Jüngst hat eine freie Autorengruppe, zu der Mediziner und Molekularbiologen gehören, eine Arbeit vorgelegt, die eigentlich auf einer Fach-Plattform zur Diskussion gestellt werden müsste, so schwerwiegend sind ihre Aussagen. Denn sie sagt – um es auf den Punkt zu bringen –, dass die Impfungen gegen Corona schädlicher seien als die Erkrankung selbst. Und dass sie möglicherweise zu der Übersterblichkeit beigetragen hätten, die 2021 und 2022 in Deutschland zu beobachten war.

Der Artikel „Spikeopathie und Übersterblichkeit: Ein unheimlicher Verdacht“ erschien im Online-Magazin Cicero. Zu den sechs Autoren gehören unter anderem Paul Cullen, Facharzt für Laboratoriumsmedizin und Molekularbiologe, der als Professor an der Universität Münster unterrichtet, und Brigitte König, Professorin für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsimmunologie mit eigenem Labor in Magdeburg. Der Artikel erregt großes Aufsehen auf bestimmten Portalen und in Teilen der sozialen Medien.

Die Berliner Zeitung hat nun acht Wissenschaftler um eine Begutachtung gebeten. Fünf haben sich zum Thema geäußert, sich zum Teil gründlicher mit dem Artikel befasst. Auch der Hallenser Virologe Alexander Kekulé aus Halle hat dies jüngst in seinem Podcast bei MDR Aktuell getan. Außerdem werden einige weitere Wissenschaftler zitiert.

Corona-Impfung: Wirksam oder schädlich? Eine Debatte über Nutzen und Risiko

25.10.2023

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In dem „Spikeopathie“-Artikel geht es im Kern darum, dass das sogenannte Spike-Protein eine zentrale Rolle bei schweren Corona-Verläufen, aber auch bei Post-Covid und Impfnebenwirkungen wie Post-Vac spielt. Gemeint ist der Eiweißstoff, der auf der Oberfläche des Coronavirus die typischen Stacheln oder Zacken bildet. Gegen dieses Protein sind die wichtigsten Antikörper gerichtet, deren Bildung durch die Impfung gefördert werden soll.

Den Autoren zufolge ist das Spike-Protein „nicht nur für die Zerstörung von Lungengewebe verantwortlich, sondern kann vielfältige andere schwere Erkrankungen auslösen oder zumindest begünstigen. Denn wichtige Zell- und Immunfunktionen werden durch das Spike-Protein gestört“. Die Autoren erklären dies zum Beispiel anhand seiner Bindung an das körpereigene Enzym ACE2 in Zellmembranen, das im Körper unter anderem „für die Regulation wichtiger biochemischer Prozesse verantwortlich ist“.

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„Durch das Spike-Protein von Sars-CoV-2 ausgelöste krankhafte Zustände des menschlichen Organismus werden in der neueren Forschung als ‚Spikeopathie‘ bezeichnet“, schreiben die Autoren. Mit „neuerer Forschung“ ist vor allem eine Studie gemeint, die im August 2023 im Fachjournal Biomedicines auf dem Open-Access-Portal von MDPI erschien. Ihr Titel lautet übersetzt: „‚Spikeopathie‘: Das Spike-Protein von Covid-19 ist pathogen, sowohl aus Virus- als auch aus Impfstoff-mRNA“. Dazu später mehr.

Zunächst zum Begriff „Spikeopathie“ selbst, der so viel wie „Spike-Krankheit“ bedeutet. Der Virologe Alexander Kekulé bezeichnet ihn in seinem Podcast bei MDR Aktuell als „politisch etwas überlagert, aber rein medizinisch nicht komplett abwegig“. Es gebe nämlich durchaus „spikeopathische Effekte“ des Coronavirus, sagte Kekulé. Man habe zum Beispiel Anhaltspunkte dafür, dass das Spike-Protein für bestimmte Folgen von Covid-19 verantwortlich sein könnte – etwa für Blutgerinnungen oder für eine Überstimulation des Immunsystems. Aber die Frage ist: Welche Ausmaße nimmt das an? Und kann man diesem Protein wirklich die zentrale Rolle bei Covid-19 zusprechen?

Schon im April 2021 erschien eine Studie von US-Forschern des Salk Institutes in La Jolla, deren These es war, dass Covid-19 keine reine Atemwegs-, sondern eigentlich eine Gefäßerkrankung sei. Sie zeigten im Tiermodell, dass das Spike-Protein allein ausreichte, um Entzündungen in Endothelzellen auszulösen, die die Wände der Lungenarterien auskleiden. Eine Studie von italienischen und US-amerikanischen Forscher, erschienen im Mai 2023, fand wiederum heraus, dass das Spike-Protein mit einem menschlichen Östrogenrezeptor interagiere und zu einer schweren Koagulopathie führe, also einer Störung der Blutgerinnung.

Von der Berliner Zeitung befragte Forscher haben sich diese und andere Studien genauer angesehen. Die erste Studie, vom Salk Institute in La Jolla zum Beispiel, wird vom Berliner Molekularbiologen Emanuel Wyler so beschrieben: „Was die gemacht haben: Sie haben ein anderes Virus genommen (nicht klar welches), das Spike draufgesetzt und Hamstern in die Tracheen (das sind die obersten Luftwege der Lunge) appliziert. Das ist schon mal recht artifiziell“, sagt Wyler.

„Vor allem ist aber nicht ersichtlich, was der Effekt des Virus, und was der Effekt des Spike ist, denn es ist nicht klar was die ‚Negativkontrolle‘ ist (mit ‚Mock‘ beschriftet), also ob das einfach etwas Salzwasser war, oder das Virus ohne Spike.“ Es seien auch keine Methoden angegeben. Als Wyler den Letztautor der Studie anschrieb, um Informationen zu erhalten, habe er keine Antwort erhalten. Im Prinzip sei das alles nicht schlüssig.

