Forscher der Berliner Charité suchen nach den Ursachen für neurologische Symptome im Zusammenhang mit Covid-19. Diese können während und nach einer Corona-Erkrankung auftreten.

Dazu gehören krankhafte Erschöpfung, auch Fatigue genannt, und Gedächtnisprobleme („brain fog“). Betroffene können sich nicht konzentrieren, leiden unter Wortfindungs- und Sprachstörungen. Dies sind zum Beispiel Symptome des Long-Covid-Syndroms, an dem nach Covid-19 viele Menschen erkrankten.

Wird das Gehirn direkt von Sars-CoV-2-Viren angegriffen oder wirken sich andere Prozesse aufs Gehirn aus, zum Beispiel die Immunreaktion, mit der sich der Körper gegen das Virus wehrt? So lautet die Frage, der die Charité-Forscher in einer Studie nachgegangen sind. Diese ist gerade im Fachmagazin Nature Neuroscience erschienen.

Charité-Projekt soll Grundschüler vor Nikotinsucht schützen

17.01.2024

Menopause: Wie ein einfacher Handgriff gegen Hitzewallungen helfen kann

20.02.2024

Um den Ursachen auf die Spur zu kommen, untersuchten die Charité-Forscher die Gehirne von 21 Menschen, die aufgrund einer schweren Corona-Infektion im Krankenhaus verstorben waren. Zum Vergleich zogen sie neun Patienten heran, die nach intensivmedizinischer Behandlung anderen Erkrankungen erlagen. Voraussetzung war die explizite Einwilligung der Patienten oder ihrer Angehörigen, „für die sich die Forschungsgruppe ausdrücklich bedankt“.

Wie die Charité-Forscherin und Fachärztin für Neuropathologie Helena Radbruch gegenüber der Berliner Zeitung erklärt, gebe es am Institut für Neuropathologie eine Biobank. Hier könnten sich Menschen bei Lebzeiten dazu entscheiden, nach dem Tode ihr Gehirn und weitere Organe für die Forschung zu spenden. Bei den Covid-Patienten aus der Studie sei es aufgrund der Pandemiesituation etwas anders gewesen. Hier hätten Patienten oder deren Angehörige im Behandlungsvertrag einer Sektion zugestimmt. Dort werde erklärt, dass eine klinische Sektion „der Qualitätskontrolle und Überprüfung ärztlichen Handelns im Krankenhaus im Hinblick auf Diagnose, Therapie und Todesursache dient sowie der Lehre und der medizinischen Forschung“, sagt Radbruch.

20.02.2024

•gestern

•gestern

•gestern

20.02.2024

Zunächst prüften die Charité-Forscher, ob das Gewebe in verschiedenen Bereichen des Gehirns sichtbare Veränderungen aufwies. Sie suchten nach Hinweisen auf das Coronavirus. Schließlich analysierten sie detailliert Gene und Proteine, um zu ermitteln, welche Vorgänge in einzelnen Zellen stattgefunden hatten.

Die Arbeit entstand im Rahmen des Nationalen Obduktionsnetzwerks (Naton), Teil des Netzwerks Universitätsmedizin, das von der Charité koordiniert wird. In ihm wirken die 36 Universitätsklinika in Deutschland zusammen. Dies soll die Pandemie-Forschung und die Patientenversorgung verbessern.

In einigen Fällen konnte bei der Untersuchung das Erbgut des Coronavirus im Gehirn nachgewiesen werden. „Sars-CoV-2-infizierte Nervenzellen haben wir jedoch nicht gefunden“, sagt Helena Radbruch. Wie die Neuropathologin erklärt, hätten wahrscheinlich Immunzellen das Virus im Körper aufgenommen und seien dann ins Gehirn gewandert, wobei aber keine Gehirnzellen infiziert wurden. „Das Coronavirus hat also andere Zellen des Körpers, nicht aber das Gehirn befallen“, schlussfolgert Radbruch. Sie leitet am Institut für Neuropathologie die Arbeitsgruppe Chronische Neuroinflammation. Es gebe keine eindeutigen Belege dafür, dass das Coronavirus im Gehirn überdauern oder sich gar vermehren könne.

Angriff auf den eigenen Körper: Vor allem Frauen leiden an Autoimmunkrankheiten

gestern

Experiment an der Charité: Der Trip gegen die Depression

28.03.2021

Stattdessen untermauert die Charité-Studie die These, dass die neurologischen Symptome eine Folge der Immunreaktion des Körpers gegen das Coronavirus sind. Dies lässt sich anhand molekularer Vorgänge in den Zellen nachvollziehen. Zum Beispiel hätten manche Zellen den sogenannten Interferon-Signalweg hochgefahren, erklären die Forscher. So etwas passiert etwa im Zuge einer viralen Infektion. Interferone werden von Zellen produziert, um die körpereigene Abwehr zu aktivieren.

