In ein paar Tagen ist Internationaler Frauentag. Daran wird man erinnert, wenn man liest, dass Frauen von einigen Dingen besonders häufig betroffen sind. Zum Beispiel von Long Covid. Unter ganz bestimmten Langzeitfolgen von Covid-19 leiden sehr oft 18- bis 45-jährige Frauen. Davon haben jüngst bayerische Mediziner berichtet, aufgrund von Untersuchungen bis 2023. Das reicht in vielen Fällen bis zur völligen Arbeitsunfähigkeit und Bettlägerigkeit, die bis heute besteht.

Frauen sind mit einem Anteil von fast 80 Prozent auch weitaus häufiger als Männer von Autoimmunkrankheiten betroffen, wie die Berliner Zeitung neulich berichtete, also von Krankheiten wie Rheuma, Hashimoto, Lupus und Multiple Sklerose. Und wenn man sich Dokumentationen über das Post-Vac-Syndrom ansieht, also über Gesundheitsprobleme nach der Impfung, dann sieht man ebenfalls überwiegend Frauen in jüngeren Jahren.

Mediziner reagieren verschieden auf solche Erscheinungen. So mancher behauptet, alles sei „nur psychisch“, weil eben auch Diagnosen wie Depression und Angststörung vorkommen. Andere sind dabei, die Ursachen für Long Covid und Post-Vac intensiv zu erforschen, zum Beispiel an Kliniken in Berlin und Marburg. Dabei gibt es bereits Verdachtsmomente, warum es besonders häufig Frauen trifft.

Und zwar genau deshalb, weil sie Frauen sind. Diesen Verdacht hat erst Anfang Februar eine Studie erhärtet. Dieser zufolge sorgt bereits das zweite X-Chromosom (das Männer nicht haben, dafür ein Y-Chromosom) in Zellen dafür, dass Frauen anfälliger sind für Autoimmunkrankheiten, dass sich das Immunsystem also gegen den Körper selbst richten kann. Hinzu kommen die Wirkung der Sexualhormone und anderes.

06.03.2024

06.03.2024

•vor 6 Std.

•gestern

•heute

Für die Diskussion bedeutet das, dass Frauen in der Medizin ganz besonders Beachtung finden müssen, und zwar eben als Frauen. Die Geschlechterdebatte mag ansonsten recht vielfältig sein. Aber in der Medizin ist das Geschlecht eben weniger eine soziale Konstruktion. Auch Begriffe wie „divers“ und „Transgender“ spielen hier eine untergeordnete Rolle. Nicht das soziale Geschlecht (englisch: „Gender“) steht im Mittelpunkt, sondern das biologische (englisch: „Sex“).

Das zweite X-Chromosom bei Frauen kann man nämlich nicht wegdiskutieren. Ebenso nicht die Geschlechtshormone. „Frauen leiden anders“ – dies ist nicht nur psychisch oder sozial gemeint, sondern rein körperlich. Und das muss auch Folgen für die Medizin haben, die das lange nicht ernst genommen hat.

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Genau hier kommt man dann doch wieder auf die soziale Seite der Geschlechterdebatte zurück, also auf „Gender“. Denn die Medizin wurde in Hunderten von Jahren nahezu vollständig von Männern geprägt, zumindest, was die ärztlichen Kenntnisse und Regeln der Schulmedizin betrifft. Frauen spielten zwar eine große Rolle bei der Behandlung von Kranken. Ohne sie lief nichts. Aber, was medizinische Inhalte betrifft, waren Männer der Maßstab. Sie prägten mit ihrer Sicht Forschung und Therapie. Das wirkt sich bis heute aus.

Viele Krankheiten treffen natürlich Frauen und Männer gleichermaßen. Aber zum Beispiel zeigen sich Herzinfarkte bei Frauen mit anderen Symptomen. Frauen haben ein etwas anderes Schmerzempfinden. Sie leiden häufiger an Darmerkrankungen, an Schilddrüsenproblemen und sind nach den Wechseljahren stärker gefährdet, an Osteoporose zu erkranken.