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In der zweiten Studie seien „Zellen in Zellkultur mit verschiedenen Dingen behandelt“ worden, „darunter auch das Spike-Protein“. Aber auch hier fehle eine Negativkontrolle. Es werde zum Beispiel zunehmend Spike-Protein dazugegeben, und es passiere etwas. „Aber ist das Spike-Protein-spezifisch? Oder gibt es auch viele andere Proteine, die die Zellen zu dieser Aktivität bringen? Oder ist sogar nur die Behandlung an sich die Ursache? Das wird alles nicht gezeigt.“

Eine Berliner Molekularbiologin, Professorin und Forschungsgruppenleiterin widerspricht wiederum der Aussage der „Spikeopathie“-Autoren, dass die „vermehrte Bindung der Spike-Proteine an ACE2“ die Arbeit dieses wichtigen körpereigenen Enzyms behindere und dadurch schwere Folgen auslösen könne. Die Forscherin verweist unter anderem auf eine Publikation von 2020, die zeige, dass die Bindung des Spike-Proteins sogar die Aktivität von ACE2 erhöhe, was etwa „für die mit Covid-19 verbundenen kardiovaskulären Symptome relevant sein könnte“, wie die Autoren schreiben. „Wir selbst haben im Labor keinerlei Einfluss von der Spike-Bindung auf die ACE2-Aktivität gefunden“, erklärt die Molekularbiologin, die namentlich nicht genannt werden will, weil es ihr nur um die Darstellung der Zusammenhänge gehe, wie sie sagt.

Die Wissenschaftler, die sich zum „Spikeopathie“-Artikel äußern, sehen es mehrheitlich als entscheidend an, dass das Virus eben nicht nur aus dem Spike bestehe. Es habe „ganz viele krankmachende Eigenschaften“, sagt etwa der Virologe Alexander Kekulé. „Es macht krank, weil es Zellen befällt, es macht krank, weil das Immunsystem dann hinterher diese Zellen kaputtmacht, und verschiedene andere Dinge.“

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„Das Virus wirkt durch das Zusammenspiel seiner Gene“, sagt Friedemann Weber, Professor für Virologie und Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Gießen. Dessen Forschungsgruppe befasst sich mit spezifischen Fragen der Auseinandersetzung von Viren mit dem angeborenen Immunsystem. „Man kann nicht sagen, dass es ein einziges Protein sei. Das ist nicht wie bei einer Schlange, die Gift produziert oder halt nicht. Das Virus wirkt als Paket. Es macht etwa 30 Proteine, inklusive Spike. Und das Spike ist jetzt nicht das, was dabei irgendwie heraussticht als besonders toxisches, wenn man es mit den anderen vergleicht.“

Da seien zum Beispiel Enzyme dabei, die RNA zerstören oder die Proteinsynthese des Wirtsorganismus hemmen. Viele der viralen Proteine legten auch die Interferon-abhängige angeborene Immunabwehr lahm. Letzteres werde zwar auch vom Spike-Protein behauptet, sei aber nicht wahr.

Man sollte auch nicht vergessen, dass im Gegensatz zum Impfstoff sich das Virus massiv vermehrt. „Es geht rein in die Zellen und produziert Tausende Nachkommen “, sagt Weber. Und wenn es nicht aufgehalten werde durch die Immunantwort, dann mache es eben seine Arbeit und töte die Zellen ab. „Von Spike-Protein transfizierte Zellen sterben zwar auch zu einem gewissen Prozentsatz, aber das kann man überhaupt nicht vergleichen mit virusinfizierten Zellen“, sagt Weber. In einer Arbeit sei man auf maximal elf Prozent gekommen. Mit dem Virus hätte man bis zu hundert Prozent zerstörter Zellen. Der Begriff „Spikeopathie“ ist für Weber „ein Kampfbegriff und kein wissenschaftlicher Ausdruck“. Es existierten keine Belege, dass es so etwas in der von den Autoren behaupteten Form gebe.

Kommen wir zum entscheidenden Punkt des „Spikeopathie“-Artikels. Dessen Autoren schreiben: „Das Spike-Protein ist gefährlich, wenn es durch eine natürliche Sars-CoV-2-Infektion in den Körper gelangt. Aber es ist noch gefährlicher, wenn unser Körper die Spike-Proteine nach Verwendung der neuartigen Covid-Impfstoffe selbst bildet.“ Kurz: Die Impfung ist schlimmer als die Krankheit selbst. Man schleuse nämlich „ein gentechnisches Produkt, das in der Natur so nicht vorkommt, in die Zellen und zwingt sie, ein giftiges Eiweiß mit einer höheren Intensität herzustellen als es für die Bildung zelleigener Eiweiße normal ist“, wie die Autoren um Paul Cullen schreiben.

Infolge der Impfung dringe „das Spike-Protein in lebenswichtige Organe und viele Gewebe unseres Körpers“ ein. Und das liegt ihrer Meinung nach an einem technologischen Schritt, für dessen Entwicklung die Biochemikerin Katalin Karikó in diesem Jahr den Medizin-Nobelpreis bekommen hat. Das Spike-Protein des Virus, gegen das das Immunsystem Antikörper bilden soll, wird nämlich bei der mRNA-Impfung nicht direkt in den Muskel injiziert. Sondern es sind kleinste Fettbläschen – die Lipidnanopartikel –, in denen sich die Gebrauchsanweisung (in der mRNA) für die Produktion dieses Proteins durch die Zelle selbst befindet. Sie sind etwa 10.000 Mal kleiner als ein Millimeter.