„Einige Nervenzellen reagieren offenbar auf die Entzündung im Rest des Körpers“, sagt Christian Conrad, Professor am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und Leiter der Arbeitsgruppe Intelligent Imaging. Er hat zusammen mit Helena Radbruch die Studie geleitet. Die neurologischen Beschwerden im Rahmen einer Covid-19-Erkrankung ließen sich durch die molekularen Vorgänge gut erklären, so die Forscher.

Zum Beispiel könnten Botenstoffe, die von reaktiven Nervenzellen im Hirnstamm ausgeschüttet werden, Fatigue verursachen, also krankhafte Erschöpfung. Im Hirnstamm lägen nämlich Zellgruppen, die Antrieb, Motivation und Stimmungslage steuern. Vor allem seien die sogenannten Kerne des Vagusnervs betroffen, der dem Gehirn entspringt und sich bis in Organe wie Lunge, Herz und Darm fortsetzt. Er ist für die Steuerung wichtiger Körperfunktionen verantwortlich.

TV-Pathologe Michael Tsokos verlässt Berliner Charité

01.02.2024

Menopause: Wie ein einfacher Handgriff gegen Hitzewallungen helfen kann

20.02.2024

Helena Radbruch erklärt – stark vereinfacht – die möglichen Vorgänge so: Obwohl das Hirngewebe selbst nicht vom Virus infiziert ist, „spürt“ der Vagusnerv die Entzündungsreaktion in unterschiedlichen Organen des Körpers und reagiert darauf im Hirnstamm. „Auf diese Weise überträgt sich die Entzündung gewissermaßen aus dem Körper ins Gehirn, was dessen Funktion stören kann.“

Als zweites Muster stellten die Forscher eine „diffuse“ Reaktion des gesamten Hirnstamms fest – als Folge der Ausbreitung der Infektion „über die gesamte Gefäßeinheit“, wie das Team in seiner Studie schreibt. Aber auch nach Covid-19 könnten im Zentralnervensystem lokale Immunreaktionen vorherrschen, die möglicherweise zu den neurologischen Komplikationen beitragen.

In den allermeisten Fällen waren solche Reaktionen nur vorübergehend, wie die Forscher sagen. Während der akuten Erkrankung waren sie am stärksten ausgeprägt. Danach gingen die molekularen Veränderungen meist zurück. „Wir halten es für möglich, dass eine Chronifizierung der Entzündung bei manchen Menschen für die oft beobachteten neurologischen Symptome bei Long Covid verantwortlich sein könnte“, sagt Christian Conrad. Das Forschungsteam plant nun, dies genauer zu untersuchen. So sollen die „molekularen Signaturen“ im Hirnwasser von Long-Covid-Patienten analysiert werden.

QOSHE - Wie sich Corona aufs Gehirn auswirkt: Eine neue Studie der Charité Berlin - Torsten Harmsen
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Wie sich Corona aufs Gehirn auswirkt: Eine neue Studie der Charité Berlin

5 6
22.02.2024

Forscher der Berliner Charité suchen nach den Ursachen für neurologische Symptome im Zusammenhang mit Covid-19. Diese können während und nach einer Corona-Erkrankung auftreten.

Dazu gehören krankhafte Erschöpfung, auch Fatigue genannt, und Gedächtnisprobleme („brain fog“). Betroffene können sich nicht konzentrieren, leiden unter Wortfindungs- und Sprachstörungen. Dies sind zum Beispiel Symptome des Long-Covid-Syndroms, an dem nach Covid-19 viele Menschen erkrankten.

Wird das Gehirn direkt von Sars-CoV-2-Viren angegriffen oder wirken sich andere Prozesse aufs Gehirn aus, zum Beispiel die Immunreaktion, mit der sich der Körper gegen das Virus wehrt? So lautet die Frage, der die Charité-Forscher in einer Studie nachgegangen sind. Diese ist gerade im Fachmagazin Nature Neuroscience erschienen.

Charité-Projekt soll Grundschüler vor Nikotinsucht schützen

17.01.2024

Menopause: Wie ein einfacher Handgriff gegen Hitzewallungen helfen kann

20.02.2024

Um den Ursachen auf die Spur zu kommen, untersuchten die Charité-Forscher die Gehirne von 21 Menschen, die aufgrund einer schweren Corona-Infektion im Krankenhaus verstorben waren. Zum Vergleich zogen sie neun Patienten heran, die nach intensivmedizinischer Behandlung anderen Erkrankungen erlagen. Voraussetzung war die explizite Einwilligung der Patienten oder ihrer Angehörigen, „für die sich die Forschungsgruppe ausdrücklich bedankt“.

Wie die Charité-Forscherin und Fachärztin für Neuropathologie Helena Radbruch gegenüber der Berliner Zeitung erklärt, gebe es am Institut für Neuropathologie eine Biobank. Hier könnten........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play