch der Song „LMS“, der sich um eine wohnungslose Frau dreht, hat aus Marsimotos Mund kaum Pathos. Gleichzeitig besitzt die Kunstfigur die Coolness des Undergrounds: Nicht jeder kennt ihn; aber wer ihn kennt, der liebt ihn. „Für immer“, wie ein Fan unter dem YouTube-Video von „Heile Welt“ kommentiert.

18.04.2024

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Der Song war einer der Vorboten des sechsten und letzten Albums des bekifften Marsianers. Wir sprechen mit Marteria, der sich mittlerweile seine Zeit zwischen Ostsee und Berlin aufteilt, über das von Marsimoto beschriebene „Green Berlin“, ein mögliches Comeback, seine Lust auf andere Länder und den Widerspruch, umweltbewusst zu sein und trotzdem aus dem Koffer zu leben.

Marteria, was hat Sie vor fast 20 Jahren dazu bewegt, sich ein Alter Ego wie Marsimoto zuzulegen – einen ständig breiten Marsianer mit Maske?

Er wollte Musik machen, die nicht so durchkonzeptioniert ist. Pop folgt einem bestimmten Regelwerk, etwa hinsichtlich der Länge oder wann die Hook kommen muss, damit sich kommerzieller Erfolg einstellt. Marsimotos Songs sind frei und impulsiv; sie können am ehesten mit Jazz verglichen werden. Er ist schließlich ein Alien, das auf der Erde landet und den Planeten anders unter die Lupe nimmt als wir Menschen. Er denkt anders als Marteria. Gerade der Verzicht auf die ganzen Vorgaben gibt seiner Musik Energie. Eine Regel existiert bei Marsimoto aber doch: Es darf niemals ein Satz weggestrichen werden. Wenn das Lied da ist, dann ist es da. Keine Zensur.

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Die Kunstfigur mit der Helium-Stimme ist von Quasimoto inspiriert – dem aus den 90ern stammenden Alter Ego des kalifornischen Rappers Madlib. Der wollte ein Pendant zu seiner Barry-White-Stimme schaffen und pitchte sie für Quasimoto hoch. Hatten Sie als Marteria je Bedenken wegen Ihrer dunklen Stimmfarbe?

Ich hatte schon ein bisschen Selbstzweifel wegen meiner tiefen Stimme. Nicht dass man das falsch versteht: Ich finde tiefe Stimmen extrem gut, wie das Aussehen oder die Größe hat man einfach die Stimme, die man hat. Allerdings habe ich in den frühen 2000ern bei Berliner Rappern wie Sido oder dem amerikanischen Rapper Eminem gesehen, wie viel Power sie durch ihre hellere Stimmfarbe hatten. Ich hatte das Gefühl, nur so kann man in Rap-Songs besser punchen. Wer mit einer tieferen Stimme gesegnet war, dessen Texte und Vibe mussten schon besonders gut sein. Heute ist das meiner Meinung nach kein Thema mehr.

Wenn ich gestresst am Schlesischen Tor in Berlin-Kreuzberg im Stau stehe, höre ich mit großer Wahrscheinlichkeit keinen aufgekratzten Marsimoto-Song.

Marsimoto hat sich übrigens immer wohlgefühlt in der Welt der Stimmen im Angriffs-Modus. Wenn ich gestresst am Schlesischen Tor in Berlin-Kreuzberg im Stau stehe, höre ich mit großer Wahrscheinlichkeit keinen aufgekratzten Marsimoto-Song.

Die Legalisierung von Gras in Deutschland spielt auch eine Rolle für seine Abreise von Mutter Erde. Auf dem Track „Illegalize it“ hat sich der Dauerstoner klar gegen eine solche Gesetzesänderung ausgesprochen.

Das stimmt, dadurch, dass Kiffen jetzt legal ist, braucht es Marsimoto nicht mehr. Dieses Alter Ego ist anarchisch, wenn er jetzt aber nicht mehr gegen Gesetze angehen muss, ist irgendwie auch alles erreicht und egal (lacht). Mir wird Marsi sehr fehlen, weil diese Kunstform mir viel Freiheit gegeben hat. Seine Musik und „Green Berlin“ werden bleiben.