Damit das zelluläre Immunsystem diese mRNA nicht bekämpft, bevor die Zelle genügend Spike-Protein bilden kann, wird die mRNA chemisch verändert. Der Virologe Alexander Kekulé erklärt den Vorgang: „Da werden so einzelne Komponenten angedockt an einen Baustein der RNA. Das ist das Uridin, was da verändert wird. Das heißt dann Pseudouridin oder Methyluridin. Durch diese kleine Veränderung erkennt das Immunsystem nicht, dass es eine fremde RNA ist, wie zum Beispiel von einem Virus.“

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Was hat das zur Folge? „Zum einen, dass dieses Partikelchen fast überall hin kann im Körper, wahrscheinlich anders als das Virus im Normalfall“, sagt Kekulé. Es könnte etwa auch die Blut-Hirn-Schranke überschreiten und im Prinzip auch über die Plazenta in ein ungeborenes Kind hineingehen. Die Immunabwehr sei gegen diese Lipidnanopartikel relativ schwach ausgeprägt. Der Hersteller habe das in den vorklinischen Studien und der Phase-I-Studie zwar untersucht, aber so richtig eindeutig seien die Daten eben nicht.

„Der zweite Punkt, wo die Autoren recht haben, ist, dass die Expression (die Herstellung) dieses Proteins von dieser mRNA zumindest in einzelnen Fällen relativ lange ist“, sagt Kekulé. Das sei auch ein Paradigmenwechsel gewesen. Am Anfang habe es geheißen, die mRNA sei nach ein paar Tagen oder Wochen wieder weg. Denn sie sei „ein extrem empfindliches Molekül, das ganz schnell kaputtgeht“. Doch man wisse inzwischen, dass diese mRNA „aus Gründen, die komplex sind“, ziemlich lange aktiv bleiben könne „und dass sie in einzelnen Fällen das Immunsystem über lange Zeit stimulieren kann“, so Kekulé. Er glaube auch, dass die Menschen in Deutschland, die zum Beispiel keine Impfempfehlung für kleine Kinder ausgesprochen hätten, „wohl genau daran denken“.

Man habe Belege, dass man noch nach vier, fünf, sechs Monaten zumindest in Geweben die mRNA aus den Impfstoffen nachweisen könne. „Also da an dieser einen Stelle haben die Autoren recht“ – ohne daraus schließen zu können, dass es gefährlicher sei. „Das muss man vielleicht auch dazusagen. Zellen machen allen möglichen Unsinn“, sagt der Virologe Kekulé. „So eine Zelle hat alle möglichen RNAs und produziert alle möglichen Proteine.“ Hier fänden regelmäßig biochemische Aufräumprozesse statt. Es sei nicht automatisch so, dass man, bloß weil irgendwo ein Spike-Protein produziert werde, krank werden müsse. Aber in der Tat habe man den Effekt am Anfang „nicht auf dem Schirm“ gehabt.

Kekulé widerspricht vor allem dem, was er die zentrale neue Hypothese der „Spikeopathie“-Arbeit nennt. Auf ihr beruht die Begründung, dass das Impf-Spike gefährlicher sei als das natürliche Spike des Virus. „Die Impf-Spike-mRNA wurde so stark modifiziert, dass sie mit der Virus-Spike-mRNA von Sars-CoV-2 kaum mehr vergleichbar ist“, schreiben die Autoren. Kekulé erklärt, was damit gemeint sei: Bei der natürlichen RNA, die wir normalerweise in der Zelle haben, finde die Methylierung nachträglich statt. Erst werde das RNA-Kettenmolekül produziert, am Schluss werde durch Methylierung aus normalem Uridin das Pseudouridin. Bei der Impfstoffherstellung dagegen werde ein fertiger Pseudouridin-Baustein verwendet.

Die Autoren bezeichnen dies als „unnatürlich“ und sehen hier ein großes Problem. Große Mengen solcher Pseudouridin-Bausteine könnten nämlich nach Abbau der Impf-RNA in verschiedenen „Baustellen“ des Körpers eingesetzt werden, so die Autoren. Solchen unnatürlichen Einbauprozessen werde eine Rolle „nicht nur beim Alterungsprozess, sondern auch bei der Entstehung von Krebs, Erkrankungen des Immunsystems, neurologischen Erkrankungen und bei einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Virusinfektionen zugeschrieben“.

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Kekulé widerspricht dieser Darstellung jedoch. Offenbar habe da „kein Biochemiker drübergeschaut“, sagt er. Erstens mache es überhaupt keinen Unterschied, ob die Methylierung der RNA nachträglich geschehe oder ob man dazu fertige Bausteine benutze. „Das Ergebnis ist genau das gleiche.“ Zweitens stimme es zwar, dass ein Recycling der mRNA stattfinde. „Die einzelnen Bausteine der RNA werden durch Enzyme zerhackt und wiederverwendet.“ Doch dabei würden die Pseudouridine nach dem Stand des biochemischen Wissens nicht wieder neu eingebaut. „Die Zelle baut sie ab.“

Der Darstellung der Autoren, dass die Impfungen deshalb schaden könnten, weil durch wiederholte Impfungen immer mehr unnatürliche Bausteine in den Körper kämen, kann der Virologe nicht folgen. „Die zentrale neue Hypothese, die sie da drinnen haben, ist absolut an den Haaren herbeigezogen und bereits von der biologischen Überlegung her nicht plausibel“, sagt er.

