Was darf politische Kritik in einem Gemeinwesen, in dem die Herrschenden überzeugt sind, das Gute und Richtige zu tun? Wer da kritisiert, macht sich jedenfalls das Juste Milieu zum Feind.

Der Hamburger Anwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel vertritt solche Ausgegrenzten. Zuletzt verteidigte er den Spiritus Rector des Onlinemediums Nius und früheren Bild-Chefredakteur, Julian Reichelt, erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung kommentiert er Individualsanktionen und Sippenhaft, Haltungsjournalismus und Regierungskritik.

Herr Steinhöfel, Sie haben ein Buch über die Bevormundung durch soziale Medien veröffentlicht. Als Anwalt vertreten Sie Prominente, die sich medial ungerecht behandelt fühlen. Wie hat sich das Verhältnis der Medien zu den Reichen, Schönen und Mächtigen über die Jahre verändert?

Zunächst haben wir in Deutschland eine schon skandalöse Unterfinanzierung der Justiz, die die ohnehin kostspielige Verfolgung von Persönlichkeitsrechtverletzungen für Betroffene noch erheblich verlangsamt. In Eilverfahren ein Jahr oder länger auf die Berufungsverhandlung warten zu müssen, ist eines Rechtsstaats unwürdig. Die Verantwortung dafür liegt bei der Politik. Gleichzeitig ist durch die Digitalisierung der Medien, auch der sozialen Medien, schnelle Abhilfe bei Rechtsverstößen wichtiger denn je. Politiker schwadronieren dann von Hass und Hetze, statt 20 neue Richterstellen zu schaffen und die Justizverwaltung anständig auszustatten.

Ist der Umgang mit Prominenten rauer geworden? Das müsste sich ja in Ihren Fallzahlen widerspiegeln.

Das würde ich nicht bestätigen. Diejenigen, die medial ständig präsent sind, werden fortlaufend anwaltlich beraten und wissen sich zu wehren. Jedenfalls dann, wenn sie einen sachkundigen Anwalt und keinen überteuerten Selbstdarsteller engagieren. Schwieriger ist es für diejenigen, die zum ersten Mal unter medialen Beschuss geraten – was ja ohne weiteres gerechtfertigt sein kann – und darauf nicht vorbereitet sind.

Zu Ihren Mandanten gehört der Milliardär Alischer Usmanow. Sein Fall hat mit den Sanktionen gegen russische Staatsbürger zu tun. Inzwischen schreiben sogar Welt und Bild, dass Usmanow weithin zu Unrecht verfolgt wird. Spielt in solchen Fällen auch die Politik eine Rolle?

Alischer Usmanow ist als erfolgreicher Unternehmer, ehemaliger Anteilseigner von Arsenal London und ehemaliger Präsident des Weltfechtverbandes von herausragender Bekanntheit. Außerdem ist er einer der großzügigsten Philanthropen der Welt. Es ist rechtsstaatswidrig und populistisch, jemanden zu verfolgen und zu sanktionieren, weil er bekannt ist und nicht, weil er sich vorwerfbar verhalten hat. Die wiederholten Niederlagen und Blamagen der Ermittler und des Bundeskriminalamts zeigen, dass es deren Vorwürfen an Substanz fehlt. Mittlerweile wird in dem Zusammenhang gegen zwei Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung und Verfolgung Unschuldiger ermittelt. Die Durchsuchungen im Herbst 2022, als schwerbewaffnete Einsatzkräfte vor großer Medienkulisse leere Häuser stürmten, waren ein peinliches Schauspiel. Die Durchsuchungsbeschlüsse wurden rechtskräftig aufgehoben, weil nicht einmal ein Anfangsverdacht bestand. Dieses demonstrative Machtgebaren war eines Rechtsstaats unwürdig. Dass es ohne politische Rückendeckung erfolgte, kann ich mir nicht vorstellen.

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•vor 6 Min.

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Inzwischen mehrt sich die Kritik an den Individualsanktionen der EU. Nicht nur Alischer Usmanow hat sich erfolgreich gewehrt, auch Michail Fridman und Pjotr Awen. Wie sehen Sie diese Art Sanktionen?

Jeder kann sich die Begründungen durchlesen. Bei manchen Personen sind die Ausführungen zutreffend, oft aber sind es auch autoritäre und rechtsstaatsfremde Anmaßungen einer machttrunkenen EU. Der Boden der Rechtsstaatlichkeit wird in vielen Fällen verlassen. Dies gilt auch für Alischer Usmanow und seine Schwester, die ebenfalls betroffen ist. Sanktionen mit der Begründung zu verhängen, dass jemand Steuern zahlt oder angeblich einen bestimmten Ruf hat, oder weil er oder sie Familienangehöriger einer sanktionierten Person ist, ist nicht nur verfassungswidrig. Diese Sippenhaft ist totalitär.

Nicht nur angebliche Oligarchen – immer wieder werden einzelne Missliebige zum Opfer medialer Kampagnen. Äußert sich da ein journalistischer Herdentrieb, oder was steckt dahinter?

