Keine Pause für die Außenministerin: Nach ihrem Gespräch mit dem Außenminister Bosnien und Herzegowinas, Elmedin Konakovic, in Sarajevo am Dienstag ist Annalena Baerbock nach Paris weitergereist. Dort wurde kurzfristig ein Arbeitstreffen mit ihrem französischen Kollegen Stéphane Séjourné anberaumt.

Anlässe gibt es genug. Dazu gehört die beinahe schon offene Konfrontation zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten zu Beginn der Vorwoche, als es um mögliche Nato-Truppeneinsätze in der Ukraine ging. Emmanuel Macron hatte eine solche Möglichkeit angeregt. Olaf Scholz, der die verbreitete Kriegsangst unter der Bevölkerung kennt, korrigierte wenig später: Weder Nato- noch deutsche Soldaten würden an die ukrainische Front entsandt.

Auch die Publikation eines abgehörten Geheimgesprächs deutscher Offiziere durch russische Medien ist dem Ansehen der Bundeswehr in Frankreich (und bei den anderen Alliierten) nicht eben zuträglich. In dem Gespräch, an dem unter anderem der höchste deutsche Luftwaffengeneral teilnahm, wurde die Beteiligung amerikanischer und britischer Militärspezialisten am Einsatz von Nato-Lenkwaffen gegen russische Streitkräfte unmissverständlich bestätigt.

Zur schlechten Stimmung zwischen Berlin und Paris trägt auch der sogenannte Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft bei. Es ist ein Index, der die Ukraine-Unterstützung von 41 westlichen Ländern erfasst und nachverfolgt – humanitär, finanziell und militärisch. Frankreich liegt dort mit Militärhilfen im Wert von 635 Millionen Euro auf Rang 16 – oder auf Rang 27 beim Anteil am Bruttoinlandsprodukt (0,024 Prozent).

•gestern

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04.03.2024

•vor 4 Std.

•vor 55 Min.

Der europäische Musterknabe ist Deutschland mit 17,7 Milliarden Euro Militärhilfe – international nach den USA Rang zwei. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt kommt Deutschland immer noch auf Rang elf, der prozentuale Anteil entspricht fast dem 20-Fachen desjenigen der Franzosen.

Paris reagiert auf derartige Zahlen durchaus angefasst. „Frankreich hat sich bei seiner Militärhilfe für die Ukraine für operative Effizienz entschieden: Versprich, was du liefern kannst, und liefere, was du versprechen kannst“, zitiert die US-Zeitung Politico einen Tweet des französischen Verteidigungsministers Sébastien Lecornu.

Der Vorwurf dahinter: Deutschland verspricht viel und liefert wenig. So wird argumentiert, das Kieler Institut berechne die Beiträge der einzelnen Länder nach den Zusagen, nicht nach den Lieferungen. Inzwischen ist die Rede von eigenen, französischen Ratings, die dortige Denkfabriken angeblich erarbeiteten.

Paris präsentiert zudem Zahlen, denen zufolge die französische Militärhilfe im genannten Zeitraum 2,6 Milliarden Euro betrug – ein Mehrfaches der Kieler Angabe von 635 Millionen. Argumentiert wird auch mit der unterschiedlichen Wirksamkeit. So hätten französische Raketen im Stückwert von deutlich unter einer Million Euro eine erheblich größere Zerstörungswirkung als ein Leopard-2-Panzer mit einem Preis von mehr als zehnmal so viel.

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Aus geopolitischer Sicht kommt die deutsch-französische Beziehungskrise, die sich schon unter Angela Merkel abzuzeichnen begann, definitiv zur Unzeit. Im Laufe weniger Jahre haben die Eliten beider Länder identitätsstiftende Positionen von Macht und Einfluss verloren: Frankreich als Autorität im postkolonialen Westafrika, Deutschland als Autorität in den europäisch-russischen Beziehungen. Der Brexit hat den Westen Europas zusätzlich geschwächt. Hinzu kommt, dass die politischen Energien in Deutschland und Frankreich zunehmend von der nichteuropäischen Zuwanderung absorbiert werden.