Der „Unnatürlichkeit“ der verwendeten Bausteine widerspricht auch der Molekularbiologe Emanuel Wyler. „N1-Methyl-Pseudouridin kommt in Archaeen vor, einzelligen Mikroorganismen, die auch im Darm zu finden sind“, sagt er zum Beispiel. Und er verweist auf einen Artikel, der zeigt, dass „die mRNA im Impfstoff wie die körpereigene RNA methyliert (modifiziert)“ sei, „weil nicht methylierte ‚körperfremde‘ RNA das Immunsystem viel zu stark aktiviert“. Auch in der ribosomalen RNA menschlicher Zellen komme dieser Baustein vor, sagt der Virologe Friedemann Weber. Das sei nicht so unnatürlich, wie hier behauptet werde. „Da wird etwas skandalisiert, was kein Skandal ist.“

Nach Meinung der Autoren des „Spikeopathie“-Artikels drohten Geimpften zum Teil schwere gesundheitliche Folgen, weil sich bei ihnen das Spike-Protein „insbesondere durch mehrfache Covid-Impfungen in hoher Menge in ihren Zellen“ bilde. „Selbst wenn das Spike ‚nur‘ ein Faktor unter mehreren war, der mit zu Entstehung, Ausbruch oder Verschlimmerung einer Krankheit geführt hat, ist seine Rolle als medizinisch gewichtig einzustufen“, so die Autoren.

Dass das Spike-Protein durchaus ein Faktor sei, der zu schweren Corona-Verläufen, Post-Covid und Post-Vac beitragen könne, leugnen die zum Artikel befragten Forscher nicht. Sie sehen jedoch mehrheitlich einen entscheidenden Unterschied zu den Aussagen im „Spikeopathie“-Artikel. Für sie hat nämlich die Krankheit Covid-19 selbst deutlich häufiger schwere Auswirkungen als die Impfungen, auch wenn deren in Einzelfällen auftretenden Nebenwirkungen durchaus ernstzunehmen und deren Ursachen zu erforschen seien.

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„Fakt ist dass das Spike-Protein (in seltenen Fällen) auch mit körpereigenem Gewebe – zum Beispiel ACE2 – kreuzreagierende Antikörper auslösen kann“, sagt zum Beispiel die Hämatoonkologin und Immunologin Carmen Scheibenbogen der Berliner Zeitung. „Dieses Risiko ist nach einer Infektion aber deutlich höher als nach einer Impfung.“ Sie spricht von einem „Flächenbrand versus Lagerfeuer“. Genauso könne es selten eine Gerinnungsaktivierung auslösen, auch hier eher bei einer Infektion, so Scheibenbogen. Die Professorin leitet an der Berliner Charité die Immundefekt-Ambulanz und das Charité Fatigue Centrum (CFC). Sie hat seit 2020 mit zum Teil sehr schwer an Corona-Folgen Erkrankten zu tun – meistens mit ME/CFS, das in zwei Dritteln der Fälle infolge einer Infektion entsteht. Vor allem jüngere Menschen sind davon betroffen.

„Wenn Sie das Myokarditis-Risiko nehmen: Das ist nach einer Infektion fünf- bis zehnmal so hoch wie nach einer Impfung“, sagte Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München, Anfang 2023 ein MDR-Bericht. Dies sei das Ergebnis einer britischen Studie von Ende 2021, erschienen im Fachjournal Nature Medicine. Sie beruhte auf der Untersuchung von Fällen von Ende 2021 bis zum August 2021 in England. Auch das Risiko für Blutgerinnsel und damit für Schlaganfälle und Herzinfarkte, sowie für Perikarditis und Herzrhythmusstörungen bleibe erhöht – bis zu ein Jahr lang.

„Bei der Impfung wird eine umschriebene Menge Antigen gebildet. Während der Infektion schießt die Produktion von Virusprotein dagegen vollkommen unkontrolliert in die Höhe“, sagte dazu Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Unispital Zürich, in einem Beitrag des Wissenschaftsportals Spektrum.

Einwenden könnte man sicher, dass die frühen Sars-CoV-2 Varianten wie Alpha und Delta öfter zu schwereren Verläufen führten als die heute zirkulierende Omikron-Variante mit ihren Untervarianten. Das bedeutet aber nicht, dass heutige Verläufe generell mit dem Begriff „harmlos“ gleichzusetzen seien. Aktuell äußert sich zum Beispiel der Kardiologe Bernhard Schieffer in einem Streitgespräch im Online-Magazin Riffreporter zum Problem von Post-Covid. Schieffer leitet die interdisziplinäre Post-Covid-Ambulanz an der Uniklinik Marburg. Diese zieht bundesweit Patienten mit Post-Covid und Impfschäden an.

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„Zum Schluss werden es vielleicht noch zweieinhalb, drei Prozent der Menschen sein, die nach eineinhalb Jahren und länger noch Symptome haben“, sagt Schieffer über die Folgen von Corona. Wegen der Durchseuchung und weil kontinuierlich Krankheitswellen durchs Land gehen, sei dies aber „in der Dimension ein großes Problem“. Außerdem rechne er damit, dass immerhin 0,5 Prozent der Infizierten die schwere neuro-immunologische Multisystemerkrankung ME/CFS entwickeln. „Viele von ihnen rutschen in eine Invalidisierung, und wir schauen als Ärzte fassungslos zu und wissen nicht, wie wir ihnen helfen können.“

Zur Frage, ob das Spike-Protein daran beteiligt sei, dass auch nach einer Impfung schwere Post-Covid-ähnliche Symptome auftreten könnten, sagt Schieffer: „Das ist sehr gut möglich, aber den Beweis zu führen, ist extrem schwierig. Ich habe zum Beispiel keine Antwort darauf, warum es Patienten gibt, die auf das Spike-Protein durch die Impfung mit einer wesentlich harscheren Immunantwort reagieren als Patienten, die mit der Omikron Variante infiziert werden – obwohl die Sequenz des Proteins die gleiche ist.“

Man dürfe die schweren Post-Covid-ähnlichen Symptome, die nach der Impfung aufträten, nicht verschweigen und verharmlosen, sagt Schieffer. „Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Auftreten bedarf einer ausgeklügelten Diagnostik und ist unserer Erfahrung nach um ein Vielfaches geringer als nach einer Infektion.“ Für die Vermutung von Impfkritikern, dass Post-Covid in Wahrheit vor allem eine Folge der Impfung sei, gebe es „überhaupt keine Basis“, sagt Schieffer.

