Es gibt eine echte Horrorvision auf der Plattform X, einst Twitter. Nutzer behaupten dort, dass die meisten Leute nach wiederholten Corona-Infektionen auf die Dauer schweres Long Covid entwickeln würden, sodass die Mehrheit der Menschen „in ein paar Jahren arbeitsunfähig“ sein werde. Die Pandemie sei noch lange nicht beendet. Nur Impfungen und eine „Null-Covid“-Strategie könnten die Katastrophe abwenden.

Eine ähnliche Katastrophe befürchtet eine andere Fraktion in den sozialen Medien – aber nicht wegen Corona, sondern wegen der massenhaften mRNA-Impfungen. Wie groß und irrational zum Teil die Impfpanik ist, sieht man zum Beispiel auf sozialen Medien wie TikTok unter Stichworten wie „Plötzlich und unerwartet“ oder „Turbokrebs“, die schlimme Folgen der Impfungen beschreiben sollen.

Leider finden die Corona-Diskussionen zurzeit vor allem in solchen Bubbles statt, also in medialen und kommunikativen Blasen. Wobei wohl jeder Mensch anfällig dafür ist, in eine solche Bubble zu geraten. Denn jeder hat seine Meinung, seine Erfahrungen, seine Emotionen. Doch das Problem an Bubbles ist, dass man sich darin immer wieder selbst bestätigt und sich Dinge mitunter bis zum Absurden hochschaukeln. Auch in Bubbles beruft man sich auf Studien. Doch es werden nur jene Experten (oft auch Pseudo-Experten) wahrgenommen, die die eigene These stützen. Einwände oder Studien, die anderes behaupten, werden ignoriert oder nicht ernst genommen.

„Spikeopathie“: Ist die Corona-Impfung gefährlicher als die Krankheit selbst?

29.11.2023

Vier Jahre Corona: Vom Glück der Impfung, Verschwörungstheorien und offenen Fragen

05.01.2024

08.01.2024

09.01.2024

09.01.2024

•gestern

•gestern

Für die gesellschaftliche Debatte ist es generell ein Problem, wenn lediglich bestimmte Kreise die Deutungshoheit übernehmen. Als zum Beispiel in der Corona-Zeit in erster Linie Virologen und Corona-Modellierer die Regierung berieten, blickte man fast nur auf das Virus und mögliche Ausbreitungswellen – weniger auf die Menschen, die Psyche, die Wirtschaft, die Gesellschaft insgesamt. Schon früh haben Kritiker deshalb gefordert, die Corona-Beratungsgremien um viele Disziplinen zu erweitern.

Auch die Corona-Aufarbeitung ist komplex. Sie kann nur gelingen, wenn man die Bubbles verlässt und nach einem gemeinsamen, geschützten Raum sucht, in dem man offen diskutieren kann, ohne dass man sich gegenseitig diskreditiert. Denn der Ruf nach einer Aufarbeitung geht ins Leere, wenn jeder glaubt, recht zu haben mit seiner Sicht auf die Pandemie.

Doch wo gibt es solch einen geschützten Raum? Eigentlich nur dort, wo feste Regeln existieren und allein das Argument gilt. Also im Idealfall zum Beispiel in wissenschaftlichen Foren. Doch das Thema Corona-Aufarbeitung steht zurzeit nicht an oberster Stelle. Die Gesellschaft hat andere Sorgen, wie man gerade in Deutschland erlebt. Wo also sollte man sich sachlich austauschen? Zum Beispiel über die Thesen, die Impfkritiker-Kreise gerade intensiv verbreiten: zur möglichen Übersterblichkeit durch Impfungen, zur „toxischen“ Wirkung des viralen Spike-Proteins – vor allem nach der Impfung.

Diese Zeitung unternimmt den Versuch, über solche Fragen offen zu diskutieren, dabei eine Art Forum zu sein. Sie hat die genannten Thesen gebracht, aber auch Artikel mit Gegenargumenten. Und offenbar ist eine solche Debatte notwendig, denn es gibt durchaus Ungereimtheiten bei der Impfentwicklung und Menschen, die schwere gesundheitliche Folgen nach der Impfung erlitten. Ganz klar ist auch, dass man in den Impfkampagnen nicht genügend auf eine jeweils persönliche Risiko-Nutzen-Abwägung orientiert und stattdessen Impfunwillige diskreditiert hat.