Auf den ersten Blick scheint der russische Krieg in der Ukraine wie geschaffen, die europäische Solidarität wiederzubeleben. Das funktioniert auch – in Ostmitteleuropa, von der Schwarzmeerküste bis zum Baltikum. Dort wirkt zudem, maßgeblich in Polen und den baltischen Staaten, die enge bilaterale Kooperation mit den USA. Verglichen damit liefern Frankreich und Deutschland ein uneinheitliches, bisweilen verwirrtes Bild. In beiden Ländern zählen die Ukraine und der russische Krieg für viele Menschen zur Peripherie, in beiden Ländern dominieren hauseigene Probleme wie der wirtschaftliche Niedergang ganzer Schichten und die Folgen der Migration.

Die politischen Eliten links und rechts des Rheins wissen natürlich, dass nationale Alleingänge sinnlos sind. Ohne überstaatliche Institute ist der Kontinent zur Bedeutungslosigkeit verdammt – dennoch fehlen neue, zeitgemäße und vor allem begeisternde Konzepte. Die EU in ihrer derzeitigen Ausgestaltung wurzelt in Zielvorstellungen aus dem 20. Jahrhundert – einer verflossenen Zeit.

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Das Knirschen in den deutsch-französischen Beziehungen bezeugt den Frust des Auf-der-Stelle-Tretens. Betagte Institutionen, politische Worthülsen und Ideen ohne Saft und Kraft prägen den Alltag, zusammengehalten von der Angst vor Rechtspopulisten und den immer gleichen und niemals hinterfragten Routinefloskeln der Politiker.

So auch am Dienstag in Sarajevo. Die Bundesaußenministerin sprach von der „tiefen Freundschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich: „Und deswegen ist es gerade in schwierigen Zeiten immer wieder wichtig, dass wir viel miteinander im Gespräch sind.“

Doch viel sprechen wird nicht reichen, erst recht nicht, wenn es um Frankreich und Deutschland geht. Ob 27 Mitglieder oder bald 35 – am Ende sind es diese beiden Länder, die über Wohl oder Wehe der Union entscheiden. Wenn nicht Deutsche und Franzosen den Mut zu neuen Ideen aufbringen, wird’s das gewesen sein.

QOSHE - Sand im Getriebe? Ukraine-Debatte sorgt für schlechte Stimmung zwischen Berlin und Paris - Thomas Fasbender
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Sand im Getriebe? Ukraine-Debatte sorgt für schlechte Stimmung zwischen Berlin und Paris

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06.03.2024

Keine Pause für die Außenministerin: Nach ihrem Gespräch mit dem Außenminister Bosnien und Herzegowinas, Elmedin Konakovic, in Sarajevo am Dienstag ist Annalena Baerbock nach Paris weitergereist. Dort wurde kurzfristig ein Arbeitstreffen mit ihrem französischen Kollegen Stéphane Séjourné anberaumt.

Anlässe gibt es genug. Dazu gehört die beinahe schon offene Konfrontation zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten zu Beginn der Vorwoche, als es um mögliche Nato-Truppeneinsätze in der Ukraine ging. Emmanuel Macron hatte eine solche Möglichkeit angeregt. Olaf Scholz, der die verbreitete Kriegsangst unter der Bevölkerung kennt, korrigierte wenig später: Weder Nato- noch deutsche Soldaten würden an die ukrainische Front entsandt.

Auch die Publikation eines abgehörten Geheimgesprächs deutscher Offiziere durch russische Medien ist dem Ansehen der Bundeswehr in Frankreich (und bei den anderen Alliierten) nicht eben zuträglich. In dem Gespräch, an dem unter anderem der höchste deutsche Luftwaffengeneral teilnahm, wurde die Beteiligung amerikanischer und britischer Militärspezialisten am Einsatz von Nato-Lenkwaffen gegen russische Streitkräfte unmissverständlich bestätigt.

Zur schlechten Stimmung zwischen Berlin und Paris trägt auch der sogenannte Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft bei. Es ist ein Index, der die Ukraine-Unterstützung von 41 westlichen Ländern erfasst und nachverfolgt – humanitär, finanziell und........

© Berliner Zeitung


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