Die südafrikanische Inselrepublik Madagaskar hat die Abberufung der dortigen EU-Botschafterin Isabelle Delattre Burger verlangt. Bei einer Pressekonferenz Ende Februar hatte die Botschafterin ein neues Gesetz kritisiert. Es sieht vor, dass männliche Vergewaltiger minderjähriger Opfer mit der chirurgischen Kastration bestraft werden können. Wie die Nachrichtenagentur AFP meldet, lehnten die Richter eine chemische Kastration ab, weil diese rückgängig gemacht werden könne.

Die Sprecherin der EU-Kommission Nabila Massrali sagte AFP, das Außenministerium in der Hauptstadt Antananarivo habe sich „unzufrieden gezeigt (...) und verlangt, die Botschafterin auszuwechseln“. Afrikanische Medien meldeten, der madagassische Präsident Andry Rajoelina persönlich habe die Abberufung verlangt. Laut AFP wollte das madagassische Außenministerium keine Stellungnahme abgeben. Es habe nur erklärt, das Schreiben an die EU hätte vertraulich bleiben sollen.

Die Botschafterin der Europäischen Union hatte das zuvor von beiden Kammern des Parlaments verabschiedete Gesetz als „verfassungswidrig“ bezeichnet und gesagt: „Ich denke nicht, dass eine chemische oder eine tatsächliche Kastration eine abschreckende Lösung ist.“ Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach sich vehement dagegen aus: „Die Behörden müssen die Legalisierung der (…) Kastration von Vergewaltigern rückgängig machen.“ Tigere Chagutah, AI-Regionaldirektorin für das östliche und südliche Afrika, schreibt, die Strafe sei „weder mit den madagassischen Verfassungsbestimmungen gegen Folter und Misshandlung noch mit regionalen und internationalen Menschenrechtsstandards vereinbar“.

Der Skandal wirft ein Schlaglicht auf die Risiken einer Diplomatie, die missliebige Zustände im jeweiligen Gastland bewusst öffentlich brandmarkt. Auch Delattre Burger, die vor ihrem Amtsantritt im September 2022 für die EU-Partnerschaft mit den Ländern im südlichen Afrika und Indischen Ozean verantwortlich war, ist für derartige Auftritte bekannt. Wie das Online-Magazin Africa live meldete, hat sie bei der Pressekonferenz im Februar auch gesagt, als „Partnerin, die dazu beigetragen habe, das Straßennetz der Insel zu verbessern“, sei sie „regelmäßig frustriert“, dass dem madagassischen Straßenunterhaltungsfonds die Mittel fehlten, dieses Netz instand zu halten.

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Auf den ersten Blick scheint das selbstbewusste Auftreten der EU-Diplomatin in einem der ärmsten Länder der Welt nachvollziehbar. Immerhin überweist Brüssel dem Inselstaat in den Jahren 2021 bis 2024 insgesamt 325 Millionen Euro. Deren angestrebter Zweck: eine Verbesserung bei Themen wie Regierungsführung und menschlicher Entwicklung, nachhaltigem Wachstum, Arbeitsplätzen und dem sogenannten Green Deal.

Für ein Land, in dem 90 Prozent der Bevölkerung von weniger als zwei US-Dollar am Tag leben, ist ein dreistelliger Millionenbetrag viel Geld. Die Frage, die sich daran anknüpft: Wenn die EU offenkundig über nennenswerte finanzielle Hebel verfügt – warum übt die Botschafterin ihren Einfluss nicht im Hintergrund aus, ohne Skandal und „Gesichtsverlust“ für die Beteiligten?

Die Antwort weist auf eine stilistisch-methodische Zeitenwende in der europäischen Außenpolitik. Das betrifft auch die bundesrepublikanischen Diplomaten unter ihrer gegenwärtigen Chefin Annalena Baerbock (Grüne). Im Kern geht es darum, außenpolitische Ziele auch unter Einbezug der öffentlichen Debatte zu verfolgen und umzusetzen, international und im Gastland selbst. Der Hintergedanke: Im öffentlichen Raum wird Druck aufgebaut, moralisch und politisch, der den deutschen Zielen entgegenkommt. Schließlich ist die neue Außenpolitik ihrem Selbstverständnis nach nicht primär auf Interessen, sondern auf ethische Normative gerichtet.