Was bitte ist „Green Berlin“?

„Green Berlin“ ist ein Stadtteil im Stadtteil, der auf keiner Karte eingezeichnet ist. Zu finden rund um die Falckensteinstraße in Kreuzberg, wo wir früher rumgehangen haben. Mit „Green Berlin“ wurde zu Beginn sehr stark ein Kiffer-Movement beschrieben. Da haben sich Menschen zusammengeschlossen, die zum ersten Mal nach Berlin gekommen sind, hier ihren ersten Joint geraucht und in die Clubs gegangen sind. Das ist heute nichts Besonderes mehr. Früher schon, da war es aber auch in vielen anderen Städten noch viel spießiger. Berlin war da ein Vorreiter im Credo: „Lebe, wie du möchtest“. Die Farbe Grün und das M auf der Kleidung sind dazu das Erkennungszeichen für Marsimoto-Fans. Mittlerweile ist „Green Berlin“ ein Label, über das ich mit meiner Crew 2020 eine limitierte Mode-Kollektion mit recyceltem Polyester aus Ozean-Plastik-Müll herausgebracht habe. Wir hatten auch mal Pflanzensamen in den Etiketten der Kleidungsstücke versteckt. Wer weiß, vielleicht blüht jetzt davon ein Holunderbaum im Görlitzer Park.

Auf dem Song „Heile Welt“ bekommen wir von Marsimoto erzählt, was in 1000 Jahren passieren wird. Menschen gibt es nicht mehr, es herrschen 60 Grad …

Wer den Song zum ersten Mal hört, hält das bestimmt für einen sehr düsteren Blick in die Zukunft. Ich sehe das aber nicht so. Der Fehler liegt darin, dass der Mensch nur an sich denkt und die Zusammenhänge mit allen Kreaturen auf dieser Welt außer Acht lässt. Wir werden als Menschen die Natur einfach immer weiter kaputt machen; ich finde deshalb den Gedanken, dass sich die Natur alles zurückholt, sehr schön. Vielleicht läuft irgendwann auch ein Tiger durch den U-Bahnhof Zoologischer Garten.

Für diese Sichtweise muss man sein Ego zurückstellen.

Ja, darum geht es in der Musik von Marsimoto. Er setzt sich für die Ausgestoßenen ein und blickt dabei nicht nur auf die Menschenwelt. So beschreibt er in dem Song „Chicken Terror“ auf dem „Verde“-Album die Zustände in der Massentierhaltung, aber nicht als Beobachter, sondern als Huhn. Es geht in seiner Musik darum, die Welt aus anderen Augen zu sehen, und ob da alles Sinn ergibt, ist in der Hinsicht nicht wichtig. Ich als Marten esse auch Fleisch und will niemanden zum Vegetarier umerziehen, aber mir geht es darum, von purem Konsum einen Schritt zurück zu machen und mehr Bewusstsein zu schaffen für das, was auf dem Teller landet. Vielleicht ist es irgendwann so weit und wir essen alle kein Fleisch mehr, wer weiß.

Das neue Album beschäftigt sich auch mit Selbstdarstellungswahn auf Social Media und dem Rückgang echter Kommunikation. Interessant, dass ein Alien uns zu mehr Face-to-Face-Gesprächen ermutigt.

Das stimmt. Marsimotos Songs sind aber keine Zeigefingermusik. Er freut sich beispielsweise in dem satirischen Song „Washington PC“ tatsächlich über die täglichen Avocados, egal, woher die jetzt eingeflogen worden sind.

Welcher Widerspruch, den Sie leben, fällt Ihnen persönlich denn häufig auf die Füße?

Ich liebe fliegen, für mich ist das die geilste Erfindung der Menschheit. Das bringt mir aber immer wieder scharfe Kritik ein. Gerade als Junge der ehemaligen DDR habe ich dieses Reiselust-Gen in mir. Und ich habe auch schon als Kind mit Modellflugzeugen gespielt. Fliegen verbindet die Kulturen und die Menschen. Diejenigen zumindest, die es sich leisten können. Natürlich ist mir bewusst, dass es für die Umwelt sehr schädlich ist, und ich wünsche mir, dass ein neuer Treibstoff erfunden wird. Ich konnte wiederum nur per Flieger in den Regenwald nach Peru fliegen, wo ich mit der Organisation „Plant for Future“ den Dokumentarfilm „Der Amazonas Job“ gedreht habe. Darin geht es um die Rettung eines Waldstücks, in dem ein lange als ausgestorben geglaubter Frosch lebt. Durch Spenden ist dieses Projekt geglückt.

