Schon die Lateiner wussten: Fiat iustitia et pereat mundus. Sorge für Gerechtigkeit, und wenn die Welt dabei zugrunde geht. Was scheren uns die Folgen, wenn wir nur der Ordnung zu ihrem Recht verhelfen?

Schließlich war der russische Angriffskrieg von Anfang an völkerrechtswidrig. Der Kriegsschuldige steht also schon vor Kriegsausbruch fest. Und dieses Wissen, im Recht zu sein und recht zu haben, lässt uns alle Vorsicht vergessen. Den gesunden Menschenverstand und vor allem die historische Erfahrung. Zwei große Kriege gegen Russland haben wir Deutsche in hundert Jahren vom Zaun gebrochen; eigentlich müssten wir wissen, wie dieser Gegner kämpfen und leiden kann. Und so unvergleichbar die Umstände und das Personal 1914 und 1941 jeweils waren – ohne deutsche Überheblichkeit und deutschen Größenwahn wäre es nicht so weit gekommen.

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Das wird beim dritten Mal nicht anders sein. Nur dass unser Größenwahn und unsere Überheblichkeit inzwischen nicht mehr bösartig sind – den nächsten Krieg gegen Russland kämpfen wir im Namen der Moral, der Werte und des Rechts. Im Namen des Guten.

Sie meinen, es sei noch nicht so weit? Weil wir nur ein kleines bisschen eskalieren, weil es keinen großen Unterschied macht? Es sei nur gerecht, wenn die Ukraine sich verteidigen dürfe? Auch mit westlichen Waffen, die auf russisches Territorium feuern?

In der Tat, das ist alles gerecht und rechtens. Nur ist Gerechtigkeit vielleicht nicht alles. Gab es nicht die vier Kardinaltugenden: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung und Klugheit?

Trunken vor Gerechtigkeit, maßlos tapfer und ach so klug (glauben wir) werfen wir unsere Waffen in die ukrainische Schlacht. Jetzt darf Kiew sie gegen grenznahe russische Gebiete einsetzen. Als nächstes kann man die Gebiete ausweiten; eine mögliche Flugverbotszone über der Westukraine wird bereits diskutiert. Auch die ließe sich ausweiten. Der Westen kann auch zulassen, dass die Ukraine die Brücke von Kertsch zerstört. Er kann auch Taurus-Marschflugkörper liefern. Der Westen hat noch manches Ass im Ärmel.

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Anders Russland. Russland hat riesige Räume, 140 Millionen Menschen – und jede Menge Atombomben in allen Größen. Und Russland will diesen Krieg nicht verlieren. Als Napoleon 1812 im Kreml saß, waren die französischen Generäle felsenfest überzeugt: Jetzt schickt der Zar seine Emissäre. Jetzt werden sie verhandeln. Stattdessen brannten die Russen ihre eigene Hauptstadt nieder. Sind wir wirklich so vermessen zu glauben, es wäre heute anders?

Wie wird Russland auf unsere Salami-Eskalation reagieren? Rhetorisch, klar. Das geht zwei- oder dreimal. Übungen zum Einsatz taktischer Nuklearwaffen hat Wladimir Putin schon vor Wochen angeordnet. Aus seiner Sicht ist das Signal gegeben.

Wir mögen glauben, unser Handeln diene der Verteidigung von Recht und Ordnung. Russland hingegen (die Elite und ein Großteil der Bevölkerung) glaubt, wir wollten es in die Knie zwingen.

Es gibt eine lehrreiche Anekdote aus Putins Kinderjahren. Im Treppenhaus der elterlichen Wohnung in Leningrad drängt er eine Ratte in die Ecke; schließlich springt sie ihn todesmutig an und flieht in die Freiheit. Dem Tier gilt sein lebenslanger Respekt.

Wenn es ein Land gibt, das Russland als Feind und Gegner kennengelernt hat, dann Deutschland. Wir Deutsche müssten jetzt aufstehen und rufen: Halt! Leider haben wir so viel politisches Rückgrat wie ein nasser Schwamm. Wir sind besoffen vor Stolz, im Westen und im 21. Jahrhundert „angekommen“ zu sein; auf dem Weg dahin haben wir alles Eigene, auch die eigenen Erfahrungen, mit frohem Mute hergeschenkt. Wie Hans im Glück stehen wir da und sind nur noch gut. Wollt ihr den gerechten Krieg?

Ich wünsche uns allen einen friedlichen Sommer und Ihnen ein erholsames Wochenende!

Ihr Thomas Fasbender, Ressortleiter Geopolitik

QOSHE - Deutsche Waffen gegen Russland: Wer stoppt uns? - Thomas Fasbender
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Deutsche Waffen gegen Russland: Wer stoppt uns?

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31.05.2024

Schon die Lateiner wussten: Fiat iustitia et pereat mundus. Sorge für Gerechtigkeit, und wenn die Welt dabei zugrunde geht. Was scheren uns die Folgen, wenn wir nur der Ordnung zu ihrem Recht verhelfen?

Schließlich war der russische Angriffskrieg von Anfang an völkerrechtswidrig. Der Kriegsschuldige steht also schon vor Kriegsausbruch fest. Und dieses Wissen, im Recht zu sein und recht zu haben, lässt uns alle Vorsicht vergessen. Den gesunden Menschenverstand und vor allem die historische Erfahrung. Zwei große Kriege gegen Russland haben wir Deutsche in hundert Jahren vom Zaun gebrochen; eigentlich müssten wir wissen, wie dieser Gegner kämpfen und leiden kann. Und so unvergleichbar die Umstände und das Personal 1914 und 1941 jeweils waren – ohne deutsche Überheblichkeit und deutschen Größenwahn wäre es nicht so weit gekommen.

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