Manche Medikamente – etwa Herzmittel, Betablocker, Antidepressiva, Blutdruck- und Blutzuckersenker – wirken bei Frauen anders als bei Männern, weil Fett und Muskeln anders verteilt sind, weil Stoffwechsel, Hormone, Leberenzyme und Immunsystem anders funktionieren. So kam es bei der Behandlung mit Dosen, die für Männer berechnet waren, sogar zu tödlichen Überdosierungen. Frauen sind auch generell häufiger von Nebenwirkungen betroffen. Erst seit jüngerer Zeit werden Frauen bei Studien stärker einbezogen, werden überhaupt Geschlechterunterschiede untersucht. Man versucht Wissenslücken zu schließen.

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Es ist also eine doppelte Geschlechterdebatte: eine aus biologisch-medizinischer Sicht und eine zur Herstellung von Gleichberechtigung auch bei der Diagnose und Therapie. Es gibt zum Beispiel Mediziner, die meinen, den von Long Covid Betroffenen würde vor allem eine Psychotherapie helfen, weil keine organischen Ursachen zu finden seien. So, als litten zum Beispiel Tausende Frauen an einer Art „Hysterie“.

Hier werden Forschungsergebnisse einfach negiert, zum Beispiel die zu den Ursachen dafür, dass das Immunsystem von Frauen stärker zu Überreaktionen neigt. Nein, es braucht sicher eine ganzheitliche Behandlung, bei der Körper und Psyche gleichermaßen im Mittelpunkt stehen. Und in der Einheit des Ganzen geht es dann auch wieder um „Gender“.

Denn in den Praxen und Kliniken spielt es ja auch eine Rolle, wie die Geschlechter miteinander kommunizieren. Es gibt auch einen unterschiedlichen Umgang mit Krankheiten. Und wie reagiert man zum Beispiel, wenn jemand zwei X-Chromosomen hat, sich aber als Mann sieht? Vom biologischen Geschlecht her muss man ihn als Frau, aus „Gender“-Sicht als Mann behandeln. Ein sehr komplexes Thema für den bevorstehenden Frauentag.

QOSHE - Frauen leiden anders: Die Rolle des Weiblichen bei Long Covid und Post-Vac - Torsten Harmsen
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Frauen leiden anders: Die Rolle des Weiblichen bei Long Covid und Post-Vac

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08.03.2024

In ein paar Tagen ist Internationaler Frauentag. Daran wird man erinnert, wenn man liest, dass Frauen von einigen Dingen besonders häufig betroffen sind. Zum Beispiel von Long Covid. Unter ganz bestimmten Langzeitfolgen von Covid-19 leiden sehr oft 18- bis 45-jährige Frauen. Davon haben jüngst bayerische Mediziner berichtet, aufgrund von Untersuchungen bis 2023. Das reicht in vielen Fällen bis zur völligen Arbeitsunfähigkeit und Bettlägerigkeit, die bis heute besteht.

Frauen sind mit einem Anteil von fast 80 Prozent auch weitaus häufiger als Männer von Autoimmunkrankheiten betroffen, wie die Berliner Zeitung neulich berichtete, also von Krankheiten wie Rheuma, Hashimoto, Lupus und Multiple Sklerose. Und wenn man sich Dokumentationen über das Post-Vac-Syndrom ansieht, also über Gesundheitsprobleme nach der Impfung, dann sieht man ebenfalls überwiegend Frauen in jüngeren Jahren.

Mediziner reagieren verschieden auf solche Erscheinungen. So mancher behauptet, alles sei „nur psychisch“, weil eben auch Diagnosen wie Depression und Angststörung vorkommen. Andere sind dabei, die Ursachen für Long Covid und Post-Vac intensiv zu erforschen, zum Beispiel an Kliniken in Berlin und Marburg. Dabei gibt es bereits Verdachtsmomente, warum es besonders häufig Frauen trifft.

Und zwar genau deshalb, weil sie Frauen sind. Diesen Verdacht hat........

© Berliner Zeitung


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