„Fällt das Wörtchen ‚Narrativ‘, wird irgendwo ein Narr aktiv“, hat mein innerer Berliner neulich gereimt. Denn manche Begriffe hört man heute ständig. Neben dem allgegenwärtigen „Narrativ“ sind es auch Dinge wie: „Das triggert mich.“ – „Das geht gerade viral.“ – „Der Typ ist toxisch.“

Ist das Deutsch? Oder was ist das? Will man sich besonders wichtigmachen, wenn man „Narrativ“ sagt? Etwa, wenn jemand beim Bier in der Kneipe sagt: „Dit Narrativ von meen Leben ist, det ick immer jeghostet werde!“ „Ghosting“ bedeutet übrigens, dass jemand, mit dem man befreundet ist oder den man „datet“, plötzlich den Kontakt zu einem abbricht, ohne etwas zu erklären oder sich noch mal zu melden. Er verschwindet wie ein „Ghost“.

Dieser Jemand in der Kneipe hätte auch sagen können: „Weeßte, ick frage mir, warum in meen Leben imma alle vaschwinden. Dit is janz typisch bei mir. Jeht et dir ooch so?“ Aber nein, er hat irgendwann in einer gehobenen Talk-Runde das Wort „Narrativ“ gehört, und er findet es knorke. Es klingt so wichtig und gebildet.

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gestern

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Das Wort sei in den 1990er-Jahren von einem Historiker ins Deutsche eingeführt worden, las ich. Das englische „narrative“ bedeutet offenbar mehr als die deutsche Übersetzung „Erzählung“ oder „Geschichte“. Hier steckt auch eine Einordnung, eine Haltung drin. Es gibt zum Beispiel verschiedene „Narrative“ dazu, wie der Nahostkonflikt entstand, wie man ganz aktuell wieder sehen kann.

Erst haben die „Fülletonisten“ das Wort aufgegriffen, doch inzwischen ist es am Küchentisch gelandet und wird für jeden Schnurks gebraucht. Genau wie andere Begriffe, die aus dem Englischen kommen. Der Satiriker Max Goldt sprach einmal von „primitivem Übersetzungsanglizismus“.

Mittlerweile betrifft er sogar schon die Grammatik. „Was ein Frischekick!“, hörte ich neulich in einer Werbung. Man lässt das deutsche „für“ einfach weg, weil es offenbar werbemäßiger klingt. Auch „Das macht Sinn“ ist falsches Deutsch. Oder: „Du bist so was von nicht zu meiner Party eingeladen“ (von: „You are so not invited to my party“).

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Ich möchte auch mal wissen, welcher Austausch-Fuzzi es war, der aus irgendeinem Kaff in Nevada oder Oklahoma wiedergekommen ist und als Erster gesagt hat: „Damit bin ich fein.“ – „Hä, wat meinste?“, hat darauf jemand zurückgefragt, der nicht in Amiland war. Und damit er nicht hinterwäldlerisch wirkt, hat er es irgendwann übernommen. Und nach ihm viele andere. Zur Erklärung: „I’m fine with it“ heißt, dass man mit etwas klarkommt, einverstanden ist.

Es gibt unzählige weitere Beispiele, etwa: „Was ist falsch mit dir?“ („Whats wrong with you?“) statt: „Was stimmt nicht mit dir?“ Oder: „Ich fühl dich“ (I feel you) statt: „Ich kann das nachvollziehen.“ Oder: „Ich sehe deinen Punkt“ („I see your point“). Mancher wird sich an die Stirn fassen: „Wat, hab ick hier irjendwo eenen Punkt? Hat die kleene Mia-Marie mir wieder bemalt?“ Nein, es bedeutet: „Ich verstehe dein Argument.“ Was doch ein schöner, klarer Satz ist.

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Wird man nun künftig alles direkt aus dem Englischen übersetzen? Zum Beispiel: „Du bellst den falschen Baum an“ statt „Du bist auf dem Holzweg“. Oder: „Er ist ein Splitter vom alten Block“ statt „Er ist ganz der Vater“. Obwohl, das wäre vielleicht ganz lustig. Neue Sprüche können ja eine Sprache immer bereichern. Ansonsten zuckt der Berliner mit den Schultern und sagt: „Schief is Englisch und Englisch is modern!“ Und das ist schon ein altes Narrativ.

QOSHE - Deutsch im Wandel: Fällt das Wörtchen „Narrativ“, wird irgendwo ein Narr aktiv - Torsten Harmsen
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Deutsch im Wandel: Fällt das Wörtchen „Narrativ“, wird irgendwo ein Narr aktiv

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23.11.2023

„Fällt das Wörtchen ‚Narrativ‘, wird irgendwo ein Narr aktiv“, hat mein innerer Berliner neulich gereimt. Denn manche Begriffe hört man heute ständig. Neben dem allgegenwärtigen „Narrativ“ sind es auch Dinge wie: „Das triggert mich.“ – „Das geht gerade viral.“ – „Der Typ ist toxisch.“

Ist das Deutsch? Oder was ist das? Will man sich besonders wichtigmachen, wenn man „Narrativ“ sagt? Etwa, wenn jemand beim Bier in der Kneipe sagt: „Dit Narrativ von meen Leben ist, det ick immer jeghostet werde!“ „Ghosting“ bedeutet übrigens, dass jemand, mit dem man befreundet ist oder den man „datet“, plötzlich den Kontakt zu einem abbricht, ohne etwas zu erklären oder sich noch mal zu melden. Er verschwindet wie ein „Ghost“.

Dieser Jemand in der Kneipe hätte auch sagen können: „Weeßte, ick frage mir, warum in meen Leben imma alle vaschwinden. Dit is janz typisch bei mir. Jeht et dir ooch so?“ Aber nein, er hat irgendwann in einer gehobenen Talk-Runde das Wort „Narrativ“ gehört,........

© Berliner Zeitung


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