Der Sender RBB hat eine neue Reihe mit Filmen aus Ost und West begonnen. Einer der ersten, die liefen, war „Du und icke und Berlin“, ein DDR-Fernsehfilm von 1977. Und ich staunte mal wieder, wie sehr damals noch berlinert wurde. Der älteste Schauspieler – Gerhard Bienert – war noch 1898 geboren worden.

Und so findet sich in dem Film auch echtes altes Berlinisch. Zum Beispiel das Wort „simelieren“ für „angestrengt nachdenken“. Oder die Wendung „Als wie icke?“, die etwa so viel bedeutete wie „Meinen Sie mich?“. Andere frühe Varianten sind: „Wat is mit Icke?“ oder „Mein janzet Icke“.

Viele Berliner können sich heute bemühen, möglichst hochdeutsch zu reden. An ihrem „Ick“ oder „Icke“ erkennt man sie am Ende doch. Dabei hat sich dieses „Ick“ Sprachforschern zufolge erst recht spät – seit Ende des 18. Jahrhunderts – durchgesetzt. Es kommt eigentlich aus dem Niederdeutschen, ist also Berliner Platt. Auch „wat“ und „det“ (vormals „dette“) gehören dazu.

Und obwohl es historisch relativ jung ist (noch im 19. Jahrhundert berlinerten viele Leute mit „ich“), scheint es heute das stabilste Kernelement des Berlinischen zu sein. Man denke an Sprüche wie: „Icke, dette, kieke mal, Oogn, Fleesch und Beene,/ wenn de mir nich lieben tust, lieb ick mir alleene“ oder: „Icke, icke bin Berliner,/ wer mir haut, den hau ick wieda!“

Angesichts all der Probleme, über die wir heute so diskutieren, scheint es kaum wahr zu sein, dass noch vor sieben Jahren eine leidenschaftliche Kampagne für dieses kleine Wörtchen stattfand. Künstler projizierten die Forderung „Icke muss in den Duden“ an das Kanzleramt und das Schloss Bellevue. Es gab eine Aktion mit Tausenden Unterschriften, und auch Medien beteiligten sich daran.

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Man regte sich auf, dass das große, zentrale Berliner „Icke“ nicht im wichtigsten Werk der deutschen Sprache stehe, während sich dort lauter Mundartliches aus anderen Ecken tummle: „Nipf“ (österreichisch), „schlotzen“ (schwäbisch), „Bützchen“ (rheinisch), „Güggeli“ und „Boboli“ (schweizerisch), um nur einiges zu nennen. Und am Ende nahm der Duden dann auch „ick“ und „icke“ auf – genau zwischen „Icing“ und „Ickerchen“ – ein Wort für die ersten Zähnchen beim Kleinkind.

Als ich nun aber im Internet schaute, ob unser aller „Ick“ oder „Icke“ den Siegeszug um die Welt angetreten haben, stieß ich auf ein anderes „Ick“. Und zwar als inzwischen sehr verbreiteten Ausdruck aus der Welt des Datings, sprich: der Begegnung von Personen zwecks möglicher sexueller Verbindung. „The Ick“ (aus dem Englischen) bedeutet übersetzt „Igitt“ – „icky“ heißt „eklig“. Gemeint ist, dass der, mit dem man sich trifft, plötzlich seine Anziehung verliert – manchmal durch eine Kleinigkeit, ein Haar in der Suppe, eine Nudel an der Backe. Ja, die berühmte Restaurant-Szene von Loriot trifft es wohl ganz gut.

Doch nicht nur eine im Gesicht klebende Nudel kann jemanden in die Flucht jagen. Auch pseudowitzige Sprüche können es („Herzlichen Glühstrumpf zum Burtzeltag“) und viele andere Dinge. In sozialen Medien gibt es ganze „Ick-Listen“. Da stößt es junge Frauen zum Beispiel ab, wenn ein Mann beim Gucken die Augen zusammenkneift, zu oft „quasi“ sagt, hessisch redet, sich auf die Lippen beißt, zu große Füße hat, ein „Eis in der Waffel“ bestellt, „haha“ in Nachrichten schreibt, „eine Chipstüte nicht aufkriegt“, „Fahrrad fährt“, „vom Kellner ignoriert wird“ oder „einen Regenschirm benutzt“. Wenn also zwei „Ickes“ nicht zusammenkommen, dann kann das am Übermaß an „Icks“ liegen. Kein Wunder, dass Berlin so viele Single-Haushalte hat.

QOSHE - Dating: Kommen zwei „Ickes“ nicht zusammen, kann es am „Ick“ liegen - Torsten Harmsen
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Dating: Kommen zwei „Ickes“ nicht zusammen, kann es am „Ick“ liegen

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02.02.2024

Der Sender RBB hat eine neue Reihe mit Filmen aus Ost und West begonnen. Einer der ersten, die liefen, war „Du und icke und Berlin“, ein DDR-Fernsehfilm von 1977. Und ich staunte mal wieder, wie sehr damals noch berlinert wurde. Der älteste Schauspieler – Gerhard Bienert – war noch 1898 geboren worden.

Und so findet sich in dem Film auch echtes altes Berlinisch. Zum Beispiel das Wort „simelieren“ für „angestrengt nachdenken“. Oder die Wendung „Als wie icke?“, die etwa so viel bedeutete wie „Meinen Sie mich?“. Andere frühe Varianten sind: „Wat is mit Icke?“ oder „Mein janzet Icke“.

Viele Berliner können sich heute bemühen, möglichst hochdeutsch zu reden. An ihrem „Ick“ oder „Icke“ erkennt man sie am Ende doch. Dabei hat sich dieses „Ick“ Sprachforschern zufolge erst recht spät – seit Ende des 18. Jahrhunderts – durchgesetzt. Es kommt eigentlich aus dem Niederdeutschen, ist also Berliner Platt. Auch „wat“ und „det“ (vormals........

© Berliner Zeitung


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