Als Ursachen für die Wirkung des Spike-Proteins werden verschiedene Mechanismen diskutiert. Dazu gehört die Bildung von Antikörpern gegen das Spike-Protein, die sich auch gegen körpereigene Strukturen richten. Ein Mechanismus, der hier wirkt, könnte die sogenannte molekulare Mimikry sein, heißt es. Damit ist gemeint, dass einige Menschen als Reaktion auf das Spike-Protein Antikörper bilden könnten, die sich versehentlich gegen den eigenen Körper richten, als eine Art Autoimmunreaktion. Möglicherweise sei die Anfälligkeit dafür erblich.

Die Autoimmunreaktion könne bei einer bestimmten Gruppe von Menschen „durch das Spike-Protein getriggert werden, durch das Virus genauso wie durch den Impfstoff“, sagte der Bonner Virologe Hendrik Streeck der Berliner Zeitung. „Wahrscheinlich hätten Impfgeschädigte dieselben Probleme aber ohnehin bekommen, auch ohne Impfung – dann eben nach einer Erkrankung.“

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Widerspruch gibt es auch bei der Vorstellung, dass sich das Spike-Protein der Impfung sozusagen endlos im Körper anreichere. Der Berliner Molekularbiologe Emanuel Wyler verweist etwa auf eine Studie zur Auswertung menschlicher Proben, erschienen 2022 im Fachjournal Cell. Die Daten zeigten, dass das Spike-Protein im Blut abgebaut werde. An Tag 28 seien es noch etwa 800–900 Femtogramm pro Milliliter. Die Größe Femtogramm steht für ein Millionstel eines Milliardstel Gramms. Das Spike-Protein in den Keimzentren der Lymphknoten sei langlebiger. Hier sei es auch nach 60 Tagen noch nachweisbar. Das liege daran, dass die mRNA-Impfstoffe so designet seien, dass sie bevorzugt von dendritischen Zellen aufgenommen werden.

Dendritische Zellen sind hochspezialisierte antigenpräsentierende Zellen. Die Immunität entstehe dann, „wenn in den Lymphknoten Antigene den B- und T-Zellen präsentiert werden, und das vor allem von dendritischen Zellen“, erklärt Wyler. Dieser verweist zugleich auf Daten, die zeigten, wie die mRNA abgebaut werde. Sie akkumuliere „mit einem Maximum bei Tag 37“ verschwinde dann. „Also eigentlich kann man da schon klar sagen, dass da nicht ohne Ende produziert wird.“

Die Behauptungen im „Spikeopathie“-Artikel, dass das Spike-Protein in großen Mengen in nahezu allen Organen des Körpers lande, bezögen sich auf Studien, bei denen man zum Beispiel Ratten 50 Mikrogramm mRNA-Impfstoff injiziert habe, ergänzt Friedemann Weber. „Eine Ratte wiegt etwa 500 Gramm“, sagt der Virologe, „ein Mensch vielleicht 70 Kilo.“ Dann wären das umgerechnet 7000 Mikrogramm pro Mensch – 140 Mal mehr, als die mRNA-Impfung enthalte. „Im Übrigen wurde nicht das Spike gemessen, sondern das Cholesterin mit dem die mRNA verpackt wurde, und zwar mit Hilfe einer hochsensitiven radioaktiven Markierung.“

Außerdem gebe es in dem ursprünglichen „Spikeopathie“-Publikation, auf die der Artikel immer wieder verlinke, zwar eine hypothetische Rechnung, wie viel Spike-Protein bei der Impfung freigesetzt werde. Es fehle aber das Gegenstück dazu, nämlich die Rechnung, wie viel es bei einer Virusinfektion sei. „Trotzdem wird ohne jegliche Datenbasis behauptet, der Impfstoff würde mehr Spike-Protein produzieren als die Infektion.“ Weber schließt nicht aus, dass nach Impfung etwas Spike-Protein in verschiedenen Organsystemen landen könne. „Aber hier wird so getan, als ob es viel mehr als nach Infektion wäre. Und das ist einfach Quatsch.“

Das „Spikeopathie“-Paper, erschienen im August bei Biomedicines, nennt Weber nach gründlicher Begutachtung „ein aus hochgradig selektierten und zum Teil auch falsch wiedergegebenen Zitaten von Publikationen oft minderer Qualität oder gar Preprints bzw. Webseiten zusammenkonstruiertes Narrativ, das nicht den Ansprüchen eines wissenschaftlichen Review-Artikels genügt“.

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Zugleich meint der Virologe Alexander Kekulé, dass man wohl die „spikeopathischen Effekte“ am Anfang unterschätzt habe. Erst im Laufe der Pandemie geriet das Protein mehr und mehr in den Fokus, auch als Folge der Impfung. So berichtete eine Studie Anfang 2023 über 16 Kinder und Jugendliche in den USA, die nach der Impfung eine Herzmuskelentzündung bekommen hatten. Die Besonderheit: Bei ihnen wurde Spike-Protein im Blut gefunden, nicht dagegen bei 45 geimpften Kontrollpersonen, die keine Myokarditis entwickelt hatten. Dies liefere „neue Erkenntnisse über die mögliche zugrunde liegende Ursache“, schrieben die Autoren.

Es sei wichtig, zum Spike-Protein „gründlichere pharmakokinetische Studien durchzuführen, sofern sie den Regulierungsbehörden noch nicht zur Verfügung stehen“, sagte vor einiger Zeit der Braunschweiger Impfstoff-Forscher Carlos A. Guzmán der Berliner Zeitung. In solchen Studien sollte festgestellt werden, „wie viel Protein wo und wie lange produziert wird, um einen möglichen kausalen Zusammenhang mit den beobachteten unerwünschten Nebenwirkungen zu untersuchen“, sagte Guzmán. Die „Spikeopathie“-Autoren fordern Forschungsmittel für eine „dringend nötige Spike-Differentialdiagnostik, für den Vergleich des Schädigungspotentials von Covid-Impfstoffen und der Virusinfektion“.