Corona ist zurück: Die einen haben es, die anderen reden darüber

18.11.2023

Fall einer 15-Jährigen deckt seltene Corona-Folgeerkrankung auf

26.12.2023

Doch eine einseitige Sicht nützt der Aufarbeitung wenig. Die Forschung muss sich um ein umfassendes Gesamtbild bemühen, also: Wie hoch ist die Übersterblichkeit wirklich? Was sind ihre wirklichen Ursachen? Hierzu gibt es ganz verschiedene Zahlen und Ansätze. Welchen Anteil hatten zum Beispiel die Corona-Infektionen, die erst nach 2020 wirklich nach oben schossen? Was ist mit Lockdown-Auswirkungen? In welchem Verhältnis stehen überhaupt Nutzen und Risiken der Impfungen? Das heißt: Haben diese nicht auch Leben gerettet und schwere Verläufe verhindert? In welchem Maße geschah dies? In welchem Verhältnis stehen Long Covid und Post Vac? Und vieles andere mehr.

Das große Problem: Über Statistiken sind solche Fragen kaum zu klären. Es fehlen hierzulande große Kohortenstudien, in denen zum Beispiel der Impfstatus einbezogen ist, weil dieser gar nicht flächendeckend erfasst wurde. Aber es gibt durchaus unzählige Studien zu den verschiedensten Fragen, die man analysieren könnte, um Bausteine für ein komplexes Bild dieser Pandemie zusammenzutragen.

Die Antworten liegen zwischen den Extremen. Und um Antworten zu finden, muss man seine Bubble verlassen, jedem Ansatz ernsthaft nachgehen. Und vieles wird dabei auch gewiss offenbleiben. Doch wie sich die Debatte auch immer entwickelt: Am Ende geht es in der Wissenschaft stets darum, Ergebnisse zu erzielen, die belastbar und anhand von Daten nachvollziehbar sind. Genau dies sollte der Richtwert sein.

Lauterbachs Therapien: Impfgeschädigte und ME/CFS-Kranke werden ignoriert

21.12.2023

Von der Leyen verzockt Milliarden: Corona-Impfstoffe landen auf Müll

21.12.2023

QOSHE - Corona: Die Verweigerung des Gesprächs ist keine Lösung - Torsten Harmsen
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Corona: Die Verweigerung des Gesprächs ist keine Lösung

13 0
11.01.2024

Es gibt eine echte Horrorvision auf der Plattform X, einst Twitter. Nutzer behaupten dort, dass die meisten Leute nach wiederholten Corona-Infektionen auf die Dauer schweres Long Covid entwickeln würden, sodass die Mehrheit der Menschen „in ein paar Jahren arbeitsunfähig“ sein werde. Die Pandemie sei noch lange nicht beendet. Nur Impfungen und eine „Null-Covid“-Strategie könnten die Katastrophe abwenden.

Eine ähnliche Katastrophe befürchtet eine andere Fraktion in den sozialen Medien – aber nicht wegen Corona, sondern wegen der massenhaften mRNA-Impfungen. Wie groß und irrational zum Teil die Impfpanik ist, sieht man zum Beispiel auf sozialen Medien wie TikTok unter Stichworten wie „Plötzlich und unerwartet“ oder „Turbokrebs“, die schlimme Folgen der Impfungen beschreiben sollen.

Leider finden die Corona-Diskussionen zurzeit vor allem in solchen Bubbles statt, also in medialen und kommunikativen Blasen. Wobei wohl jeder Mensch anfällig dafür ist, in eine solche Bubble zu geraten. Denn jeder hat seine Meinung, seine Erfahrungen, seine Emotionen. Doch das Problem an Bubbles ist, dass man sich darin immer wieder selbst bestätigt und sich Dinge mitunter bis zum Absurden hochschaukeln. Auch in Bubbles beruft man sich auf Studien. Doch es werden nur jene Experten (oft auch Pseudo-Experten) wahrgenommen, die die eigene These stützen.........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play