Ich glaube nicht, dass sich die privaten deutschen Medien von irgendwem instrumentalisieren lassen. Sie sind für ihre Fehler selbst verantwortlich. Hochkarätige Journalisten von Zeit oder Spiegel haben ja ihre schwerwiegenden Fehler in der Berichterstattung zur Flüchtlingskrise und zu Corona eingeräumt. Die NZZ hält die Medien dennoch für die größten Verlierer der Pandemie. Es gibt in Deutschland hervorragende Journalisten und solche, die immer wieder mit gerichtlicher Hilfe korrigiert werden müssen. Dass die Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien laut Umfragen zuletzt besonders gelitten hat, hat vielleicht noch einen anderen Grund. Die Aufsichtsgremien dort werden von aktuellen oder früheren politischen Mandatsträgern dominiert. Gerade während der Pandemie wurde da – anmaßend, belehrend und herablassend – in beschämender Weise die Melodie gesungen, die die Machthaber vorgaben.

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Verliert vielleicht ein Teil der Medien die Distanz? Man könnte beispielsweise argumentieren, dass die proukrainische Parteinahme der deutschen Öffentlichkeit auch mit antirussischen Ressentiments zu tun hat – nicht nur mit Putins völkerrechtswidrigem Angriff.

Sich auf die Seite eines völkerrechtswidrig angegriffenen Landes zu stellen, versteht sich für einen freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat von selbst. In Deutschland mache ich mir eher Sorgen um den importierten Antisemitismus und um die deutlich antiamerikanischen Ressentiments.

Über Antisemitismus und Antiamerikanismus wird zumindest lebhaft debattiert. Sippenhaft gegen russische Milliardäre scheint weniger zu stören. Wie erklären Sie sich das?

In Deutschland wird wirtschaftlicher Erfolg häufig nicht als Leistung erachtet, sondern argwöhnisch beäugt. Ist jemand zu einem sehr großen Vermögen gelangt, heißt es immer wieder, das gehe nur, wenn man sich die Hände schmutzig mache. Ebenso häufig hört man: Der hat es ja, um den tut es mir nicht leid. – Das ist ein so infantiles Suspendieren von selbstverständlichen rechtsstaatlichen Errungenschaften, dass man durchaus die Frage stellen darf, wie tief der Respekt vor den Grundrechten hier eigentlich verankert ist.

Wir erleben eine zunehmende Polarisierung: Demokraten gegen Autoritäre, Gute gegen Böse. Ist nicht mancher Beißreflex, etwa in Richtung vermeintlich rechter Journalisten oder Politiker, auch eine Demonstration: Seht her, ich stehe auf der richtigen Seite?

Dieser sogenannte Haltungsjournalismus wird von manchen in den öffentlich-rechtlichen Medien sogar noch verteidigt. Es ist erschütternd, wie weit man sich dort gelegentlich von journalistischen Grundstandards entfernt, gleichzeitig aber von „Demokratieabgabe“ schwadroniert und die Zuschauer mit selbstzufriedener Miene belehrt. Arrogant und herablassend. Immer im Wissen, dass die gebührenfinanzierte Altersversorgung nicht in Frage steht. Dabei wird die im Grundgesetz verbriefte Pressefreiheit vor allem gewährt, um Machtkritik möglich zu machen. Nicht, um den Machthabern nach dem Mund zu reden.

Spätestens seit Corona ist staatstragender Opportunismus zeitgemäß. Selbst Leute, die vor Jahrzehnten in den sogenannten K-Gruppen mitgemacht haben, verteidigen heute den Staat. Warum wird man durch Kritik zum Außenseiter? Oder zum Querdenker oder Schwurbler?

Der sachliche, auch harte politische Diskurs ist bei uns schwer beschädigt. Der Staat investiert Milliarden in ideologische Projekte, die dann durch NGOs im Sinne der Machthaber flächendeckend ausgerollt werden. Das dient dazu, weltanschauliche Gegner zu bekämpfen und zu beschädigen. Diese Exzesse gab es schon vor Corona, sie nahmen während der bis heute nicht beendeten Flüchtlingskrise ab etwa 2015 massiv zu. Unvergessen, wie Angela Merkel den Facebook-Chef aufforderte, die Kritik an ihrer umstrittenen Politik auf seiner Plattform zu unterdrücken. Als das nicht geschah, implementierte der Staat das verfassungswidrige Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

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Der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, auch ein Mandant von Ihnen, postete auf X: „Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?“ Auslöser waren Entwicklungshilfe-Millionen an die afghanischen Taliban. Die Entwicklungshilfeministerin klagte, doch das Bundesverfassungsgericht urteilte: „Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten.“

Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Er hat daher grundsätzlich auch massive Angriffe auszuhalten. Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des freiheitlichen Staats. Die aktuelle Bundesregierung, allen voran die Ministerinnen Faeser, Paus und Schulze, hat das völlig aus den Augen verloren. Im April mussten wir das Außenministerium von Frau Baerbock gerichtlich zwingen, Presseanfragen zu beantworten. Claudia Roths Ministerium steht deswegen ebenfalls vor Gericht. Herr Habeck sieht die Demokratie durch politische Polemik gefährdet; die Verfassung und das Verfassungsgericht hingegen gestatten auch scharfe Polemik ausdrücklich. Gegen Nancy Faeser haben wir ebenfalls ein gerichtliches Verbot erwirkt. Der Verfassungsschutzpräsident Haldenwang ist deren williger Lakai, der ständig rechtswidrig seine Kompetenzen überschreitet. Die FAZ titelte im April: „Die Regierung geht autoritär gegen Kritiker vor“.

