Lautes Schnaufen, immer wieder schlägt der Martial-Arts-Kämpfer Octavio (Emilio Sakraya) mit Armen und Beinen gegen die ledernen Pratzen seiner Sparringpartnerin Cosima (Marie Mouroum), die ihn auffordert, sich nicht zu sehr auszupowern, schließlich müsse der junge Mann noch in das Oktagon.

So beginnt der neue Action-Film „60 Minuten“ des Regisseurs Oliver Kienle, der das Drehbuch für die Erfolgsserie „Bad Banks“ geschrieben hat. Der Druck steigt für Octavio: Als er seine Handbandagen anlegt, erfährt der junge Vater, dass er in einer Stunde bei seiner Ex-Partnerin und der gemeinsamen Tochter sein muss. Sollte er Leonies Geburtstag verpassen, riskiert er das Sorgerecht – so die irrwitzige Ausgangslage. Ganz schön viel Gerede vor einem Kampf, der doch Konzentration benötigt.

Schuld daran sind Octavios Smart-Watch und Ear-Pods. Der Mittzwanziger mit eiserner Mimik nimmt sein Schicksal hin und rennt los. Nicht aber wie bei „Lola rennt“ mehrere Straßen entlang, sondern direkt ins nächste Uber. Ist schließlich nicht mehr 1998. Auf der Rückbank sitzend, sieht Octavio durch das Seitenfenster Schlägertrupps auf sich zukommen, und die bleiben ihm auf seinem Weg von Wedding nach Neukölln auf den Fersen. Dazu hat Octavio immer wieder seinen Manager und Freund Paul (Dennis Mojen) im Ohr, der nicht müde wird, über Geldprobleme zu lamentieren.

•vor 1 Std.

•vor 1 Std.

•vor 7 Std.

•gestern

•vor 7 Std.

Wenn der Kampfsportler in Prenzlauer Berg über stehende Kinderwägen stolpert und in Mitte in einem Café mit englischsprachigem Personal und Betonsteinpaletten als Theke einen Geburtstagskuchen abholt, dann wiegen die Berlin-Klischees nicht so schwer. Warum? Weil die Actionszenen, die mit Missy-Elliot-Remix und House unterlegt sind, bestens unterhalten. Ganz in John-Wick-Manier drischt Octavio nicht auf seine Gegner ein, sondern setzt seine MMA-Kampfkunst samt harter Jabs, Highkicks und Chokes gekonnt ein. Dabei springt er nach gegnerischen Treffern auch nicht gleich auf, sondern seinem Körper ist die Tortur anzusehen.

Die Story weiß zu fesseln: So wird Octavios Fortschritt auf einer eingeblendeten Karte getrackt. Damit werden die Erfolge der Hauptfigur auch zu denen des Publikums. Gleichzeitig rennt der junge Mann um sein Leben, ist aber stets telefonisch verfügbar – das zeigt die Bredouille des modernen Menschen. Obendrein sind die U-Bahn-Fahrt, bei der Octavio angekettet an einen Stuhl einsteigen muss, und sein Sprung auf den nächsten Leihroller in Kreuzberg nach einem Club-Kampf bei Stroboskop-Beleuchtung sehr einprägsam. Diese Szenen setzen witzige Pointen. Und ein berührender Moment zwischen Octavio und seinem Ziehvater schafft es, der Hetzjagd etwas Tiefe zu geben.

Dennis Mojen: „Gehste nach Kreuzberg, kriegste auf die Fresse!“

03.01.2024

Fatih Akin schafft mit „Rheingold“ ein Rapper-Epos

27.10.2022

Doch leider sind das nur einzelne Lichtblicke. Der Film kann seine Probleme nicht kaschieren: Die Dialoge sind eine Zumutung. Als es zu einem Showdown zwischen Ocatvio und Paul kommt, verzeiht der MMA-Fighter seinem besten Freund einen Vertrauensbruch, dieser entgegnet: „Ok, cool.“ Keine Emotion und Oberflächlichkeit sind die Essenz einer Männerfreundschaft? Genauso veraltet und leidig ist die Tatsache, dass Cosima als Einzige nach einer angemessenen Bezahlung fragen muss.

Als es letztlich zu einem großen Kampf mit allen Endgegnern für Octavio kommt, tappt leider auch „60 Minuten“ in die Falle und macht aus seinen Protagonisten Übermenschen. Es ist bezeichnend, dass eine Katze nötig ist, um stärkere Gefühle im Film zu erzeugen. Der 89-minütige Netflix-Film hätte seinem Titel bei der Laufzeit ruhig folgen können.

60 Minuten. Spielfilm, 89 Minuten, ab 19. Januar auf Netflix.

QOSHE - High-Kicks im Strobo-Licht: Emilio Sakraya hetzt im Netflix-Film „60 Minuten“ durch Berlin - Yuki Schubert
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

High-Kicks im Strobo-Licht: Emilio Sakraya hetzt im Netflix-Film „60 Minuten“ durch Berlin

8 0
19.01.2024

Lautes Schnaufen, immer wieder schlägt der Martial-Arts-Kämpfer Octavio (Emilio Sakraya) mit Armen und Beinen gegen die ledernen Pratzen seiner Sparringpartnerin Cosima (Marie Mouroum), die ihn auffordert, sich nicht zu sehr auszupowern, schließlich müsse der junge Mann noch in das Oktagon.

So beginnt der neue Action-Film „60 Minuten“ des Regisseurs Oliver Kienle, der das Drehbuch für die Erfolgsserie „Bad Banks“ geschrieben hat. Der Druck steigt für Octavio: Als er seine Handbandagen anlegt, erfährt der junge Vater, dass er in einer Stunde bei seiner Ex-Partnerin und der gemeinsamen Tochter sein muss. Sollte er Leonies Geburtstag verpassen, riskiert er das Sorgerecht – so die irrwitzige Ausgangslage. Ganz schön viel Gerede vor einem Kampf, der doch Konzentration benötigt.

Schuld daran sind Octavios Smart-Watch und Ear-Pods. Der Mittzwanziger mit eiserner Mimik nimmt sein Schicksal hin und rennt los. Nicht aber wie bei........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play