Zugleich aber sollte bedacht werden, sagte Guzmán, dass Covid-19 selbst zu Myokarditis führen könne. Dies sollte bei einer Nutzen-Risiko-Abwägung im Einzelfall beachtet werden, sagte Guzmán. Wie es ja auch bei anderen Impfungen passieren sollte, etwa bei der Grippe-Impfung. Bei jungen Menschen sollte diese Abwägung anders aussehen als bei älteren Menschen und Risikopatienten. Bei Letzteren könnten Impfungen schwere Folgen verhindern.

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Generell sind kausale Zusammenhänge bei auftretenden Krankheiten schwer festzustellen. Die Autoren selbst verweisen darauf – „zumal, wenn zwischen Impfung und Tod Wochen, Monate oder Jahre liegen und zudem der Patient sich während dieser Zeit einmal oder wiederholt mit Corona infizierte“. Sie bringen eine Reihe von möglichen Erkrankungen mit dem Spike-Protein in Verbindung.

Dass aber zum Beispiel jemand fünf Tage nach der Impfung an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit erkrankt sei, könne gar nichts mit der Impfung zu tun haben, sagt Friedemann Weber. Denn dies sei eine Prionen-Erkrankung, und ihre Inkubationszeit betrage Jahre. Großen Widerspruch gibt es auch zu der Vermutung, die Impfungen lösten Krebserkrankungen aus oder beschleunigten sie – ein viel diskutiertes Thema in Teilen der Öffentlichkeit, beruhend auf Fallberichten, die darauf hindeuten sollen.

„Es gibt bisher keine Hinweise, dass die Covid-19-Impfstoffe Krebserkrankungen auslösen oder zu Rückfällen führen“, heißt es zu solchen Debatten zum Beispiel auf dem Portal der Schweizer Krebsliga. In einem Beitrag von BR24 wurde diese Sicht jüngst durch mehrere Onkologen großer Kliniken bestätigt, etwa aus München und Würzburg. Auch bei Krebspatienten unter Immuntherapie fand sich „kein Hinweis auf erhöhtes Risiko für eine schwere Immunkomplikation nach einer Covid-19-Impfung“, teilte das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) mit. Zugleich stünden aber große epidemiologische Studien zu Krebserkrankungen in Verbindung mit der Corona-Pandemie und der Corona-Impfkampagne noch aus, heißt es im BR-Beitrag.

Bei ihrer Aussage, das Spike-Protein könne Krebs auslösen, verlinken die „Spikeopathie“-Autoren unter anderem auf eine Studie, die 2020 erschienen war. In dieser Studie werde „lediglich mit computergestützten Verfahren gezeigt, dass ein Teil des Spikes mit einem Protein interagiert, das mit Krebs in Assoziation steht“, sagt eine Berliner Molekularbiologin. „Die Daten wurden nicht im Labor validiert. Meiner Erfahrung nach, sind diese Art von computerbasierten Modellen nicht sehr solide.“ Dass ein virales Hüllprotein Krebs auslösen könne, sei sehr unplausibel, sagt auch der Virologe Friedemann Weber. „Bis man zu einem Tumor kommt, da müssen ziemlich viele Dinge schiefgehen.“

Auf der anderen Seite wird gerade Krebspatienten eine Impfung empfohlen. Denn: „Die Risiken einer Infektion mit dem Coronavirus sind immer noch deutlich höher als die Risiken einer empfohlenen Covid-19-Impfung“, heißt es auf dem Portal der Krebsliga. Krebspatienten seien „durch Covid-19-Infektionen besonders gefährdet“ und wiesen „eine erhöhte Gesamtmortalität auf“, steht auch in einer im Mai 2022 erschienenen Studie. Diese kam zugleich zu dem Schluss: „Insgesamt reduzierten die mRNA-Impfstoffe das Risiko für eine Covid-19-Infektion bei Krebspatienten signifikant.“

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Die „Spikeopathie“-Autoren üben auch Kritik an den viel diskutierten Verunreinigungen der Impfstoffe „mit bakterieller DNA bzw. Plasmiden aus dem Herstellungsprozess, die in manchen Chargen der mRNA-Impfstoffe in einer Menge nachgewiesen wurden, die weit über das zugelassene Maß hinausgeht“. In seinem Podcast erklärte der Virologe Alexander Kekulé, wie es zu solchen Verunreinigungen kommt. Diese entstünden, wenn man von der vollsynthetischen (also künstlichen) Herstellung der Impfstoff-mRNA in kleinen Mengen zu einer Großproduktion umsteige, sagte er.

Im Falle der mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer würden Ringe aus DNA hergestellt (Plasmid-DNA) und in eine Lösung aus E.coli-Bakterien hineingegeben. „Und wenn man das richtig macht, dann fabrizieren die E.coli-Bakterien nach dieser DNA die RNA-Moleküle“. Die Plasmid-DNA sei sozusagen „die Matritze, von der das abgeschrieben werde“. Das große Problem sei dabei, die empfindliche RNA dort ohne Rückstände herauszuholen. „Sie kriegen immer eine kleine Verunreinigung von dieser DNA mit rein, aus der die RNA mal angeschrieben wurde in den E.colis“, sagte Kekulé.