Offiziell präsentiert wurde die neue Linie – der offensive, publikumswirksame Auftritt „wertegeleiteter“ deutscher Außenpolitik – im vergangenen Sommer. Zeitgenössische Diplomatie macht demnach auch vor den Troll- und Bot-durchsetzten sozialen Medien wie X, vormals Twitter, keinen Halt. Ein schönes Beispiel war im März 2023 der Schlagabtausch zwischen der deutschen Botschafterin in den USA, Emily Haber, und dem US-Senator J.D. Vance. In einem X-Tweet hatte Vance die seiner Ansicht nach unzureichenden deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine scharf kritisiert. Die Botschafterin retournierte auf derselben Plattform: Panzer könne man nicht bei Costco kaufen – einer Supermarktkette.

Öffentlicher Holzhammer als Zukunft der Diplomatie? Auch die Ukrainer beherrschen die unelegante Waffe. Erst vor wenigen Tagen attackierte der Kiewer Botschafter in der Bundesrepublik, Oleksij Makejew, die Berliner Zeitung und einige ihrer Redakteurinnen und Redakteure mit gleich mehreren X-Tweets weit unter der einst für Diplomaten geltenden Gürtellinie.

Was auffällt: Die asiatischen Botschafter bleiben beim alten Stil. In Peking gilt strikte Nichteinmischung als Dogma der Politik. Für chinesische Diplomaten wäre Kritik an den Verhältnissen im Gastland ein zuverlässiger Karrierebrecher. Das öffnet dem Land in Afrika (und auf anderen Kontinenten) derzeit Tor und Tür. Auch dem madagassisch-chinesischen Verhältnis darf man getrost eine Blütezeit vorhersagen. Wenn das Übrige stimmt, sind die 325 Euro-Millionen für Peking Peanuts. Und Madagaskar wäre bei weitem nicht das erste Land, das sich von den als hochnäsig und hochmütig empfundenen Europäern abwendet.

QOSHE - Diplomatisches Porzellan zerschlagen: Madagaskar weist EU-Botschafterin aus - Thomas Fasbender
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Diplomatisches Porzellan zerschlagen: Madagaskar weist EU-Botschafterin aus

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07.04.2024

Die südafrikanische Inselrepublik Madagaskar hat die Abberufung der dortigen EU-Botschafterin Isabelle Delattre Burger verlangt. Bei einer Pressekonferenz Ende Februar hatte die Botschafterin ein neues Gesetz kritisiert. Es sieht vor, dass männliche Vergewaltiger minderjähriger Opfer mit der chirurgischen Kastration bestraft werden können. Wie die Nachrichtenagentur AFP meldet, lehnten die Richter eine chemische Kastration ab, weil diese rückgängig gemacht werden könne.

Die Sprecherin der EU-Kommission Nabila Massrali sagte AFP, das Außenministerium in der Hauptstadt Antananarivo habe sich „unzufrieden gezeigt (...) und verlangt, die Botschafterin auszuwechseln“. Afrikanische Medien meldeten, der madagassische Präsident Andry Rajoelina persönlich habe die Abberufung verlangt. Laut AFP wollte das madagassische Außenministerium keine Stellungnahme abgeben. Es habe nur erklärt, das Schreiben an die EU hätte vertraulich bleiben sollen.

Die Botschafterin der Europäischen Union hatte das zuvor von beiden Kammern des Parlaments verabschiedete Gesetz als „verfassungswidrig“ bezeichnet und gesagt: „Ich denke nicht, dass eine chemische oder eine tatsächliche Kastration eine abschreckende Lösung ist.“ Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach sich vehement dagegen aus: „Die Behörden müssen die Legalisierung der (…) Kastration von Vergewaltigern rückgängig machen.“ Tigere Chagutah,........

© Berliner Zeitung


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