Wenn es draußen kalt ist und die Heizkörper in den Zimmern leise vor sich hin rauschen, vergisst man heute schnell, dass das Ofen-Zeitalter gar nicht so lange her ist. Das passt durchaus zu Weihnachten. Denn in der Backröhre des alten Kachelofens ließ so manche Oma früher die Bratäpfel brutzeln. Ich selbst habe viele Erinnerungen an die Ofen-Ära, die die Hälfte meines Lebens bestimmte. Sie sind recht widersprüchlich.

Vom Heizen muss man gar nicht reden. „Dit war ’ne richtije Wissenschaft“, sagt mein innerer Berliner. Viele Begriffe aus jener Zeit sind längst vergessen: „Kohlenschütte“, „Kohlenkasten“, „Feuerhaken“, „Ofenblech“, „Kohlenanzünder“, „Drosselklappe“, „Ascheeimer“. Vergessen ist auch, dass man rechtzeitig im Sommer Holz und Kohlen beim Kohlenhandel bestellen musste. Sonst konnte man gleich „uff’m Friedhof probeliejen“.

Meine Tante Friedel, die nicht weit von uns lebte, hatte in einem Jahr viel zu wenig bestellt. Es folgte der eisige, schneereiche Winter 1978/79. Friedel fror elendig und begann, ihr Regal zu zerhacken. Damit sie nicht die ganze Wohnungseinrichtung verheizte, beschlossen wir, sie aus unserem Keller zu versorgen. Also zog ich jede Woche den Schlitten zu ihr, beladen mit Holz und Kohlen.

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So gut wie vergessen ist, dass einst der Rauch aus Tausenden von Schornsteinen durch die Straßen wehte, den Schnee grau und braun färbte. Blöd war auch, dass die Öfen in der Nacht abkühlten. Früh lag man im kalten Zimmer, bis zur Nasenspitze zugedeckt, und traute sich nicht aus dem Bett. Und dann die gruseligen Geschichten über Wohnungsbrände und tödliche Kohlenmonoxid-Vergiftungen wegen fehlerhafter Öfen: „Abends jing die Familie noch fröhlich schlafen. Morjens lag se tot in ihre Betten.“

Aber es gibt auch gute Erinnerungen. Zum Beispiel, dass ich auf der Eisenplatte meines kleinen Kinderzimmerofens Spuckebläschen tanzen lassen konnte. Sie sprangen und spritzten lustig umher. Welchem Kind wird heute noch so etwas geboten? Schön war auch die sanfte Wärme des Wohnzimmerofens, an dessen glatte Kacheln man sich an kalten Abenden schmiegen konnte! Und dann die Versteckmöglichkeiten! Hinterm Ofen kauernd konnte ich bei meinem Opa abends heimlich fernsehen.

Das Ende der Ofen-Ära begann übrigens für mich mit einem Unglück. Nicht weit von meinem Opa lebten zwei alte Tanten. Wer sie in ihrem Haus von 1875 besuchte, musste sich bücken, so niedrig war die Wohnungstür. Der Herd in der Küche, „Kochmaschine“ genannt, wurde mit Holz und Kohlen beheizt. Doch es flog auch vieles andere ins Feuer. Ohne Zeitungen zum Anheizen wäre man in der Ofen-Ära ohnehin aufgeschmissen gewesen.

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Als die ältere der Tanten 80 Jahre alt wurde, kam ein Vertreter des Bürgermeisters und fragte, was sie sich wünsche. „Ach, ick würde ja so jerne in ’ne moderne Wohnung ziehen, wo ick nich mehr heizen und Kohlen schleppen muss“, sagte sie. Gesagt, getan. Die beiden zogen in ein neues, fernbeheiztes Quartier. Doch leider waren sie ihr Leben lang gewohnt, „schnell mal wat zu vabrenn“. Die eine Tante nutzte nun die Badewanne dafür.

Als sie eines Tages dort irgendwelches Zeug verbrannte, schoss die Flamme hoch, erfasste ihre Schürze. Sie erlitt so schwere Verbrennungen, dass sie es leider nicht überlebte. Man muss also sagen: Die Ofen-Ära war gefährlich. Aber auch ihr Ende forderte Opfer. Da gibt es nichts zu beschönigen. Also, Leute: Vorsicht mit offenem Feuer, vor allem auch zu Weihnachten!

QOSHE - Der Ofen ist aus! Rückblick auf gefährliche, gruselige, zugleich schöne Zeiten - Torsten Harmsen
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Der Ofen ist aus! Rückblick auf gefährliche, gruselige, zugleich schöne Zeiten

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21.12.2023

Wenn es draußen kalt ist und die Heizkörper in den Zimmern leise vor sich hin rauschen, vergisst man heute schnell, dass das Ofen-Zeitalter gar nicht so lange her ist. Das passt durchaus zu Weihnachten. Denn in der Backröhre des alten Kachelofens ließ so manche Oma früher die Bratäpfel brutzeln. Ich selbst habe viele Erinnerungen an die Ofen-Ära, die die Hälfte meines Lebens bestimmte. Sie sind recht widersprüchlich.

Vom Heizen muss man gar nicht reden. „Dit war ’ne richtije Wissenschaft“, sagt mein innerer Berliner. Viele Begriffe aus jener Zeit sind längst vergessen: „Kohlenschütte“, „Kohlenkasten“, „Feuerhaken“, „Ofenblech“, „Kohlenanzünder“, „Drosselklappe“, „Ascheeimer“. Vergessen ist auch, dass man rechtzeitig im Sommer Holz und Kohlen beim Kohlenhandel bestellen musste. Sonst konnte man gleich „uff’m Friedhof probeliejen“.

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© Berliner Zeitung


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