Im Zulassungsprozess habe man sich seiner Meinung zufolge vor allem auf die Qualitätssicherung der Lipidnanopartikel fokussiert, weil diese „bekanntermaßen Entzündungen und Autoimmunreaktionen verursachen“ könnten. Hier habe es auch spezifische Auflagen gegeben. Bei möglichen Verunreinigungen mit Plasmid-DNA dagegen nicht. „Für den Normalbürger: Es ist einfach so. Es gibt keinen Fall, wo eine DNA-Verunreinigung, die es auch bei anderen biologisch hergestellten Medikamenten gibt, große Nebenwirkungen verursacht“, sagt Kekulé: „Da wüsste ich gar nicht, wie das genau gehen sollte.“

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Die Autoren des „Spikeopathie“-Artikels sehen die Sache allerdings sehr ernst. Sie sprechen von „chargenabhängigen Verdachtstodesmeldungen“, denen nachgegangen werden müsse. „Die Detektion von Verunreinigungen sowie chargenspezifische Melderaten von Nebenwirkungen erfüllen klassisch den Tatbestand eines ‚Sicherheitssignals‘ im Sinne der Arzneimittelüberwachung“, schreiben sie. Die gesamte wissenschaftliche „Feuerkraft“ und die Behörden müssten zur Aufklärung mobilisiert werden.

Er wundere sich schon, dass die Behörden und Biontech auf diese Debatte „nicht mal mit klaren Statements reagieren“, sagte auch der Virologe Kekulé. Sie müssten erklären, ob es ein zugelassenes Maß gab und wo es überhaupt lag. „Ich erwarte schon, dass der Hersteller mal auf diese Vorwürfe eingeht und erklärt, warum das unbedenklich ist und was unternommen wurde, um zu vermeiden, dass da größere Mengen DNA drinnen sind.“

Versuch eines Fazits: Eine Autorengruppe behauptet, dass das Spike-Protein des Virus Sars-CoV-2 „toxisch“ sei und zu schweren Verläufen bei Corona führe. Noch schlimmer jedoch sei das durch die mRNA-Impfung in den Körper gebrachte Spike. Die dazu befragten Forscher halten mehrheitlich entgegen, dass man die Gefährlichkeit des Spike-Proteins vor allem im Zusammenhang mit vielen anderen zerstörerischen Faktoren des Virus sehen müsse. Die Behauptung, das Impfen sei schädlicher als die Infektion, sei falsch. Auch die These einer absolut zentralen Rolle des Spike-Proteins bei Corona wird angezweifelt, ebenso die Plausibilität des Begriffs „Spikeopathie“.

Gleichwohl wird konstatiert, dass man die Effekte des Spike-Proteins am Anfang der Pandemie unterschätzt habe und dass auch das Spike nach Impfung negative Reaktionen auslösen kann, wenn auch in seltenen Fällen, wie es heißt. Unterstützt werden muss die Forderung, hier intensiver zu forschen. Vor allem stellt sich wieder einmal heraus, wie wichtig eine offene Kommunikation seitens der Hersteller zu allen aufgetretenen Fragen wäre. Und dass in jedem Fall bei Impfungen eine gründliche Abwägung zwischen Nutzen und Risiken stattfinden muss.

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QOSHE - „Spikeopathie“: Ist die Corona-Impfung gefährlicher als die Krankheit selbst? - Torsten Harmsen
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„Spikeopathie“: Ist die Corona-Impfung gefährlicher als die Krankheit selbst?

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15.11.2023

Jüngst hat eine freie Autorengruppe, zu der Mediziner und Molekularbiologen gehören, eine Arbeit vorgelegt, die eigentlich auf einer Fach-Plattform zur Diskussion gestellt werden müsste, so schwerwiegend sind ihre Aussagen. Denn sie sagt – um es auf den Punkt zu bringen –, dass die Impfungen gegen Corona schädlicher seien als die Erkrankung selbst. Und dass sie möglicherweise zu der Übersterblichkeit beigetragen hätten, die 2021 und 2022 in Deutschland zu beobachten war.

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Corona-Impfung: Wirksam oder schädlich? Eine Debatte über Nutzen und Risiko

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In dem „Spikeopathie“-Artikel geht es im Kern darum, dass das sogenannte Spike-Protein eine zentrale Rolle bei schweren Corona-Verläufen, aber auch bei Post-Covid und Impfnebenwirkungen wie Post-Vac spielt. Gemeint ist der Eiweißstoff, der auf der Oberfläche des Coronavirus die typischen Stacheln oder Zacken bildet. Gegen dieses Protein sind die wichtigsten Antikörper gerichtet, deren Bildung durch die Impfung gefördert werden soll.

Den Autoren zufolge ist das Spike-Protein „nicht nur für die Zerstörung von Lungengewebe verantwortlich, sondern kann vielfältige andere schwere Erkrankungen auslösen oder zumindest begünstigen. Denn wichtige Zell- und Immunfunktionen werden durch das Spike-Protein gestört“. Die Autoren erklären dies zum Beispiel anhand seiner Bindung an das körpereigene Enzym ACE2 in Zellmembranen, das im Körper unter anderem „für die Regulation wichtiger biochemischer Prozesse verantwortlich ist“.

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„Durch das Spike-Protein von Sars-CoV-2 ausgelöste krankhafte Zustände des menschlichen Organismus werden in der neueren Forschung als ‚Spikeopathie‘ bezeichnet“, schreiben die Autoren. Mit „neuerer Forschung“ ist vor allem eine Studie gemeint, die im August 2023 im Fachjournal Biomedicines auf dem Open-Access-Portal von MDPI erschien. Ihr Titel lautet übersetzt: „‚Spikeopathie‘: Das Spike-Protein von Covid-19 ist pathogen, sowohl aus Virus- als auch aus Impfstoff-mRNA“. Dazu später mehr.