Interessant: Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Gibt es überhaupt eine Grenze, ab der Regierungskritik nicht mehr erlaubt ist?

Staatlicher Ehrenschutz kann erst dann vor Gericht geltend gemacht werden, wenn eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Staates droht. Der Staat besitzt keine Grundrechte, er hat sie lediglich zu beachten. Staatliche Einrichtungen, so das Verfassungsgericht, dürfen zwar vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht erfüllen können. Dies darf aber nicht dazu führen, sie gegen öffentliche Kritik abzuschirmen. Die Kritik darf auch scharf sein, denn sie ist vom Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet. Ihr steht nur das Recht des Staates gegenüber, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierend. Wenn es hier zum Konflikt kommt, ist das Gewicht der Meinungsfreiheit besonders hoch zu veranschlagen – gerade weil es aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwächst. So formuliert es das Verfassungsgericht immer wieder, und dem ist nichts hinzuzufügen.

QOSHE - Prominenter Anwalt: Regierung hat Zulässigkeit von Kritik aus den Augen verloren - Thomas Fasbender
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Prominenter Anwalt: Regierung hat Zulässigkeit von Kritik aus den Augen verloren

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04.05.2024

Was darf politische Kritik in einem Gemeinwesen, in dem die Herrschenden überzeugt sind, das Gute und Richtige zu tun? Wer da kritisiert, macht sich jedenfalls das Juste Milieu zum Feind.

Der Hamburger Anwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel vertritt solche Ausgegrenzten. Zuletzt verteidigte er den Spiritus Rector des Onlinemediums Nius und früheren Bild-Chefredakteur, Julian Reichelt, erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung kommentiert er Individualsanktionen und Sippenhaft, Haltungsjournalismus und Regierungskritik.

Herr Steinhöfel, Sie haben ein Buch über die Bevormundung durch soziale Medien veröffentlicht. Als Anwalt vertreten Sie Prominente, die sich medial ungerecht behandelt fühlen. Wie hat sich das Verhältnis der Medien zu den Reichen, Schönen und Mächtigen über die Jahre verändert?

Zunächst haben wir in Deutschland eine schon skandalöse Unterfinanzierung der Justiz, die die ohnehin kostspielige Verfolgung von Persönlichkeitsrechtverletzungen für Betroffene noch erheblich verlangsamt. In Eilverfahren ein Jahr oder länger auf die Berufungsverhandlung warten zu müssen, ist eines Rechtsstaats unwürdig. Die Verantwortung dafür liegt bei der Politik. Gleichzeitig ist durch die Digitalisierung der Medien, auch der sozialen Medien, schnelle Abhilfe bei Rechtsverstößen wichtiger denn je. Politiker schwadronieren dann von Hass und Hetze, statt 20 neue Richterstellen zu schaffen und die Justizverwaltung anständig auszustatten.

Ist der Umgang mit Prominenten rauer geworden? Das müsste sich ja in Ihren Fallzahlen widerspiegeln.

Das würde ich nicht bestätigen. Diejenigen, die medial ständig präsent sind, werden fortlaufend anwaltlich beraten und wissen sich zu wehren. Jedenfalls dann, wenn sie einen sachkundigen Anwalt und keinen überteuerten Selbstdarsteller engagieren. Schwieriger ist es für diejenigen, die zum ersten Mal unter medialen Beschuss geraten – was ja ohne weiteres gerechtfertigt sein kann – und darauf nicht vorbereitet sind.

Zu Ihren Mandanten gehört der Milliardär Alischer Usmanow. Sein Fall hat mit den Sanktionen gegen russische Staatsbürger zu tun. Inzwischen schreiben sogar Welt und Bild, dass Usmanow weithin zu Unrecht verfolgt wird. Spielt in solchen Fällen auch die Politik eine Rolle?

Alischer Usmanow ist als erfolgreicher Unternehmer, ehemaliger Anteilseigner von Arsenal London und ehemaliger Präsident des Weltfechtverbandes von herausragender Bekanntheit. Außerdem ist er einer der großzügigsten Philanthropen der Welt. Es ist rechtsstaatswidrig und populistisch, jemanden zu verfolgen und zu sanktionieren, weil er bekannt ist und nicht, weil er sich vorwerfbar verhalten hat. Die wiederholten Niederlagen und Blamagen der Ermittler und des Bundeskriminalamts zeigen, dass es deren Vorwürfen an Substanz........

© Berliner Zeitung


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