Es war einmal … eine ganz und gar andere Zeit. In der Gegenwart unvorstellbar: Ein grüner Außenminister, der nach Militäreinsätzen und Waffen rief, wurde von einem Parteigenossen mit roter Farbe beworfen. Vergleichbares Ungemach hat die grüne Ministerin Annalena Baerbock nicht zu befürchten. Geht es nach den Großkopfeten ihrer Partei, dann kann sie Deutschland gar nicht scharf und feministisch genug vertreten.

Wenn von Zeitenwende die Rede ist, begann sie am 24. März vor 25 Jahren. An jenem Tag griffen 200 Nato-Kampfflugzeuge mit Bomben und Lenkwaffen das damals noch Jugoslawien genannte Serbien an. Es war der erste Militäreinsatz deutscher Truppen seit Mai 1945 – in einem nicht erklärten Krieg, abseits des eigenen Territoriums, ohne vorausgehenden Angriff der Gegenseite und ohne völkerrechtliches Mandat der Vereinten Nationen.

Das Protestschild des Komitees für Grundrechte und Demokratie – „Von deutschem Boden soll(te) nie wieder Krieg ausgehen“ – hängt heute im Bonner Haus der Geschichte.

Der Krieg wurde seitens der Nato nur aus der Luft geführt; von „Kampfhandlungen“ konnte nicht wirklich die Rede sein. Er dauerte 78 Tage und kostete die westliche Allianz zwei Menschenleben – Opfer eines Hubschrauberunfalls. Auf jugoslawischer Seite starben rund 1000 Soldaten und Polizisten. Die Zahl der getöteten Zivilisten lag je nach Schätzung zwischen 500 und 2000. Rund 1000 Nato-Kampfflugzeuge und Hubschrauber waren beteiligt, insgesamt wurden 38.000 Einsätze geflogen.

Das Ende des Bombardements wurde unter finnisch-russischer Vermittlung ausgehandelt: Rückzug der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo; Einrichtung einer Sicherheitszone; faktische Nato-Verwaltung des Kosovo unter UN-Mandat; dreijähriger Verzicht auf ein kosovarisches Unabhängigkeits-Referendum.

22.03.2024

•gestern

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22.03.2024

22.03.2024

Die Folgen des Nato-Militäreinsatzes vor 25 Jahren reichen bis weit über die Gegenwart hinaus. Das beginnt mit dem Anspruch, die Nato sei ein reines Verteidigungsbündnis. Die Bombardierung bewies, dass ihr wahres Selbstverständnis ein anderes ist. Beschädigt war auch die multilaterale Weltordnung, noch Jahre später ein Lieblingsbegriff der damaligen Kanzlerin Angela Merkel. 1999 entschied der Westen ohne Rücksicht auf Multilateralität.

Am 24. März 1999 verloren die westliche Allianz und die USA den Nimbus des ehrlichen Weltpolizisten, der strikt die regelbasierte Ordnung achtet. Wie weitreichend die Entscheidung zugunsten des Militäreinsatzes war, zeigt die Reaktion des russischen Premierministers Jewgeni Primakow. Der saß im Flugzeug über dem Atlantik, unterwegs nach Washington, als Bill Clintons Vizepräsident Al Gore ihn über den bevorstehenden Angriff informierte. Sofort gab Primakow den Befehl zur Umkehr. Die Los Angeles Times kommentierte: „Mit seiner abrupten Rückkehr versäumt Primakow die seltene Gelegenheit, die US-Führung um finanzielle Hilfe zu bitten.“

In dem alten Fuchs der russischen Diplomatie wirkte das sowjetische Ur-Misstrauen in Sachen US-Imperialismus. Mit dem wollte er sich und sein Land nicht gemein machen; das waren ihm die Dollar-Milliarden aus Washington nicht wert. Auch wenn Russland das KFOR-Mandat im Kosovo später mit absegnet, sich vorübergehend sogar beteiligt – die russisch-westliche Entfremdung nach dem Honigmond der 1990-er begann im März vor 25 Jahren.

Der ehemalige Linke-MdB Alexander Neu spannt den Bogen bis in die Gegenwart: Der Nato-Angriff auf Jugoslawien, so Neu zur Berliner Zeitung, „hat eben eine Präzedenzwirkung, die sich Russland im Angriffskrieg gegen die Ukraine zu Nutze macht. Die damalige und bis heute vorherrschende Hybris des Westens, selbstgefällig das Völkerrecht zu brechen und zu glauben, man könne das folgenlos so tun, offenbart die Unfähigkeit im Westen, in strategischen Kategorien zu denken.“

Auch die von der Nato vorgebrachten moralisch-humanitären Argumente konnten den Bruch der regelbasierten Ordnung nicht rechtfertigen. Daran hat sich in 25 Jahren nichts geändert. Inzwischen wurde zwar der Begriff einer Schutzverantwortung – „responsibility to protect“ – völkerrechtlich aufgewertet. Ein internationaler Militäreinsatz, der sich darauf beruft, setzt aber auch heute ein UN-Mandat voraus.

Der 24. März 1999 läutete nicht nur insofern eine Wende ein, als deutsche Soldaten zum ersten Mal seit 54 Jahren an einem Kriegseinsatz beteiligt waren. Seit damals erodiert auch die Werte-Autorität, der angebliche Stolz der westlichen Außenpolitik und „ihrer“ multilateralen, regelbasierten Ordnung. Seither sind der Einmarsch im Irak 2003 und andere Übergriffigkeiten hinzugekommen. Die Ansprüche der Demokratien auf moralische Noblesse sind fadenscheinig; Vorwürfe doppelter Standards, Heuchelei und Verlogenheit stehen im Raum. Die Beweiskette beginnt an diesem Sonntag vor 25 Jahren.

QOSHE - Sündenfall des Westens: Vor 25 Jahren begann der Nato-Luftkrieg gegen Jugoslawien - Thomas Fasbender
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Sündenfall des Westens: Vor 25 Jahren begann der Nato-Luftkrieg gegen Jugoslawien

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24.03.2024

Es war einmal … eine ganz und gar andere Zeit. In der Gegenwart unvorstellbar: Ein grüner Außenminister, der nach Militäreinsätzen und Waffen rief, wurde von einem Parteigenossen mit roter Farbe beworfen. Vergleichbares Ungemach hat die grüne Ministerin Annalena Baerbock nicht zu befürchten. Geht es nach den Großkopfeten ihrer Partei, dann kann sie Deutschland gar nicht scharf und feministisch genug vertreten.

Wenn von Zeitenwende die Rede ist, begann sie am 24. März vor 25 Jahren. An jenem Tag griffen 200 Nato-Kampfflugzeuge mit Bomben und Lenkwaffen das damals noch Jugoslawien genannte Serbien an. Es war der erste Militäreinsatz deutscher Truppen seit Mai 1945 – in einem nicht erklärten Krieg, abseits des eigenen Territoriums, ohne vorausgehenden Angriff der Gegenseite und ohne völkerrechtliches Mandat der Vereinten Nationen.

Das Protestschild des Komitees für Grundrechte und Demokratie – „Von deutschem Boden soll(te) nie wieder Krieg ausgehen“ – hängt heute im Bonner Haus der Geschichte.

Der Krieg wurde seitens der Nato nur aus der Luft geführt; von „Kampfhandlungen“ konnte nicht wirklich die Rede sein. Er dauerte 78 Tage und kostete die westliche Allianz zwei........

© Berliner Zeitung


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