Alle wollen Frieden in der Ukraine – sogar die eisernen Streiterinnen für Waffenlieferungen. Doch Frieden ist nicht Frieden; nicht überall, wo „Frieden“ draufsteht, ist auch Frieden drin. Das große Lager der Friedensfreunde teilt sich nämlich in zwei kleinere: die Idealisten mit dem Maximalziel eines ukrainischen Siegfriedens und die Realisten mit dem Minimalziel eines sauberen Verhandlungsfriedens.

Was nach Nuancen klingt, könnte unterschiedlicher nicht sein. Ein Siegfrieden im vorliegenden Konflikt ist gleichbedeutend mit dem Erreichen des zentralen ukrainischen Kriegsziels, der Wiederherstellung der Grenzen von 1991 – einschließlich der Halbinsel Krim. Anders gesagt: Vor dem Frieden kommt der Sieg.

Ein Verhandlungsfrieden wäre dagegen durch Kompromisse bestimmt. Im konkreten Fall liefe das auf ukrainische Gebietsabtretungen an Russland hinaus. Dem steht, gewissermaßen auf der Habenseite, das Leben Zehntausender junger Männer und Frauen auf beiden Seiten gegenüber – all jener, die anderenfalls für den Sieg zu sterben hätten.

Frieden und Frieden sind also nicht dasselbe. So ist der Ende 2022 vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgelegte (und seither mehrfach ohne Russland verhandelte) Friedensplan ein lupenreiner Siegfriedensplan – in zehn Punkten werden dort sämtliche russischen Ambitionen gestutzt: Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine, Bestrafung der Kriegsschuldigen, Untersuchung von Kriegsverbrechen, Reparationszahlungen und dergleichen mehr.

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25.02.2024

Die nächste Verhandlungsrunde auf Grundlage der Selenskyj-Initiative ist für den Mai in der Schweiz vorgesehen. „Auf Ersuchen der Ukraine“, sagte der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis am Freitag vor der UN-Generalversammlung, nutze er die Gelegenheit, „alle Nationen einzuladen, (…) auf unser gemeinsames Ziel hinzuarbeiten“. Der Kreis der Befürworter des ukrainischen Friedensplans, der unter anderem schon im saudischen Riad tagte, beschränkt sich jedoch auf ukrainefreundliche Staaten, im Kern auf den globalen Westen.

Zu den widerstreitenden Narrativen in dem Konflikt gehört die im Westen propagierte Behauptung, Russland stünde so gut wie allein gegen die „internationale Gemeinschaft“. Darauf bezog sich auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Freitag vor der Generalversammlung: „Russland kann die Stimme der Weltmehrheit nicht ignorieren, wenn unsere Haltung auf Grundsätzen fußt und wir gemeinsam handeln.“ Selenskyjs „Friedensformel“ stelle eine solche Gelegenheit dar.

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Doch auch in Kiew hat man verstanden, dass Verhandlungen über eine Friedensinitiative ohne den Gegner (oder ohne einen Sieg) kaum zielführend sind. Am Sonntag brachte Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak, angeblich der zweitmächtigste Mann in der Ukraine, eine Einladung Russlands in die Schweiz ins Gespräch.

Ob er damit erfolgreich sein wird, ist alles andere als gewiss. Dem Kreml gilt der Friedensplan des ukrainischen Präsidenten als reines Propaganda-Instrument. Erwartungsgemäß kommentierte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja die Einladung: „Man sollte keine Zeit mit Kiews vergeblichen Plänen verschwenden, auf der Grundlage von Selenskyjs sogenannter Friedensformel zu verhandeln.“

Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass zitiert den Schweizer Außenminister: „Es gibt insgesamt etwa zehn Friedenspläne. Natürlich sprechen wir über den Zehn-Punkte-Friedensplan des ukrainischen Präsidenten. Dann gibt es sechs oder sieben öffentlich bekannte Pläne. Es gibt auch geheime.“

Details zu den angeblich geheimen Plänen nannte Cassis nicht. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass von Washington bis Peking, von Istanbul bis Wien am Für und Wider unterschiedlicher Lösungen gebastelt wird. Verhandlungslösungen: Welche Option gestattet allen Beteiligten einen gesichtswahrenden Abgang? Wenn es zu Gebietsabtretungen kommt – mit welchen Argumenten verkauft der Westen das dem eigenen Publikum? Wie kann außerdem vermieden werden, dass der Waffenstillstand nur eine Waffenpause wird?

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Auch der frühere Botschafter der USA in Berlin, Richard Grenell, fordert einen sofortigen Friedensplan. Im Gespräch mit der FAZ sagte er, dabei müssten Kiew und Moskau das Sagen haben. Von dort müsse die Initiative kommen – „aber von allein machen die das nicht. Sie müssen gezwungen werden. Das müssen Verbündete auf beiden Seiten tun.“

Die klare Entscheidung des deutschen Bundeskanzlers gegen die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine kann als entsprechendes Signal gelesen werden: Die Berliner Politik begleitet die Kiewer Regierung nicht bis zum endgültigen Sieg. Jedenfalls nicht dann, wenn ein solcher Sieg – etwa die Rückeroberung der Krim – eine unverhältnismäßige Eskalationsgefahr birgt. Für die atlantischen Falken ist das eine herbe Pille. Hat sich der Traum vom Siegfrieden ausgeträumt? Noch sind das Spekulationen – für die öffentliche Debatte allerdings, bei der es um zweistellige Milliardenbeträge an Steuergeld geht, von nicht geringer Bedeutung.

QOSHE - Schweizer Außenminister: „Es gibt geheime Friedenspläne für den Ukraine-Krieg“ - Thomas Fasbender
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Schweizer Außenminister: „Es gibt geheime Friedenspläne für den Ukraine-Krieg“

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27.02.2024

Alle wollen Frieden in der Ukraine – sogar die eisernen Streiterinnen für Waffenlieferungen. Doch Frieden ist nicht Frieden; nicht überall, wo „Frieden“ draufsteht, ist auch Frieden drin. Das große Lager der Friedensfreunde teilt sich nämlich in zwei kleinere: die Idealisten mit dem Maximalziel eines ukrainischen Siegfriedens und die Realisten mit dem Minimalziel eines sauberen Verhandlungsfriedens.

Was nach Nuancen klingt, könnte unterschiedlicher nicht sein. Ein Siegfrieden im vorliegenden Konflikt ist gleichbedeutend mit dem Erreichen des zentralen ukrainischen Kriegsziels, der Wiederherstellung der Grenzen von 1991 – einschließlich der Halbinsel Krim. Anders gesagt: Vor dem Frieden kommt der Sieg.

Ein Verhandlungsfrieden wäre dagegen durch Kompromisse bestimmt. Im konkreten Fall liefe das auf ukrainische Gebietsabtretungen an Russland hinaus. Dem steht, gewissermaßen auf der Habenseite, das Leben Zehntausender junger Männer und Frauen auf beiden Seiten gegenüber – all jener, die anderenfalls für den Sieg zu sterben hätten.

Frieden und Frieden sind also nicht dasselbe. So ist der Ende 2022 vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgelegte (und seither mehrfach ohne Russland verhandelte) Friedensplan ein lupenreiner Siegfriedensplan – in zehn Punkten werden dort sämtliche russischen........

© Berliner Zeitung


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