Können Sie sich ein Comeback von Marsimoto vorstellen?

Natürlich kann sich Marsi ein Ufo bauen und wiederkommen. Dafür müsste aber schon was ganz Verrücktes auf der Welt passieren. Ich glaube, der Job ist erledigt. Jetzt muss ein anderer übernehmen.

Marsimotos neues Album „Keine Intelligenz“ erscheint am 20. April 2024. Im November startet Die letzte Tour“, die neben Deutschland auch Station in Amsterdam, Wien, Prag und Zürich macht. Der Abschluss der Tour findet im Berlin Velodrom, auch UFO genannt, am 14. Dezember statt.

QOSHE - Rapper Marteria: „Als Junge der DDR habe ich die Reiselust in mir“ - Yuki Schubert
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Rapper Marteria: „Als Junge der DDR habe ich die Reiselust in mir“

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20.04.2024

„Von Green Berlin bis raus in die Welt / Wir sind jung und verrauchen das Geld“: Mit diesen Zeilen tauchte 2006 der Charakter Marsimoto erstmals auf und machte seiner Zuhörerschaft klar – seine große Liebe, die heißt Mary Jane, Marihuana.

Das Alien mit grüner Maske hat der gebürtige Rostocker Rapper Marteria (bürgerlich Marten Laciny) erschaffen, wobei die Idee nicht neu war: Es gibt im Rap viele bekannte Alter Egos, etwa Eminems Slim Shady oder hierzulande K.I.Z, die sich mit den Schwarzwälder Kirschtorten und dem Verbalen Style Kollektiv gleich mehrere Decknamen verpasst haben.

Imagewechsel, andere Perspektiven, bösere oder nettere Texte – all das sind Gründe, sich ein Alter Ego zuzulegen, in eine neue, frische Haut zu schlüpfen. Für Marteria hat sich Marsimoto als Glücksgriff erwiesen: Anders als bei dem sehr im Mainstream angekommenen Künstler hat sich Marsimoto durch sein Stoner-Image viel Platz für verquere Gedanken oder Wortspiele geschaffen. Sprich: Er darf mehr als sein Erschaffer.

Man denke nur an „Eine kleine Bühne“, wo sich der Marsianer ein Herz nimmt und die Gefühle der kleineren Konzertbühnen, die von den großen Bands verschmäht werden, beleuchtet. Aber auch der Song „LMS“, der sich um eine wohnungslose Frau dreht, hat aus Marsimotos Mund kaum Pathos. Gleichzeitig besitzt die Kunstfigur die Coolness des Undergrounds: Nicht jeder kennt ihn; aber wer ihn kennt, der liebt ihn. „Für immer“, wie ein Fan unter dem YouTube-Video von „Heile Welt“ kommentiert.

18.04.2024

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Der Song war einer der Vorboten des sechsten und letzten Albums des bekifften Marsianers. Wir sprechen mit Marteria, der sich mittlerweile seine Zeit zwischen Ostsee und Berlin aufteilt, über das von Marsimoto beschriebene „Green Berlin“, ein mögliches Comeback, seine Lust auf andere Länder und den Widerspruch, umweltbewusst zu sein und trotzdem aus dem Koffer zu leben.

Marteria, was hat Sie vor fast 20 Jahren dazu bewegt, sich ein Alter Ego wie Marsimoto zuzulegen – einen ständig breiten Marsianer mit Maske?

Er wollte Musik machen, die nicht so durchkonzeptioniert ist. Pop folgt einem bestimmten Regelwerk, etwa hinsichtlich der Länge oder wann die Hook kommen muss, damit sich kommerzieller Erfolg einstellt. Marsimotos Songs sind frei und........

© Berliner Zeitung


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