Zunächst zum Begriff „Spikeopathie“ selbst, der so viel wie „Spike-Krankheit“ bedeutet. Der Virologe Alexander Kekulé bezeichnet ihn in seinem Podcast bei MDR Aktuell als „politisch etwas überlagert, aber rein medizinisch nicht komplett abwegig“. Es gebe nämlich durchaus „spikeopathische Effekte“ des Coronavirus, sagte Kekulé. Man habe zum Beispiel Anhaltspunkte dafür, dass das Spike-Protein für bestimmte Folgen von Covid-19 verantwortlich sein könnte – etwa für Blutgerinnungen oder für eine Überstimulation des Immunsystems. Aber die Frage ist: Welche Ausmaße nimmt das an? Und kann man diesem Protein wirklich die zentrale Rolle bei Covid-19 zusprechen?

Schon im April 2021 erschien eine Studie von US-Forschern des Salk Institutes in La Jolla, deren These es war, dass Covid-19 keine reine Atemwegs-, sondern eigentlich eine Gefäßerkrankung sei. Sie zeigten im Tiermodell, dass das Spike-Protein allein ausreichte, um Entzündungen in Endothelzellen auszulösen, die die Wände der Lungenarterien auskleiden. Eine Studie von italienischen und US-amerikanischen Forscher, erschienen im Mai 2023, fand wiederum heraus, dass das Spike-Protein mit einem menschlichen Östrogenrezeptor interagiere und zu einer schweren Koagulopathie führe, also einer Störung der Blutgerinnung.

Von der Berliner Zeitung befragte Forscher haben sich diese und andere Studien genauer angesehen. Die erste Studie, vom Salk Institute in La Jolla zum Beispiel, wird vom Berliner Molekularbiologen Emanuel Wyler so beschrieben: „Was die gemacht haben: Sie haben ein anderes Virus genommen (nicht klar welches), das Spike draufgesetzt und Hamstern in die Tracheen (das sind die obersten Luftwege der Lunge) appliziert. Das ist schon mal recht artifiziell“, sagt Wyler.

„Vor allem ist aber nicht ersichtlich, was der Effekt des Virus, und was der Effekt des Spike ist, denn es ist nicht klar was die ‚Negativkontrolle‘ ist (mit ‚Mock‘ beschriftet), also ob das einfach etwas Salzwasser war, oder das Virus ohne Spike.“ Es seien auch keine Methoden angegeben. Als Wyler den Letztautor der Studie anschrieb, um Informationen zu erhalten, habe er keine Antwort erhalten. Im Prinzip sei das alles nicht schlüssig.

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In der zweiten Studie seien „Zellen in Zellkultur mit verschiedenen Dingen behandelt“ worden, „darunter auch das Spike-Protein“. Aber auch hier fehle eine Negativkontrolle. Es werde zum Beispiel zunehmend Spike-Protein dazugegeben, und es passiere etwas. „Aber ist das Spike-Protein-spezifisch? Oder gibt es auch viele andere Proteine, die die Zellen zu dieser Aktivität bringen? Oder ist sogar nur die Behandlung an sich die Ursache? Das wird alles nicht gezeigt.“

Eine Berliner Molekularbiologin, Professorin und Forschungsgruppenleiterin widerspricht wiederum der Aussage der „Spikeopathie“-Autoren, dass die „vermehrte Bindung der Spike-Proteine an ACE2“ die Arbeit dieses wichtigen körpereigenen Enzyms behindere und dadurch schwere Folgen auslösen könne. Die Forscherin verweist unter anderem auf eine Publikation von 2020, die zeige, dass die Bindung des Spike-Proteins sogar die Aktivität von ACE2 erhöhe, was etwa „für die mit Covid-19 verbundenen kardiovaskulären Symptome relevant sein könnte“, wie die Autoren schreiben. „Wir selbst haben im Labor keinerlei Einfluss von der Spike-Bindung auf die ACE2-Aktivität gefunden“, erklärt die Molekularbiologin, die namentlich nicht genannt werden will, weil es ihr nur um die Darstellung der Zusammenhänge gehe, wie sie sagt.

Die Wissenschaftler, die sich zum „Spikeopathie“-Artikel äußern, sehen es mehrheitlich als entscheidend an, dass das Virus eben nicht nur aus dem Spike bestehe. Es habe „ganz viele krankmachende Eigenschaften“, sagt etwa der Virologe Alexander Kekulé. „Es macht krank, weil es Zellen befällt, es macht krank, weil das Immunsystem dann hinterher diese Zellen kaputtmacht, und verschiedene andere Dinge.“

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„Das Virus wirkt durch das Zusammenspiel seiner Gene“, sagt Friedemann Weber, Professor für Virologie und Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Gießen. Dessen Forschungsgruppe befasst sich mit spezifischen Fragen der Auseinandersetzung von Viren mit dem angeborenen Immunsystem. „Man kann nicht sagen, dass es ein einziges Protein sei. Das ist nicht wie bei einer Schlange, die Gift produziert oder halt nicht. Das Virus wirkt als Paket. Es macht etwa 30 Proteine, inklusive Spike. Und das Spike ist jetzt nicht das, was dabei irgendwie heraussticht als besonders toxisches, wenn man es mit den anderen vergleicht.“

Da seien zum Beispiel Enzyme dabei, die RNA zerstören oder die Proteinsynthese des Wirtsorganismus hemmen. Viele der viralen Proteine legten auch die Interferon-abhängige angeborene Immunabwehr lahm. Letzteres werde zwar auch vom Spike-Protein behauptet, sei aber nicht wahr.

Man sollte auch nicht vergessen, dass im Gegensatz zum Impfstoff sich das Virus massiv vermehrt. „Es geht rein in die Zellen und produziert Tausende Nachkommen “, sagt Weber. Und wenn es nicht aufgehalten werde durch die Immunantwort, dann mache es eben seine Arbeit und töte die Zellen ab. „Von Spike-Protein transfizierte Zellen sterben zwar auch zu einem gewissen........

© Berliner Zeitung


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