Berlin soll „Hauptstadt der Einsamkeit“ sein, wie man immer wieder lesen kann? Bei dem Gewusel und den Massen, die täglich unterwegs sind? Man kann es kaum glauben. Und doch scheint es so zu sein.

Mehr als eine Million Menschen leben in Berlin allein. Das betrifft gut die Hälfte aller Haushalte. Häufig geschieht das freiwillig, viel zu oft aber auch nicht. Vor allem alte Menschen leiden unter Einsamkeit, die krank macht.

Im Bezirk Reinickendorf gibt es deshalb jetzt eine Einsamkeitsbeauftragte in Vollzeit – den Aussagen zufolge die bundesweit erste. Sie hat Anfang Februar ihren Dienst angetreten. Die 39-jährige Annabell Paris ist selbst Reinickendorferin, besitzt einen Master in Kommunikationswissenschaften und war bisher als Bildungsbegleiterin im sozialen Bereich tätig, wie es in der Mitteilung des Bezirks heißt.

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Reinickendorf gehört zu den Berliner Bezirken mit der ältesten Bevölkerungsstruktur. Mehr als 23 Prozent seiner Einwohner sind 65 Jahre alt und älter. Mindestens 26.600 Bürger sollen von Einsamkeit betroffen sein – also etwa jeder Zehnte. „Die Dunkelziffer ist vermutlich höher“, heißt es aus dem Bezirk.

Wobei mit Einsamkeit ein Gefühl des Leidens an fehlenden Kontakten gemeint ist, nicht einfach nur Alleinsein. Und es betrifft auch viele unter 30-Jährige, wie eine Studie 2023 ergab. Corona verschärfte das Problem.

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Einsamkeit kann krank machen. Der Neurologe Manfred Spitzer nannte sie 2019 in einem Buch „die unerkannte Krankheit – schmerzhaft, ansteckend, tödlich“. Einsamkeit kann auch körperlich schmerzen, sagt Spitzer. Einsame erkrankten häufiger als andere an Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Depressionen und Demenz, wie Studien zeigten. Nicht wenige Menschen sollen in Berlin nach ihrem Tod unentdeckt in ihren Wohnungen liegen.

Anderswo erkannte man die Gefahr bereits vor einigen Jahren. Großbritannien hat seit 2018 ein Einsamkeitsministerium. In Deutschland gibt es seit 2022 ein Kompetenznetz Einsamkeit. Die bundesweit erste Vollzeit-Einsamkeitsbeauftragte Annabell Paris in Reinickendorf beginnt erst mit ihrer Arbeit.

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„Wir erhoffen uns vor allem ein Rahmenkonzept, das aufzeigt, wo in Reinickendorf sich Betroffene aufhalten, welche Anlaufpunkte sie in der nahen Umgebung finden und welche Kräfte erst noch zu bündeln sind“, sagte die Reinickendorfer Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner. „Eine Datenbank, mehrsprachige Angebote, Fachforen und Öffentlichkeitsarbeit sind weitere Ziele.“

QOSHE - Berlin, Hauptstadt der Einsamkeit: Wie Reinickendorf das Problem angeht - Torsten Harmsen
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Berlin, Hauptstadt der Einsamkeit: Wie Reinickendorf das Problem angeht

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04.02.2024

Berlin soll „Hauptstadt der Einsamkeit“ sein, wie man immer wieder lesen kann? Bei dem Gewusel und den Massen, die täglich unterwegs sind? Man kann es kaum glauben. Und doch scheint es so zu sein.

Mehr als eine Million Menschen leben in Berlin allein. Das betrifft gut die Hälfte aller Haushalte. Häufig geschieht das freiwillig, viel zu oft aber auch nicht. Vor allem alte Menschen leiden unter Einsamkeit, die krank macht.

Im Bezirk Reinickendorf gibt es deshalb jetzt eine Einsamkeitsbeauftragte in Vollzeit – den Aussagen zufolge die bundesweit erste. Sie hat Anfang Februar ihren Dienst angetreten. Die 39-jährige Annabell Paris ist selbst Reinickendorferin, besitzt einen Master in........

© Berliner Zeitung


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